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BRD 2004, Farbe, 93 Min. | |||
BESETZUNG | |||
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STAB | |||
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BIOGRAFIE | |||
Biofilmografie Hanna Laura Klar Hanna Laura Klar, geb. 1946, Studium Information und Film an der Hochschule für Gestaltung Ulm (Dipl. HfG), Studium der Philosophie in Heidelberg. Studium der Soziologie in Frankfurt (Dipl. Soz.). Assistentin bei Alexander Kluge. 1994/95 Gastprofessur für Drehbuch an der Filmakademie Ludwigsburg. Redakteurin bei Tages- und Hochschulzeitungen, freie Tätigkeit als Autorin und Regisseurin bei Rundfunk und Fernsehen. Seit 1980 Dozentin für Video an der Fachhochschule Frankfurt. | |||
FILME | |||
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INTERVIEW | |||
Gespräch mit Hanna Laura Klar Die Mode und die Worte Wie sind Sie überhaupt auf dieses Dichterinnen-Duo gestoßen? Den Anstoß gab mein Film "Drei Frauen um Schleef": nach dem Tod von Schleef führte ich Gespräche mit seiner Tochter, ihrer Mutter und auch mit Elfriede Jelinek. Und als der Film fertig war, sagte Frau Jelinek, dass sie Lust hätte, noch einen zu machen und schleppte mich in das Second-Hand-Lädchen von ihrer Freundin, der Lyrikerin Elfriede Gerstl. Und da kam dann die Idee auf, einen Film über die lange Freundschaft der beiden zu machen. Was hat Sie an der Beziehung der beiden interessiert? Ich wollte immer wissen, was diese beiden recht unterschiedlichen Menschen zusammen führt, die sich seit 30 Jahren kennen. Und ich glaube, es sind vor allem zwei Dinge: Die Mode und die Worte. Aber was mich darüber hinaus an beiden fasziniert, ist ihre Gebrochenheit; nichts an ihnen ist eindeutig oder perfekt, alles ist in Frage gestellt. Ich glaube, die beiden sind identisch mit sich selbst, sie haben sich gefunden - in ihren Worten und in ihrem Äußeren. Wie viele gemeinsame Begegnungen haben Sie gebraucht, um sich dieses Bild machen zu können? Ich habe die beiden ein Jahr lang immer wieder in Wien mit der Kamera besucht. Am Anfang war es mit den Gesprächen nicht immer ganz leicht, aber nach einem halben Jahr, als wir uns besser kannten, ging es dann sehr gut. Zum Schluss, würde ich sagen, haben wir so selbstverständlich miteinander geredet, als ob gar keine Kamera da gewesen wäre; das war schon ein sehr vertrauensvolles, persönliches Verhältnis. Das klingt fast nach einer freundschaftlichen Beziehung. Ich habe nach Dreharbeiten tatsächlich oft einen Freund mehr. Mich interessiert nichts Schnelles, Oberflächliches. Mir geht es nicht um ein Interview, für das man Fragen vorbereitet, um sie dann zu stellen. Ich suche einen Ausgangspunkt und versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen und bestimmte Dinge herauszufinden; insofern bin ich ein bißchen wie eine Therapeutin. ich mache gerne Filme über Menschen, auch in dieser Hinsicht bin ich wohl eine Schülerin von Alexander Kluge. Und ich möchte den Menschen, über die ich Filme mache, gerecht werden. (Frankfurter Rundschau, 9. Septemper 2003) | |||
TEXTE ZUM FILM | |||
blöde illusionen als ob sich die kränksten behandeln liessen als ob sich verwandte wandeln könnten als ob sich der traurige trösten könnte als ob die helfer nicht hilfsbedürftige brauchten als ob es so was wie „ehrlich reden“ geben könnte Elfriede Gerstl: Alle Tage Gedichte, © Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 1999 unter dem beil des morgens unter dem beil des morgens mein offener mund mein weit gespreizter und gierig nach den äpfeln der sonne nach den limonadeäpfeln .. das beil des morgens gouillotiniert die sonne siehe ich schlürf ihre limonade bis aufs mark ich trommle auf ihren runden oberschenkeln das herz der sonne wird mitleidlos freigelegt und zur ansicht geboten boshaft wie stumm das beil des morgens zu uns komme dein schöner apfel zu mir! .. kranznaht scheitelnaht sauberer schnitt goldene fahnen wandervögel ich trommle pfefferkuchen auf dem sonnenbauch ich hämmere eine flache trommel aus glühblech .. Elfriede Jelinek: ende. Gedichte, 2000 Biografie Elfriede Jelinek Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag/Steiermark geboren. Noch während der Schulzeit begann Elfriede Jelinek 1960 am Wiener Konservatorium Orgel, Blockflöte und später auch Komposition zu studieren. Bei dem Vater, Friedrich Jelinek, der vor 1945 als Chemiker in kriegsdienlicher Forschung tätig war und aufgrund dieser Tätigkeit vor antisemitischer Verfolgung einigermaßen geschützt blieb, stellt sich in den frühen fünfziger Jahren eine psychische Erkrankung ein. 1964 nahm Elfriede Jelinek das Studium der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien auf. Nach einigen Semestern Abbruch des Studiums wegen einer zu kritischen psychischen Verfassung. Erste Gedichte. 1968 verbrachte Elfriede Jelinek in absoluter Isolation, sie verließ für ein Jahr das Elternhaus nicht mehr. Der Vater starb 1969 in einer psychiatrischen Klinik. Nach 1969 engagierte sich Elfriede Jelinek in der Studentenbewegung und in den Literaturdiskussionen um die Zeitschrift "manuskripte". 1971 Orgelabschlußprüfung am Wiener Konservatorium mit "sehr gutem Erfolg". Erste Hörspiele. "wenn die sonne sinkt ist für manche schon büroschluß", wurde 1974 von der Zeitung "Die Presse" zum erfolgreichsten Hörspiel des Jahres erklärt. 1972 Aufenthalt in Berlin, 1973 Aufenthalt in Rom. Hörspiele. Seit 1974 verheiratet mit Gottfried Hüngsberg, der in den sechziger Jahren dem Kreis um Rainer Werner Fassbinder angehörte. 1974 Eintritt in die Kommunistische Partei Österreichs. Hörspiele und Übersetzungen. Das Drehbuch "Die Ausgesperrten" wurde 1982 verfilmt. Poetologische Essays. Zusammenarbeit mit der Komponistin Patricia Jünger ("Die Klavierspielerin", 1988). 1990 Filmdrehbuch "Malina" zusammen mit Werner Schroeter, nach dem Roman von Ingeborg Bachmann. 1991 Austritt aus der KPÖ gemeinsam mit den beiden Parteivorsitzenden Susanne Sohn und Walter Silbermayer. Elfriede Jelinek hat zahlreiche lyrische Texte, Romane, Theatertexte und Drehbücher geschrieben. Außerdem hat sie Hörspiele und Kompositionen sowie Texte für Kompositionen, Libretti für Oper und Ballett, Installationen und Texte für Projektionen verfasst. Sie ist als Herausgeberin tätig, und zwar sowohl bei Buchpublikationen als auch bei Zeitschriften. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten, am 10. Dezember 2004 wird ihr der Literaturnobelpreis verliehen. Romane - wir sind lockvögel baby!, Reinbek 1970. - Michael, Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft, Reinbek 1972. - Die Liebhaberinnen, Reinbek 1975. - bukolit , hörroman, Wien 1979. - Die Ausgesperrten, Reinbek 1980. - Die Klavierspielerin, Reinbek 1983. - Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr, Reinbek 1985. - Lust, Reinbek 1989. - Die Kinder der Toten, Reinbek 1995. - Gier- Ein Unterhaltungsroman, Rowohlt 2000. Theatertexte - Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften, ED 1979. - Clara S. / musikalische Tragödie, ED 1981. - Burgtheater / Posse mit Gesang, ED 1982. - Krankheit oder Moderne Frauen, ED 1984. - Präsident Abendwind / Ein Dramolett, sehr frei nach J. Nestroy, ED 1988. - Wolken.Heim, ED 1988. - Totenauberg / Ein Stück, ED 1991. - Raststätte oder Sie machens alle / Eine Komödie, ED 1994. - Der Wald, ED 1987. - Stecken, Stab und Stangl / Eine Handarbeit, ED 1995. - Ein Sportstück, ED 1998. - er nicht als er (zu, mit Robert Walser) / Ein Stück, ED 1998. - Das Schweigen, ED 2000. - Ich liebe Österreich, ED 2000. - Das Lebewohl (Les Adieux), ED 2000. - Macht nichts / Eine kleine Trilogie des Todes, ED 1999. - Der Tod und das Mädchen, ED 1999. - Der Wanderer, ED 1999. - Körper und Frau/ Claudia, ED 2002. - In den Alpen, ED 2002. - Der Tod und das Mädchen I-V/Prinzessinnendramen, ED 1999-2002. : - Der Tod und das Mädchen V, ED 2003. - Das Werk/für Einar Schleef, posthum, ED 02. - Bambiland, ED 2003. - Irm sagt: / Margit sagt: ED 2004. Preise 1969 Preis des Lyrikwettbewerbs der Österreichischen Hochschülerschaft 1969 Preise der 20. Österreichischen Jugendkulturwoche Innsbruck für Lyrik und Prosa 1972/73 Österr. Staatsstipendium f. Literatur 1978 Roswitha-Gedenkmedaille der Stadt Bad Gandersheim 1979 Drehbuchförderung des Bundesministers des Innern für das Exposé zum Drehbuch "Die Ausgesperrten" 1983 Würdigungspreis für Literatur des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst (Österreich) 1986 Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln 1987 Literaturpreis des Landes Steiermark 1989 Preis der Stadt Wien (Literatur) 1994 Walter Hasenclever-Preis der Stadt Aachen 1994 Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum 1996 Bremer Literaturpreis 1998 Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt 2000 "manuskripte"-Preis des Landes Steiermark 2002 Theaterpreis Berlin der Stiftung Preußische Seehandlung 2002 Mülheimer Dramatikerpreis 2002 Heinrich-Heine-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf 2003 Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis des Pfalztheaters Kaiserslautern 2004 Lessing-Preis für Kritik der Lessing-Akademie Wolfenbüttel und der Braunschweiger Stiftung Nord/LB Öffentliche 2004 Stig Dagerman-Preis der Stig Dagermangesellschaft (Schweden) 2004 Hörspielpreis der Kriegsblinden/Preis für Radiokunst für das Hörspiel "Jackie" 2004 Mülheimer Dramatikerpreis 2004 Franz-Kafka-Literaturpreis 2004 Literaturnobelpreis PRESSESTIMMEN Zum Literaturnobelpreis „Die Scheu ist immer da, wenn wir uns sehen. Im Theater, im Café oder bei ihr zu Hause in Wien, draußen in Hütteldorf. Eine Scheu, die keine Attitüde ist, keine aufgesetzte Befangenheit, sondern gewachsene Bedrohung. (...) Wenn man mit ihr im Biergarten sitzt, und es kommt ein Mensch auf sie zu, kann sie scheu bis zur Sprachlosigkeit werden. (...) Sie hat schon vor ihrer Ankündgung, nicht nach Stockholm fahren zu wollen, zu können, Termine abgesagt. Hat sich befreit gefühlt danach, hätte es viel früher schon tun sollen, schreibt sie.“ (stern, 43/2004) Ich renne mit dem Kopf gegen die Wand und verschwinde FAZ: Verfolgen Sie, wie Ihre Bücher im Ausland wahrgenommen werden? Elfriede Jelinek: Nein, ich verfolge ja nicht einmal, wie sie hier aufgenommen werden. Ich lasse mich schonend informieren, auch jetzt. Gewisse Reaktionen kann ich nicht lesen. Ich lese auch die guten Sachen nicht.(...) Wir meinten weniger das Urteil der Kritik. Bei Ihren Büchern stellt sich doch die Frage, ob sie überhaupt übersetzbar sind. Ist als Leser nicht verloren, wer den österreichischen Hintergrund nicht kennt? Das stimmt, das ist das größte Problem. Deswegen wundere ich mich auch so sehr über den Preis, weil ich eigentlich eine Provinzautorin bin, die in einer bestimmten Weise mit einer bestimmten Sprache arbeitet, die man schon in Deutschland nicht mehr versteht. Ich stehe in der Traditionslinie der Wiener Gruppe. Vom frühen Wittgenstein über Karl Kraus bis zur Wiener Gruppe ist das eine sehr sprachzentrierte Literatur, die eigentlich weniger mit Inhalten arbeitet als mit der Lautlichkeit, mit dem Klang von Sprache. Und das lässt sich nicht übersetzen. (...) Sie berufen sich aber auch auf die andere Seite, auf das Katholische und das Barocke. Ja, da stoßen wirklich zwei Kulturen aufeinander. Der scharfe jüdische Witz und das ausladende, barocke Über-die-Ufer-Treten der Sprache. Ich kann ja sozusagen nichts auslassen. Es gibt keine Leerstellen. Alles wird sofort mit Sprache aufgefüllt. Als könnte man das Geschriebene beschwören, indem man unaufhörlich spricht. Aber gleichzeitig erschrickt das Gesagte über seinen Gegenstand, und dadurch entsteht etwas wie eine Differenz, und dahinein wird eben der Sarkasmus gestopft. Irgendwie findet das in Deutschland kein Echo; die Leute lachen einfach kaum jemals über meine Sachen. (...) Wie erklären Sie sich dann, dass Thomas Bernhards Witz in Deutschland so gut funktioniert hat? Der ist nicht so sprachexperimentell. Bernhard ist zwar auch ein musikalischer Autor, ein, wie ich finde, weniger lautmalerischer als rhythmischer Autor. Das sind eher Sinusschwingungen. Und meine Annahme ist ja die, dass Bernhard süchtig macht, weil es ein Prosarhythmus ist, in der Lyrik würde man sagen: eine Prosodie, die einen zwingt, mitzuatmen in einem fremden Rhythmus. Bernhard war ja ein Sprecher, der konnte zwölf Stunden ununterbrochen reden. Bis die Leute vor Erschöpfung umgefallen sind. Das erzeugt eine Art Suchtverhalten, wenn man diese Tiraden nachliest oder mitspricht im Kopf, man gerät in einen anderen Atemrhythmus als den eigenen. Das löst eine leichte Trance aus. Deshalb sind seine Stücke auch so genial, weil das gesprochene Stücke sind, und auch seine geschriebenen Texte sind eigentlich gesprochene Texte. Aber bei Bernhard kommt natürlich auch dieser Herrschaftsanspruch des Erzählers dazu, den eine Frau gar nicht haben kann. Er hatte eine vollkommene Souveränität über seinen Gegenstand. Bernhards Sprache, sagen Sie, ist eine Herrensprache, eine männliche Sprache. Ist nicht Sprache immer ein Herrschaftsinstrument? Hat nicht Ihre Sprache auch einen starken, fast männlichen Gestus? Ja, es ist diese Anmaßung, die einen drüberträgt. Das würde ich phallische Anmaßung nennen, aber das macht aus mir noch keinen Mann. Es liegt darin natürlich auch eine Auflehnung gegen die Tatsache, dass man sich als Frau nicht einschreiben kann. Man rennt mit dem Kopf gegen die Wand. Man verschwindet. Aber man kann sich nicht einschreiben. Ich maße mir das aber trotzdem immer wieder an, und was mich trägt, ist die Wut auf Österreich. Vielleicht unterscheidet mich auch meine Leidenschaft von anderen. Aber das ist nicht die autoritäre Position, die Bernhard hat. Dieser Subjektstatus, diese Sicherheit des Sprechens, das hat nur ein männlicher Autor. Und weil Sie diesen Subjektstatus nicht besitzen, benutzen Sie eine Kunstsprache? Ich würde sagen, ich mache diese Sprache, ich stelle sie her. Was ich schreibe, ist ja keine normale Sprache, das ist eben eine Art Kunstsprache, auch in der Montagetechnik, mit der ich zuweilen arbeite. Es ist eigentlich eine Sprachkomposition. Damit es weitergeht, kommt von irgendwoher ein Satz, den ich brauchen kann, und dann reißt mich dieser Satz wieder voran, und schon geht es wieder weiter. Die Sprache ist wie ein Hund, sage ich oft, weil ich immer Hunde gehabt habe, ein Hund, der einen an der Leine hinter sich herzerrt, und man kann nur mitrennen. (...) Bieten Ihre Frauenfiguren deswegen keine Identifikationsmöglichkeiten? Ja, so ist es. Ich kann nichts Positive schildern. Und wenn, dann nur in ganz kurzen Texten. Das liegt einfach an der Verzweiflung. Was man sagt, geht ins Leere, das weiß man. Sogar die öffentliche Rezeption meiner Arbeit geht fehl. Ich kriege ja auch so entsetzliche Kritiken. Entsetzliche, vernichtende Kritiken und dazu dann viele Preise. Ich verstehe das nicht. Warum dann die Preise, wenn das alles Schrott ist, was ich schreibe? Sind das die Germanisten, die Literaturwissenschaftler, die Preise vergeben? Erklären kann ich es mir nicht. Daran, dass die Germanisten Ihren Humor eher verstehen als die Kritiker, dürfte es jedenfalls kaum liegen. Aber welche Funktion hat die Komik eigentlich für Ihr Werk? Wenn man die Komik versteht, weiß man, dass es das Schlimmste ist, wenn man sich über etwas lustig macht. Das ist kastrierend. Und so werden ja auch die Komikerinnen in den Hollywood-Filmen immer eingesetzt, die sind kastrierend. Hässlich, grotesk und kastrierend. Eine Ausnahme ist vielleicht gerade mal eine Katharine Hepburn, eine schöne Frau, aber in „Leoparden küßt man nicht“ tut sie in dem ganzen Film auch nichts anderes, als hinter dem Mann herzurennen. Bis der Dinosaurier zum Schluß zusammenfällt? Ja, aber das Patriarchat ist deshalb auch noch nicht zusammengefallen. Es ist ja nicht die Demütigung durch den Mann, sondern es ist die Demütigung darüber, dass man sich in diesen Wertmaßstab, in diese Beurteilung nicht einschreiben kann, dass man sozusagen aus diesem Beurteilungsraster herausfällt, weil es nicht die eigenen Maßstäbe sind, die überhaupt je gültig werden können. (FAZ, 8.11.04) in Fetzen Ein Text von Elfriede Jelinek Da habe ich gestern, nein, inzwischen ist es vorgestern, bin gespannt, wie lang das noch dauert, bis die Zeit ganz vergangen ist, zufällig im ORF so eine Sendung gesehen, die heißt Grüß Gott, Österreich, nein, so heißt sie nicht, sie heißt (noch) Willkommen und nicht Vollkommen (auch nicht Verkommen!) in Österreich, und zwar die Promi Time so kurz vor sechs. Da muß ich natürlich schauen, wer da dazugehört zu den Promis, zum Glück ich nicht, da müßte ich mich ja selber verlassen, nachdem mich schon Gott seit langem verlassen hat, also den habe ich schon selber rechtzeitig weggeschickt, sonst würde er womöglich mit mir im Fernsehn auftreten wollen (das war jetzt so ähnlich wie die Ableitung des Klassenhasses, an dem ich doch so leide, unter der Bestimmung der Entfremdung, die von der gleichgültigen Fremdheit bis zur wirklichen feindseligen Entfremdung - in meinem Fall von Gott, bald aber von den österr. Massenmedien, wartet nur! Balde, nein es ist eh schon soweit! Ich dreh euch den Hals ab, aus dem es dauernd sprudelt! - fortschreiten muß, und die ich fortschreiben muß), der Gott. Schön. Ich hab mir das also angeschaut, am 11.11. 03, diese Promi Time, und da habe ich, wie eine Vision aus einer schöneren Welt, eine Modeschau aus dem Museumsquartier gesehen. Es gab da den chinesischen Preisträger für Mode, La Hong, der schöne Gewänder entworfen hat, die Frauen natürlich schöner machen als sie sind bzw. vorhandene Schönheit auf das natürlichste, bzw. Schönheit natürlich unterstreicht, was ja eh seine Pflicht ist, und dann gab es eine Modeschau von japanischen Modedesignern, in diesem Fall Junya Watanabe pour Comme des Garçons und Rei Kawakubo. Hat mich so gefreut, daß ich rechtzeitig aufgedreht habe, denn ich interessiere mich besonders für japanische Mode, seit vielen Jahren schon, ich werde sicher einmal mehr darüber schreiben, denn diese Japaner heben in ihrer Mode die Mode auf, indem sie alles in ihr aufbewahren, was es in ihr je gegeben hat (ja, auch den Benjamin’schen Tigersprung in die Vergangenheit!), damit sie sich auch beliebig wieder alles herausnehmen können. Aber was nehmen sich die Kommentatoren vom staatlichen österr. Rundfunk dazu heraus? Sie pudeln sich auf. (...) Sie regen sich auf, diese moderaten Kommentatoren, daß Frauen, anstatt ihren Empfindungen hinterher zu hecheln, für die allein sie ursprünglich geschaffen wurden, sich von angeblichen Anhängern des Unnatürlichen das Natürlichste von der Welt, nämlich ihre eigene weibliche Schönheit (ist Gratis-Werbegeschenk zu den Empfindungen dazu!), absichtlich häßlich machen, entstellen lassen, um in Fetzen, eigentlich Lumpen herumzurennen, die aber dafür ein Vermögen kosten (das ist übrigens typisch: Wenn die Spießer etwas angreifen, das ihnen nicht paßt, dann sagen sie immer dazu, wieviel es gekostet hat, nein, nicht wieviel, sondern daß es sehr viel war, zuviel auf jeden Fall. "Die Künstler kriegen ein Geld", dieses Stereotyp krieg ich seit Jahren um die Ohren geknallt. Ja, wir kriegen ein Geld, mir wär auch lieber, es wären zwei oder mehr Geld, und zwar kriegen wir es für nichts, das ist aber auch richtig so, denn wir können nichts, aber auf jeden Fall können wir was dafür. Wir können was dafür, daß wir nichts können. Wir hätten ja was lernen können. Die Spießer wollen aber, daß wir was dafürkönnen, und kein Geld mehr kriegen für das Nichts, das wir produzieren, für den Dreck, den wir machen. Da bezahlen sie schon lieber dafür, daß wir und unser Dreck wieder weggeräumt werden - wenn sie ihn nicht grade auf die Stufen des Burgtheaters kippen, den Dreck). Da gehen die Models also in diesen wunderbaren Tweed-Kostümen von Junya Watanabe herum, die die (noch viel teureren) Chanel-Kostüme, die wiederum gehobene weibliche Persönlichkeiten an sich herumtragen, weil diese Frauenpersönlichkeiten ja allein nicht gehen könnten, spielerisch ironisieren und parodieren, indem sie sie teilweise an den Nähten aufreissen, ausfransen lassen, schiefe Säume "verschneiden", den Reichtum als solchen, der sich in diesen Teilen kodiert, gleichzeitig verarschen und lächerlich machen, nein, das wollen die Reichen aber nicht. Sie haben schließlich diese Kleider, in denen auf eingenähten Labels Chanel oder Prada steht, gekauft, um sich darin als Begebenheit, die jede Vorstellungskraft sprengt (was sie vortäuschen wollen!) und jedes Vergnügen herbeischafft, wenigstens irgenwelche Eigenschaften, Gaben, Talente anmaßen zu können, einer muß es ja tun, und so tun es halt ihre Kleider für ihre Larven, die, matt getönt, gespritzt, operiert, geklopft, wie Hunde an ihnen emporspringen, damit gezeigt wird, wie lieb man sie haben muß, aber nicht darf, weil sie über uns stehen. Egal. Aber das österreichische Dirndl und der österreichische Lederhosener, denen gefallt das nicht, daß man sich über den Kleidungscode der Bürger lustig macht, wie schaut denn der Bürger aus, wenn er nicht das Richtige anhat! Und das Richtige erkennen wir schließlich immer daran, daß es die Richtigen tragen, und den Richtigen ihre Freiheit, je nach der Zeit, zu der sie auch noch passen sollten, wenns leicht geht, sonst werden sie halt passend gemacht (Bruno Walter hat ja beschrieben, wie schon einen Tag nach dem "Anschluß" 1938 wie durch Zauberhand die städtische Kleidung aus Wiens Straßen verschwunden war und durch die nationale Tracht ersetzt wurde, alles Dirndl! Alles Wadlstutzen!). Also tun wir daher jetzt den Junya Watanabe einmal auf sein ihm gebührendes Maß zusammenstutzen, aber ordentlich! Alles andre, das nicht zu uns paßt, gleich auch noch wegstutzen oder ausreißen! Der Mensch ist eh wie Gras, wie das Laub einer Schönbrunner Hecke, ich schweife dauernd ab, aber hier darf ich es, der ganze Raum gehört nämlich mir, soviel ich will, jaja! Das, was uns danach noch übrigbleibt, vielleicht auch noch irgendwie zurechtstutzen oder sofort weghauen, so, und die Menschen gleich hintennach. Vorher ihnen ihre Kleidung abnehmen und alles sonst, was man halt zu Geld machen kann! Denn wir wollen ja etwas von dem Geld zurückkriegen, was unsrer gesunden Volksgemeinschaft z.B. damals die Juden gestohlen haben, wenn sie sich was zum Anziehen gekauft oder Goldplomben in die Zähne getan haben und überhaupt. Da stehen sie auf im Fernsehn, da machen sie einen Aufstand (bei den Nachrichten bleiben sie sitzen, aber derselbe Schmarrn kommt, bereits vorgefertigt und zusammengerührt, auch dort aus ihren Mündern), die österreichischen Apfelbäckler und Hinterbänkler und Hinterwäldler, so wollen sie die Frau nicht sehen, daß sie mit gutem gesundem Essen spielt und gute gesunde saubere Kleidung verunglimpft und gute gesunde festgenähte Säume herunterreißt und Fäden herauszieht und dann miteinander verknotet oder hängen läßt, was brauchen mir uns mit sowas überhaupt zu beschäftigen, wo mir doch wissen, wer mir sind und was mir anziehen sollen, damit mir anständig ausschauen. Was Anständiges jedenfalls. Wie schaut denn das sonst aus. Und dazu legen die Krampfhennen und Gewitterziegen in den "Seitenblicken" ihre aufgefetteten und abgestrafften und gut belegten Brustsemmeln auf gesteiften Unterlagen (wahrscheinlich damit sie nicht runterfallen) zur Ansicht und Aussicht in die Anlage, ich meine Auslage, wie die Nachbarinnen in den Gemeindebauten (also dort wohnen sie nicht, neinnein!) ihren Vorderbau auf die Fensterbrüstungen platzieren, wenn sie sich miteinander unterhalten, von Fenster zu Fenster. Frau sein heißt sich zeigen, möglichst ausgezogen, ausgeschnitten, glattlackiert und neben einem finanzkräftigen Herrn womöglich, falls man rechtzeitig einen erwischt hat. In dem Roman "Stadt ohne Juden" hat der später ermordete Hugo Bettauer (damals, als er das geschrieben hat, konnte er noch lachen, und man konnte mit ihm noch über sowas lachen) darüber gelästert, wie die schöne Wienerstadt ohne Juden aussehen würde: Die Leute würden in Loden und Barchent gehen, die Seide, der Witz, das Vergnügen, die Schönheit wären vorübergehend mit diesen Menschen verschwunden. Und daran, daß diese schönen Kleider fehlen, würde man erkennen, daß auch irgendwelche Menschen fehlen! Und sie im Triumphzug wieder zurückholen, so rasch wie möglich! Bettauer hat tatsächlich geglaubt, DAS WÜRDE DEN WIENERN ABGEHEN! Und all die Menschen würden ihnen fehlen, weil sie, die lieben Wienerinnen und Wiener, keine schönen Kleider und Stoffe mehr bei ihnen kaufen können. Er hat im Ernst geglaubt, daß die Wiener von der "natürlichen" Einfachheit schreiend zum Luxus zurückrennen würden, den die "Kosmopoliten" (ein in der Sowjetunion beliebtes Schimpfwort für die Juden) ihnen bieten können. Da hat er sich geirrt. (...) (Text von Elfriede Jelinek zu einem Modebeitrag in der Sendung „Willkommen Österreich“ im ORF vom 13. November 2003) Elfriede Jelinek über Elfriede Gerstl Denken ohne Haltegriffe Elfriede Gerstls Essays sind eigenständig nicht in dem Sinn, dass sie schon alleine stehen und gehen können, indem sie den Leser, die Leserin in ein Aufmarschgebiet von Gedanken führen, die man sich hergeholt (oft weit hergeholt!) hat, um das Eigene zu unterstreichen, die eigenen Lücken zu füllen, damit dann andere dafür büßen, die immer nur Bahnhof verstehen, aber den Bahnsteig nicht finden, von wo sie endlich abfahren oder auf den sie abfahren sollen, weil es so toll gedacht worden ist, einfach super, das könnte ich selber nie! Gerstls Denken ist auch nicht das Auskehren, Staubsaugen und feucht Aufwischen eines geschützten Schrebergartenhäuschens, in dem ein System gelehrt werden könnte, das man auch erst noch selber herstellen muss, genau aus diesem Spermüll, den man am Straßenrand aufgeklaubt und mitgenommen hat, nein, dieses Denken hat auch vieles andere nicht, was ich mir jetzt denken könnte, es ist nicht eine fertig gepresste Weltanschauung, eine Bestätigung der eigenen Auffassung durch gekonntes Applizieren fremder Fassungen, in die dann die eigene Birne partout nicht hineinpassen will. Was Elfriede Gerstl tut und dann aufschreibt, ist einfach, nein, es ist nicht einfach, aber es scheint einfach: Denken. Es ist ein energisches bei der Hand nehmen und Zeigen, nicht Führen. Noch weniger: anführen. Es ist originäres Denken, das es nicht einmal nötig hat, originell zu sein. Es ist kein Haltegriff, der einen rettet, wenn die Bahn zu schnell in die Kurve geht oder eine Notbremsung durchführt und dann wieder zu jäh anfährt. Ich würde nicht einmal sagen, dass Gerstls Denken eine Frage wäre, wie oft von Denken gesagt wird. Das wäre zu kokett, das würde mit der eigenen Ratlosigkeit und Unwissenheit und Wissenlosigkeit kokettieren, geradezu schäkern, es würde das Fragen ausstellen und auch den.... (noch unvollständig). |