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  • PRESSESTIMMEN

    Die Expertinnen

    Ein kurioses Duo schlendert durch die Wiener Innenstadt: zwei Frauen, hoch gewachsen, schlank, blond, leicht exzentrisch gekleidet, mit Aufsehen erregender Haartolle die eine; die andere klein und zerbrechlich wirkend, wesentlich älter, eine Baskenmütze auf dem Kopf, unter der das rötlich getönte Haar hervor schaut. Elfriede Gerstl ist Lyrikerin, lange Zeit erfolglos, bis sie kurz hintereinander den Trakl- und den Erich-Fried-Preis zuerkannt bekam. Elfriede Jelinek dagegen ist berühmt, zu ihrem Leidwesen, "man muss versuchen, um jeden Preis ein Außenseiter zu sein", sagt sie. Jelinek und Gerstl - zwei ungleiche Frauen, befreundet seit 30 Jahren, radikal unterschiedlich in ihren ästhetischen Ansätzen, trotzdem mit erstaunlichen Parallelen. (...) Zusammen sitzen sie in dem kleinen Laden am Naschmarkt, der Gerstls Schätze beherbergt: Kleider aus den 30er bis 70er Jahren, die sie auf Flohmärkten und in Secondhand-Läden zusammenträgt. Mode ist ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Gerstl und Jelinek, die freimütig bekennt, dass ihre optische Exaltiertheit nichts anderes als ein Schutzschild ist, Ausdruck des Wunsches, sich zu verstecken. "Mode sammeln macht süchtig", sagt Gerstl, während Jelinek Blusen anprobiert. Eine weitere Gemeinsamkeit der zwei Frauen, die sich als "Gegenspieler im Schreiben" bezeichnen, ist das gestörte Verhältnis zu ihren Müttern, "beide Täterinnen". Der Ablösungsprozess ist noch lange nicht beendet, so freimütig dürfte man Elfriede Jelinek, diese Ikone der Frauenbewegung, noch nicht über Verletzungen und eigene Neurosen haben reden hören, eine Frau, die stets unter Druck schreibt und diesen Druck in ihre Texte weitergibt, Wut, Hass und eigene Kränkungen. "Wir sind", sagen die beiden abschließend, "Expertinnen in Sachen Leid". (Christoph Schröder, in : Frankfurter Rundschau, 11. September 2003)

    Verbunden durch die Kleider und den Mangel
    „Zwei Wienerinnen, zwei Freundinnen, zwei Dichterinnen: das sind Elfriede Jelinek und Elfriede Gerstl, deren Freundschaft Hanna Laura Klar in ihrem Film ‘Elfriede & Elfriede’ dokumentiert hat. Das ist um so erstaunlicher, als es bisher keinen Film gibt, für den sich Elfriede Jelinek so lange vor die Kamera holen oder gar in ihrer Wohnung filmen ließ. Porträts von der scheuen Schriftstellerin existieren fast keine.
    Deshalb hat Hanna Laura Klar auch viel Zeit investiert, hat ein Jahr lang die Autorinnen in Wien immer wieder mit der Kamera besucht, bis die Gespräche nach und nach intimer wurden. Der Film atmet diese Vertrautheit aus jeder Pore, unbefangen probiert Elfriede Jelinek im Laden ihrer Freundin Hemden und Blusen an, in ihrem Haus holt sie sogar ihre alte Barbie-Puppe hervor, um sie in die Kamera zu halten. (...) Trotzdem ist Hanna Laura Klar ein Meisterstück gelungen. Ihre Aufmerksamkeit gilt den Freundinnen, die sie - auch mit Fotos aus deren Kindheit - immer intensiver vorstellt, ihr gemeinsames Interesse an Mode und Schmuck zeigt, mit dem beide, was nach und nach herauskommt, viele Mängel überdecken, die sie in ihrer Jugend erleiden mussten. ‘Das Sammeln von Kleidern ist für mich ein Versuch, mich zu trösten’, erzählt Elfriede Gerstl einmal: ‘Ich hatte eine ruinierte Kindheit. Als jüdisches Kind konnte ich keine Schule besuchen. Wir lebten versteckt.’ Und über ihre Freundin Elfriede Jelinek sagt sie: ‘Wir kennen uns ewig. Die Kleider und der Mangel haben uns verbunden.’ Elfriede Jelinek, die 15 Jahre jüngere, berichtet von ihrer strengen, ehrgeizigen Mutter, die sie zu Ballett- und Musikunterricht antrieb. Als sie mit 18 Jahren einen Nervenzusammenbruch erlitt und ein Jahr lang nicht unter Leute gehen konnte, habe sie begonnen zu schreiben. Ein erster Versuch, der Mutter zu entkommen. Ihr teils autobiografischer Roman ‘Die Klavierspielerin’ sei ihre Rache an der Mutter - Elfriede Gerstl bewundert sie dafür. Doch Unsicherheit ist geblieben: ‘Ich habe den Wunsch, mich zu verstecken. Wenn ich etwas Spektakuläres trage, kann ich dahinter verschwinden’, sagt Elfriede Jelinek. Ob aus der Verunsicherung der Hass, die Aggressivität rühren, die Elfriede Jelinek zum Schreiben antreiben? Ihr Beruf helfe ihr sicherlich, diese Gefühle vorübergehend zu überwinden, sagt die Autorin. Sie würde gerne von ihrer Freundin, der Lyrikerin Elfriede Gerstl, lernen, ohne Druck zu schreiben - beiläufiger, leichter. ‘Im Schreiben sind wir fast schon Gegenpole’, findet die Jelinek. (...) Hanna Laura Klar stellt beide Dichterinnen gleichermaßen ausführlich vor - die unbekannte Elfriede Gerstl, für die der Zuschauer bald eine große Sympathie empfindet, ebenso wie Elfriede Jelinek. Und gerade indem sie beide und ihr Verhältnis zueinander dokumentiert, charakterisiert sie die Frauen: Es fällt auf, wie innig sie miteinander umgehen. Elfriede Jelinek, die berühmtere, läßt ihrer Freundin den Vortritt, läßt sie reden und drängt sich niemals vor. Die analytische, erbarmungslose, engagierte, provokative Elfriede Jelinek, hier ist sie sensibel, verletzlich und schüchtern.“ (Katharina Deschka-Hoeck, in : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.09.2003)