Harun Farocki über VIDEO VERTOV

Lieber Gerd,

ich habe Ulrikes Buch („Das Verschwinden des Philip S.) gelesen. Sie rekonstruiert die Ereignisse aus ihrer damaligen Sicht, jedenfalls hauptsächlich. Während Du auch spätere Einsichten einbringst.

Was Alfa beklagt, das hat sich gelohnt: dass Du ständig aufgenommen hast. So hast Du tolle Dokumente, etwa die Diskussion mit Straschek und Holger, und dass Lena das Kind auf dem Schoß hat und nicht dazu kommt, etwas zu sagen.

Auch Ebrach und die ML, sogar die Erfahrungen mit Atem und Meditation, selbst in Indien. Auch die Bilder vom Leben außerhalb des Zentrums!

Um ’78 sagtest Du einmal, dass Costard / Godard und ich mit „Zwischen 2 Kriegen“ nach vorne arbeiten, während Du mit Video in die Breite arbeitest. Das hättest Du vielleicht noch ausführen können – es ist nicht einfach darzustellen, was Unterrichten bedeutet oder: eine gewissen Bildgebrauch einzuführen.

So gerne ich Osho sprechen sah, finde ich das über Bild und Wort noch nicht die letzte Weisheit. (Brauchen wir vielleicht auch nicht.)

Ich finde, dass wir ein ganz schön schiefes Weltbild uns damals zusammen gezimmert haben. Nicht dass Du mit der Musealisierung der Roten Fahne in Venedig und China nicht davon handelst.

Ich finde es zu einfach, die alte Geschichte wieder zu erzählen: erst der Schah, dann Benno Ohnesorg, die Hetze der Springer-Presse…

Kommt mir so vor wie „Herr Richter, ich hatte eine schwere Jugend“.

Herzlichen Gruß,

Dein Harun

12.01.2014