Köln, am 19.10.2013
Lieber Gerd Conradt,
Sie wollten gern schriftlich haben, warum ich Ihr Film-Selbstporträt „Video Vertov“ für gelungen und für sehenswert halte. Ich fasse mich kurz.
1. Weil Sie so offen die Schwierigkeiten eines Lebens Jahrgang 1941, Ihres Lebens, benennen läßt sich auch all das Chaotische und Tragische nachvollziehen, das Sie zu erzählen haben. Für diesen besonderen, sehr direkten Menschen, den wir kennen lernen, der sich nie ängstlich heraushält, hat das eine große Folgerichtigkeit.
2. Weil Sie Ihr Handwerk gelernt haben und es beherrschen. Obwohl daraus kein kontinuierliches Filmwerk entstehen konnte, lassen die vielen Zitate aus Ihren zahlreichen Aufnahmen immer wieder Ihre Neigung und Ihre Fähigkeit zu leidenschaftlicher Anteilnahme erkennen. Aus Ihrem Gefühl heraus montieren Sie auch gewagt, werden nie langweilig. Dasselbe gilt für die Musik, die Sie wählen und wie sie in der Montage mit ihr umgehen.
3. Weil Sie ein Zeitzeuge sind. Das fasziniert mich persönlich sehr! Sechs Jahre älter als Sie, war ich kein 68er, bestaunte aber aus sicherem Abstand zugleich begeistert und erschreckt die Bewegung: schlagartig fühlte ich mich schon mit Dreiunddreißig irgendwie veraltet. Auch Ihnen, der mittendrin war, hat es den Boden unter den Füßen weggezogen. Aber zugleich haben Sie als ‚der Mann mit der Kamera’ immer wieder großen Anteil genommen. Ihr kurzes, bewegendes Rede-Zitat von Rudi Dutschke z.B. lässt wieder fragen: traf der Schuss auf ihn das Herz der Bewegung? Es berührt tief, wie respektvoll dezent und wie deutlich Sie seine tapfere amerikanische Frau und dann Witwe gesehen haben.
4. Weil Sie Ihre eigene Geschichte bewahren. So dachten Sie in Ihrem Herzen an den tragischen Tod Ihrer Frau als Sie Jahre später ihren Ashram in Indien besuchten, das Glück der selbstvergessenen Sannyassin nachvollzogen und die Faszination des Meisterguru erforschten mit seiner beindruckenden philosophischen Antwort auf Ihre Frage nach dem Unterschied zwischen Wort und Bild.
Lieber Gerd Conradt, reicht das? Noch eine Coda: Ihr Vertov-Zitat, die filmisch wunderbare Berliner Rote-Fahnen-Sequenz hatte, weil zugleich Metapher auf 68, es verdient, in Venedig mit einer zusätzlichen Version als Kunst repräsentiert zu werden.
Mit besten Grüßen
Ihr Egon Netenjakob