Wie angekündigt, veröffentlicht das Basis-Film Portal in den kommenden Wochen die Tagebucheinträge von THE VISITOR. Der Basis Filmverleih bringt den Nonfiction Film im Februar 2015 in die Kinos.
Angst
Am Anfang war die Angst und sie bleibt, breitet sich aus, gefährdet das Vorhaben, ersetzt als Gefahr die eigentlich Gefahr die nicht zu fassen ist, nur mit einer Angst die ausgelöst wird, fast ohne Unterlass.
Die Angst die mir andere machen, vor dem Land. Russland. Der Name ist, das merke ich sobald ich ihn ausspreche als mein Reiseziel, besetzt mit Angst. Überhaupt besetzt, wie eine antike Figur, wie eine Elektra, Fluch bringend, anziehend. Da geht man besser nicht einfach so hin. Da muss man schon genau wissen wie es zugeht. Da wird man noch erschossen wenn man sagt was man denkt. Es scheint Russland ist und bleibt das Andere. Und Moskau ist das Andere das sich uns annähert, aber als Monster.
Es ist unser Spiegel aber als Fratze. Wir schauen nicht gern hinein. Es macht uns Angst. Wir kennen es aber wir erkennen es nicht.
Der Korrespondent
“We have no idea where we are heading” sagt uns, also meinem Kameramann und mir, der Moskauer Korrespondent, als er mir die Stadt zeigt. ”Look, there’s no direction”. Er meint zunächst die Architektur, neue Glasgiganten die sich wild mit Stalin und Le Corbusier mixen. In Europa gibt es kaum so eine starke Führung wie Putin. Aber welche Richtung schlägt Russland wirklich ein?
Unser russischer Korrespondent heisst Oleg. An unserem ersten Tag fährt er uns, quasi als Gegenstück zu unserer eigentlichen Arbeit, in der wir fussläufig ohne Plan durch die Stadt ziehen, wie Touristen durch ganz Moskau. Ein angeblicher Filmemacher, den ich auf meinen Schrieb an die berühmte VGIK Filmhochschule -gegründet von Sergei Eisenstein- hin aufgetrieben habe. Ich hatte einen Ansprechpartner als Ausgleich zu unseren Expeditionen gesucht. Jetzt zeigt er uns seltsame Orte, solche Orte die man, wie er sagt, nicht kennt von den Postkarten, aber, so frag ich mich während wir sie besuchen, vielleicht doch genau schon kennt von den Postkarten. Stalins Kanäle und Häfen zum Beispiel. Er fährt uns umsonst, ohne etwas zu fordern als unsere Aufmerksamkeit. Nach einem langen touristischen Tag fahren wir in sein “Dorf” wie er es nennt. Tatsächlich rattern wir kurz hinter der Stadt einen Acker entlang und erkennen im Dunkel junge Häuser hinter hohen Mauern. Er zeigt verächtlich auf die Mauern. Jeder hat hier Angst vor jedem, sagt er. Wir kommen zu seinem Haus. Es ist so jung und ohne Eigenwillen, dass es nach Plastik aussieht, nach einem Disneyhaus mit einem perfekten Garten und hohen Mauern. Ich frage ihn, warum er auch Mauern hat. Er sagt, weil es alle haben. Das Tor öffnet sich automatisch. Seine unglaublich nette Frau hat Blizny gemacht, Pfannkuchen mit Kaviar. Sie haben ein Kind, das sie von Dorfmilch ernähren. Sie sagen, dadurch wächst er schneller. Aber die Dorfmilch bezahlen sie mit Flüchen und Beschimpfungen der alten Dorfbewohner, die in Holzhütten leben mit Garten ohne Zaun. Die Dorfbewohner hassen die Reichen, die ihr Dorf bevölkern mit Mauern und mehr Geld. Ich frage Oleg, ob sie wenigstens Kontakt zu den Nachbarn haben. Ja, sagt er, regelmässig. Wenn unser Hund in ihren Garten gekackt hat und sie uns die Scheisse vor die Tür laden.
Danach sehen wir uns einen seiner Filme an. Er ist nicht nur schlecht gemacht und geschnitten sondern auch schlecht gefilmt. Ich glaube ihm den Filmemacher nicht mehr. Bei wem sitzen wir hier im Keller?
Die alte Frau und die Katze 1
Wir wohnen in einem alten Miethaus, kein hohes, drum rum Bäume, Laub das morgens gerecht wird, morgens bevor alle aufstehen, morgens bevor der Tag nass beginnt von einem der auffällig orange uniformierten Menschen. Illegale, die sich ansonsten das Verschwinden, Unterzutauchen, Unsichtbar sein angewöhnt haben. Nur jetzt da sie beschäftigt sind leuchtet die Uniform, darf sie leuchten, schützt sie leuchtend, denn jetzt bei der Arbeit ist das Nichtgesehen werden gefährlich: die vielen Autos die kaum Autos mehr sind, schwarze Panzer, gemacht für die Wüste und das Nichts.
Am Eingang stinkt es. Es stinkt nach Tod und Pisse. Oder so starker Pisse dass sie tödlich wirkt. Wer oder was lebt in diesem Gestank, überlebt ihn? Zeitschriften sind gestapelt vor der Tür, leere Plastikflaschen. Die Nachbarin, heisst es, hat 8 Katzen. Wie lange muss wie viel Pisse hier konzentriert vor sich hin verreckt sein um diesen Geruch zu brauen? Ich, die ich nicht wusste, dass Geruch nicht nur Tod beinhalten, sondern Tod bringen kann, halte mir die Nase zu, dass ich nicht umfalle, dass mir die Schleimhäute nicht wegätzen. Jeden Tag werde ich durch diese Todesszone Geruch in unsere Wohnung gehen, die Licht hat und ein langes Leben.
Ich denke, diese Frau ist verrückt. Alt, einsam und verrückt. Sie hat es nicht zu Kindern geschafft. Ein Riesenstadtphänomen. Die alte Frau und die Katze.
Gott oder die alte Frau und die Katze 2
An einem Abend geh ich hinaus, es ist mir unwohl dabei. Der Weg ist voll Herbstlaub, aber schlecht beleuchtet. 24 Stunden hat er auf, der Supermarkt, man denkt also nicht über die Zeit nach, wenn man etwas braucht, man geht einfach hin. Nur, dass der Weg so schlecht beleuchtet ist. Am Ausgang der Wohnung während ich mir die Nase zuhalte, sehe ich die Frau, die Nachbarin mit zwei Hunden- also nicht nur Katzen. Die Hunde wirken unwirklich offen, wund, verletzlich in dieser Stadt mit Messergängen und Stechblicken. Dabei stinkend struppig. Stadtgetier eben, wie die Tauben, die Ratten, die Spatzen, das wenige was sich hält neben den Autos und den Menschen, stinkt verblödet oder verrottet lebendig.
Die Frau sieht mich an, lächelt. Sie ist nicht alt. Vielleicht Mitte 50. Ich schäme mich mit meiner Hand an der Nase. Sie redet. Ich verstehe kein Wort. Wir gehen zusammen zum Supermarkt. Ich lächle mein freundliches Fremdenlächeln, das immer was von Hure hat und von Idiot.
Und von: tu mir nichts, ich weiß nichts. Die Frau lächelt und redet, die Hunde springen glücksbesoffen und würdelos wie willige Sklaven an der kurzen Leine. Natürlich interessiere ich mich für die Frau. Ich frage mich, ob das gieriger Voyeurismus ist. Warum interessieren einen immer nur die Verrückten? Ich arrangiere ein Gespräch mit Überbesetzer. Die Frau ist nicht verrückt, sie arbeitet als Lektorin bei einer kommunistischen Zeitung. Sie erzählt ausladen, lachend, glucksend wie ein Mädchen davon warum diese Zeitung noch nicht verboten ist: weil sie niemand kauft. Diese Zeitung, die die Händler im untersten Stapel verstauen, will niemand lesen, nicht wegen des Inhalts, sie sieht nach nichts aus. Sie bekommt kein Geld für ihre Arbeit, sie druckt also auf rauem Secondhandpapier, das einem die Kuppen aufreisst beim Blättern. Weil es niemand kauft können sie schreiben was sie wollen. Aber niemand liest es. Die Frau gluckst.
Sie hatte einen Autounfall. Sie hat ihn überlebt. Seither laufen ihr verwundete Tiere zu.
Sie sagt, Gott schickt ihr die Tiere. Damit sie ihren Preis bezahlt.
Öffentlicher Raum
Wir filmen im öffentlichen Raum. Was für ein Wort. Ich stelle mir dabei etwas vor mit gewölbten Mauern und gerundetem Dach. Ein Raum eben. Aber im Grunde ist es doch vor allem die Strasse und gewisse Plätze. Und darüber kein Dach sondern der Stadthimmel. Soweit es einen Himmel gibt über der Stadt.
Wir filmen also in Strassen und halböffentlichen Räumen, Bahnhöfen, Hinterhöfen. Ich voran, die Kamera hinterher. Wie ein Detektiv? Und ich als falscher Vogel, Lockvogel für das Gesicht der Strasse?
Ich tue nichts als streichen durch die öffentlichen Räume. Eine (Mega-)Stadtstreicherin mit dem Himmel über dem Kopf, soweit es einen Himmel gibt über diesen Molochen. Ich bleibe auch stehen, in der Nähe von Menschen. Die Menschen mögen das nicht, sie gehen weg. Verständlich. Jemand sagt mal zu mir als ich stammle im Versuch meine Arbeit zu erklären, du belästigst Menschen. Von mir aus. Ich belästige was mich beschäftigt. Was ich nicht verstehe. Oder doch zu gut.
Noch nie wurde sie so oft verjagt, so misstrauisch betrachtet. Noch nie wurde so oft die Polizei gerufen, weil da jemand streicht, verfolgt von einer kleinen idiotischen Touristenkamera. Noch nie hat uns jemand so wenig die harmlosen Touristen geglaubt, den netten Jungen der seine Freundin filmt. Noch nie haben wir so wenig getan und soviel bewirkt an leisem, scharfen Aufsehen dem Anweisungen folgen den Platz zu verlassen, ins Präsidium zu kommen – die überall sind, das nächste ist sicher nur ein paar Meter weiter- das Material auszuliefen. Jeden Tag gibt es Denunzianten, Handys werden in unserem Rücken gezückt, eine alte Klofrau verfolgt uns eine halbe Stunde lang und winkt schliesslich die Polizei auf der anderen Strassenseite, indem sie ihr Gesicht seitlich mit einem Blatt Papier vor uns verdeckt.
Das Andere ist der Feind. Vor allem mit einer Kamera.
Eine Kamera denunziert. Oder zumindest die Kamera die man hier noch gewohnt ist, wenn man über 40 ist. Die Kamera denunziert Illegale, Andersdenkende, Andershandelnde, wer von der Kamera verfolgt wird, wird von ihr erschossen. Bis 93 herrschte Film- und Videoverbot für alle Besucher. Niemand sollte die Sowjetunion denunzieren. An anderen Orten ist die Kamera das Auge, das dich allen Augen sichtbar macht. Damit du nicht untergehst in der Masse. Damit du für einen kleinen Augenblick Bedeutung hast. An andern Orten ist die Kamera der erste Schritt zum Glamour- dem Entrinnen aus dem Tod der Nichtbeachtung. Hier ist und bleibt sie Denunziantin, auch wenn die junge Generation schon grinst fürs Fotos. Und die, die nicht denunziert werden wollen, denunzieren uns bevor wir denunzieren. Dann filmen wir zufällig einen Überfall. In einer kleinen Seitenstrasse liegt ein junger Mann auf dem Boden im Delirium. Er windet sich auf dem Boden, den Körper verdreht, eine seltsame Verrenkung in die ihn irgendeine Droge versetzt hat, versucht aufzustehen, wieder und wieder. Ein anderer Mann, auch jung nimmt den verrenkten Körper, untersucht ihn fast sanft und nimmt ihm was er hat an Geld und Papieren. Der Bestohlene liegt dabei in seinen Armen und lallt. Der Mann legt ihn ab. Wirft einen Blick zu uns. Rennt. Auf dem Video erstrahlt das Ganze wie ein seltsames Pas de deux. Mein Kameramann, ein Brasilianer aus Sao Paulo erinnert sich an seine Stadt, in der man für ein zufälliges Zeuge-sein bei schmutzigen Geschäften sein Leben verlieren kann. Er reist am nächsten Tag ab und mir bleibt nichts anderes übrig, als einen russischen Kameramann zu engagieren, der hoffentlich das Projekt versteht.
Ich werde mich ein halbes Jahr später in Mumbai befinden, mit einer neuen Kamerafrau mit der wir in engster Zusammenarbeit den eigentlichen Film bis zum Ende realisieren.
Diary, THE VISITOR