| Falsche Wort, Das | ||
PRESSESTIMMEN | |||
Pressestimme Ungeheuerlich mutet die Geschichte der wenigen Überlebenden dieses Völkermords an, die sich auch nach dem Krieg nicht nur weiterhin der alltäglichen Diskriminierung ausgesetzt sahen, sondern denen in den meisten Fällen die Anerkennung als aus rassistischen Gründen Verfolgte verwehrt wurde. Als katastrophal erwies sich vor allem ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 1956, dass davon ausging, dass Zigeuner erst nach dem Auschwitz-Erlass Himmlers von Dezember 1942 aus rassischen Gründen verfolgt worden seien und alle vorhergegangenen Maßnahmen der NS-Machthaber wie Zwangsumsiedlung, Lagerhaft usw. lediglich 'kriminalpräventive' Gründe gehabt hätten. Nur wenige der Überlebenden hatten die Kraft, durch mehrere Instanzen hindurch vor Gericht wenigstens eine materielle Entschädigung für erlittene gesundheitliche Schäden, für den Tod von Familienangehörigen oder den Verlust von Hab und Gut zu erstreiten. In vielen Fällen sahen sie sich dann noch mit 'Sachverständigen' konfrontiert, die vor 1945 dem NS-Staat als Rasseforscher oder Polizeischergen gedient hatten. Zudem fehlten den meisten Pässe, Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden, die Dokumente also, ohne die kein Gericht willens war, die Berechtigung ihrer Forderungen anzuerkennen. Wertvolle Dokumente Es ist dieser Hintergrund, der dem Film von Melanie Spitta und Katrin Seybold seine Tragweite verleiht. Denn es gelang den Autorinnen, in Archiven der Bundesrepublik und der DDR gerade solche Dokument zu finden, wie sie in vielen Entschädigungsprozessen gefehlt hatten. Darunter sind zum Beispiel Polizeiakten, aus denen hervorgeht, dass schon 1936 erste Lager eingerichtet wurden, dass schon 1938 bis dahin unbescholtene Bürger einzig deshalb in Konzentrationslager kamen, weil sie keiner sesshaften Arbeit nachgingen, sondern ein Wandergewerbe betrieben. Zigeuner=Arbeitsscheuer, eine simple Gleichung, der auch heute noch viele anhängen. Darunter sind Stammbäume, Fotos, Fingerabdrücke, Gipsabdrücke von Köpfen und anderes Material der NS-Rasseforscher, die zwischen 1937 und 1942 rund 30 000 deutsche Sinti und Roma akribisch erfassten, vermaßen und in 'Voll'-, 'Halb'- und 'Viertelzigeuner' sowie 'Zigeunermischlinge' unterteilten. Mit dieser Datenbank schufen sie die Grundlage für die nachfolgende Vernichtungsaktion. Mit Dokumenten, Familienfotos, Aussagen von Sinti, die ihrer Familienangehörigen beraubt, die geschunden und zwangssterilisiert wurden, erzählt Melanie Spitta von diesem Mord an ihrer Familie, an ihrem Volk und von der nachfolgenden Erniedrigung versagter Wiedergutmachung. Zugleich ist 'Das falsche Wort' auch eine eindringliche Warnung vor der Pervertierung wissenschaftlicher Akribie, wenn sie sich wie hier zur Handlangerin eines Polizeitstaates macht. Fotos der Täter mit ihrem 'Forschungsmaterial', Filmaufnahmen, die Eva Justin, Mitarbeiterin der 'Rassehygienischen Forschungsstätte' des Robert Ritter, von Zigeunerkindern machte, Zitate aus Forschungsberichten, mit denen die 'wissenschaftliche' Rechtfertigung für die Vernichtung bereits vorweg geliefert wurde, gehören zu den erschütterndsten Momenten dieses Films. Endlich Anerkennung? Dennoch hätten die Gutachten, Stammbäume und Polizeiakten nach 1994 den Überlebenden wenigstens noch als Beweis ihrer Existenz vor Gericht helfen können, wenn sie ihnen denn zugänglich gewesen wären. Statt dessen lagerten sie jahrzehntelang im Verborgenen, in den Kellern ehemaliger NS-Rasseforschern, in Universitäten oder Polizeidienststellen. Erst nach massivem Protest der Sinti und Roma wurde der Großteil dieser Akten in Bundes- und Länderarchive übergeführt und damit für die Betroffenen auffindbar. Diese aber sind oft nicht mehr am Leben oder vom jahrelangen vergeblichen Kampf um die Anerkennung des an ihnen begangenen Unrechts entmutigt. 'Wiedergutmachung oder wider die Gutmachung?' lautet der Titel eines 1979 erschienen Aufsatzes über den Umgang der bundesdeutschen Nachkriegsjustiz mit den Entschädigungsforderungen der Sinti, der mir Angesichts des Films 'Das falsche Wort' wieder einfiel. Wiedergutmachung ist tatsächlich das falsche Wort. Und schmerzlich machen die bewegenden Aussagen der Sinti noch einmal bewusst, dass die Greueltaten der NS-Schergen nicht wieder gutzumachen sind, und schon gar nicht mit Geld. Den Opfern aber diese Form der Entschädigung und damit auch die Anerekennung von Schuld vorzuenthalten, fügt dem alten Unrecht neues hinzu. Schon allein darauf hingewiesen zu haben, macht das Verdienst dieses Dokumentarfilms aus. Martin Taureg in Neue Züricher Zeitung |