| Ausbildung, Die | ||
D 2010, 90 Min., Farbe, digital | |||
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FESTIVALS / AUSZEICHNUNGEN | |||
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INTERVIEW | |||
Dirk Lütters Langfilmdebüt DIE AUSBILDUNG betrachtet die moderne Arbeitswelt aus der Perspektive des 20-jährigen Jan, einem Auszubildenden in einem Call Center. Festivalblog hat mit dem Regisseur über seinen Film und über das, was Unternehmen von heute ihren Angestellten im Arbeitsalltag abverlangen. Wie bist Du darauf gekommen, das Drehbuch so auf die Person des Auszubildenden zuzuspitzen? Das es ein Auszubildender ist, war wirklich die erste Idee. Ich habe Ende der 90er Jahre einen Dokumentarfilm über drei Freunde gemacht, der 2001 rausgekommen ist. Er heißt „50374 Erftstadt“, so wie der Ort aus dem ich komme. In dem Film habe ich versucht, so etwas wie den Prototypen eines jungen Lebens in Westdeutschland zu zeichnen. Es geht um drei Freunde, die nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht haben, angefangen haben zu arbeiten und damit auf unterschiedliche Art und Weise ihre Probleme hatten. Das war eben das ganz normale Leben dort in der Kleinstadt – auch in meiner Familie. Und mich hat immer interessiert, was da mit den Menschen macht und wie das prägt, wenn man mehr als die Hälfte des wachen Tages eine andere Person ist, als die, die man eigentlich ist. Du meinst, dass man quasi eine Rolle spielt. Genau. Wenn man etwas repräsentieren muss, etwas leisten soll und sich in gewisser Weise auch verstellen muss. Als zweites Phänomen ist mir der Konsum aufgefallen, den ich ja auch betrieben habe. Deswegen habe ich darüber nachgedacht, ob und wie das zusammenhängt – Arbeit und Konsum. Die Ausbildung ist ja eine Art Übergangszeit zwischen Schule und Arbeit, in der man noch nicht ganz in den Betrieb eingebunden ist, da hat man noch Welpenschutz. Erst danach beginnt dann der totale Ernst des Lebens. Dein Interesse galt also dieser Sondersituation? Die meisten Coming-of-Age-Filme handeln von jungen Menschen, die auf Widerstände stoßen, Hindernisse überwinden und so zu einem eigenständigen Menschen werden, der seine eigenen Entscheidungen trifft. Das halte ich für eine ziemliche Romantisierung. Ich sehe das nicht so. Die Schulzeit ist zu einem guten Teil Vorbereitung auf das Arbeitsleben, pünktlich kommen, still sitzen, von anderen gestellte Aufgaben bewältigen. Nach der Schule kommt man ja eigentlich nur in die nächste Stufe, also die Ausbildung, und das hat für mich wenig mit Selbstbestimmung und Selbständigkeit zu tun. Im Beruf sind dann viele komplett fremdbestimmt und fern von Sinnerfüllung, stehen obendrein noch unter enormem Leistungsdruck. Deswegen war für mich dieser Angelpunkt zwischen Schule und Beruf gut geeignet. Zusätzlich gibt es in diesem Alter dann noch diese Dinge, die einen Ausgleich darstellen sollen: Das Einkaufen, das Autofahren, die Discobesuche – wie wir eben früher so durch die Provinz gerast sind. Das war ja eigentlich totaler Quatsch (lacht). Dann passt man sich Stück für Stück so ein. Das ist mir auch an der Hauptfigur Jan aufgefallen. War das von Anfang an so angelegt oder hat sich das erst in der Arbeit mit dem Schauspieler Joseph Bundschuh ergeben? Denn Jan ist ja ein unglaublich kontrollierter junger Mann, der ja fast gar nichts von einem Jugendlichen hat. Er hat nichts vom Klischee eines Jugendlichen. Selbstkontrolle ist ja heute das Wichtigste im Berufsleben und das ist sehr allumfassend geworden. Wenn man heute in diesen ganzen Dienstleistungsberufen nicht selbstkontrolliert ist, fliegt man halt raus. Man muss immer die Form wahren und die Fassade aufrecht erhalten. Diese Leute habe ich auch schon in meiner Jugend gesehen. Das Klischee, dass Jugendliche über die Stränge schlagen und ausbrechen, stimmt ja nicht. Das ist nur ein kleiner Prozentsatz. Mein Eindruck von den jungen Leuten die ich getroffen habe, zum Beispiel auch während des Castings, war, dass – wenn überhaupt – ein ganz kontrollierter Ausbruch stattgefunden hat. Die unkontrollierte Jugend ist ein Filmklischee. Der Berufsterror geht ja heute schon mit 14 in der Schule los. Was will ich werden? Wie schreibe ich eine Bewerbung, Auslandsaufenthalt, Praktika für den Lebenslauf, usw.? Jugend hat für mich nichts mit Undiszipliniertheit zu tun. Ich wollte einen Jugendlichen zeigen, der schon sehr erwachsen ist. Und da passte Joseph Bundschuh genau. Er kann das sehr gut. Joseph ist ein ganz erstaunlicher Schauspieler, weil er ungeheuer präzise ist. Das hat, glaube ich, auch damit zu tun, dass er Trommler in einer Band ist. Er hat viel Gefühl für Rhythmus und Bewegungsabläufe. Gleichzeitig ist er auch als Mensch sehr konzentriert. Von seiner Lebenseinstellung hat er mit der Figur Jan gar nicht soviel gemeinsam, aber wie haben mit der Coachin Daniela Holtz daran gearbeitet, Gemeinsamkeiten zwischen der Rolle und der eigenen Persönlichkeit zu finden. Das hat uns bei der Arbeit sehr geholfen die jugendlichen Figuren Jan und Jenny emotional zu unterfüttern. Wir haben drei Tage in verschiedenen Schauspielerkonstellationen mit ihr gearbeitet. Das Drehbuch ist sehr spartanisch, weil Du Sprache sehr sparsam und genau einsetzt, deswegen haben die Schauspieler Raum zu spielen. Wieviel Zeit und Mühe hat Dich das gekostet? An dem Drehbuch habe ich vier Jahre gearbeitet. Im Schnitt ist noch einiges rausgeflogen. Ich habe im Schnitt wieder viel gelernt. Die wenigen Worte waren so angelegt. Dialoglastige Filme finde ich nicht so interessant, weil sie dem Zuschauer meistens keinen Raum zum Nachdenken lassen. Da wird der Zuschauer häufig mit Gefühlsbehauptungen oder Gefühlssimulationen bombardiert. Mir sind die Pausen zwischen den Sätzen wichtig. Damit wollte ich einerseits die Hemmungen und den fehlenden Zugang zu den eigenen Gefühlen und den Gefühlen des Gegenübers darstellen und bestimmte Sätze betonen; andererseits geben der sparsame Einsatz von Dialog und Pausen zwischen den Dialogen dem Zuschauer Raum, um selbst zu denken. Filme, die ich mache, Filme überhaupt, sind schon manipulativ genug. In 99 Prozent der Filme haben die Zuschauer inmitten von Text, Musik, Bildern und Schnitt gar keine Zeit für eigene Gedanken. Das finde ich furchtbar. Es ist auch mal gut, wenn sich der Zuschauer zwischendurch langweilt. Dann geht das denken los, bei mir zumindest ist das so. (lacht) Der Film ist auch in seinen Bildern sehr wirkungsvoll. Was war der Leitfaden für die Kameraarbeit von Henner Besuch? Für die Bildgestaltung war es wichtig, das Strukturelle der Welt, in der Jan lebt, sichtbar zu machen. Die Bildausschnitte sollten wie Teile einer Struktur wirken. Die Umgebung ist dafür wichtig und muss sichtbar sein, denn sie steht für die Struktur. Vertikalen bestimmen zum Beispiel die Arbeitsräume und grenzen die Menschen bildlich ein. Durch die Wiederholung von Orten und Einstellungsgrößen stellt sich dieser Effekt zusätzlich ein, ebenso durch wenig Kamerabewegung. Das lässt auch dem Zuschauer auch Zeit zum Wahrnehmen, Entdecken und Denken. Außerdem sollte wenig Horizont im Bild sein, wenig freier Blick - und wenn, dann begrenzt, zum Beispiel. durch Fensterrahmen, etc. Das Licht haben wir in der Regel und wenn möglich relativ flächig gemacht, damit der Mensch im Bild keine schützenden Schatten hat – ein Symbol dafür, dass es kein Entkommen innerhalb des Systems gibt. Darüber hinaus sind die Dinge, besonders in der Firma und im Einkaufszentrum genauso hell wie die Menschen. Die Dinge als Vertreter der Struktur stehen also mit den Menschen auf einer Hierarchieebene. Das Bild der Arbeitswelt, das der Film zeigt, ist ja fast hoffnungslos. Ist das Dein Bild der gesamten Arbeitswelt. Du kritisierst vor allem die Disziplinierung. Wie gehst Du eigentlich damit um, dass gerade das Filmemachen soviel Disziplin verlangt? Erstmal zu dem Widerspruch: Natürlich ist Filmemachen – vor allem der Dreh und das Drehbuchschreiben – ungeheuer diszipliniert. Das ist vor allem für die schwierig, die am Set nicht Heads of Department sind. Ich habe ja auch als Kamera-Assistent gearbeitet. Da wechseln Zeiten totaler Ödnis mit Zeiten totaler Konzentriertheit und Überlastung – ziemlich schrecklich. Man kann bestimmt entspannt Filme machen. Ich kann das noch nicht. (lacht) Ich bin ja auch Teil des Systems und davon geprägt. Damit muss ich leben, aber ich arbeite daran. Was die Arbeitswelt betrifft, glaube ich, dass ein Großteil so funktioniert wie im Film. Es gibt Ausnahmen, aber je Profitgetriebener ein Arbeitsplatz ist, je größer ein Unternehmen, umso mehr ist man Rädchen, muss man funktionieren. Arbeitsteilung ist zwar ökonomisch effektiv, aber immer das Gleiche zu machen, ist doch sehr langweilig. Arbeit kann in diesem System nur so funktionieren, es geht ja um Profit, nicht um Menschen. Häufig fehlt auch noch der Sinn, weil man ja nichts herstellt, was wirklich essentiell wäre, was man selber oder andere dringend brauchen, sondern irgendwas, was irgendwem Geld einbringen soll. Aus Festivalblog Berlinale, das Interview führte Steffen Wagner. | |||
TEXTE ZUM FILM | |||
WIE SICH ZEITEN ÄNDERN von Christian Ziewer, Oktober 2011 Anläßlich des 40-jährigen Jubiläums von Basis-Film Verleih hielt der Filmemacher Christian Ziewer eine Rede, in der er über zeitgeschichtliche Veränderungen und ihre Folgen für Filme des Verleihs sprach. Dabei verglich er u.a. Ausschnitte eines eigenen Films aus der Frühzeit dieser Firma mit Szenen ihres jüngsten Films, Dirk Lütters DIE AUSBILDUNG von 2011. 4o Jahre Basis-Film Verleih Berlin Als wir uns entschieden, für den heutigen Abend einige Filmausschnitte aus unserer Anfangszeit wie auch aus der jüngsten Gegenwart auszuwählen, sollten diese Beispiele etwas über die Veränderungen aussagen, die unsere Arbeit in den vergangenen 4o Jahren erfahren hat. Uns war klar, daß es nicht möglich sein würde, das ganze umfassende Spektrum des Basis-Film Verleihs zu repräsentieren. Also beschränkten wir uns auf ein einzelnes Thema, und zwar eines, das von Beginn an ein Schwerpunkt unserer Arbeit war, ja, das überhaupt der Grund für die Gründung des Basis-Film Verleihs gewesen ist: nämlich der Komplex des Sozialen und Ökonomischen, gespiegelt in betrieblichen und privaten Auseinandersetzungen. „Realistische Filme über den alltäglichen Klassenkampf“ – so war der Titel unseres ersten Verleihprogramms. Und so engagiert kämpferisch er lautete, so zielstrebig und optimistisch waren auch die Filme, die wir in die bundesrepublikanische Öffentlichkeit schickten: Hoffnungsvoll auf gesellschaftliche Veränderungen gerichtet, setzten sie sich mit ihren Botschaften und stilistischen Mitteln für ein gerechteres Leben, ein Leben in Würde und Anerkennung ein. „Mehr Demokratie wagen“- das war in jenen Jahren die Parole bei bürgerlichen und gewerkschaftlichen Initiativen; „Unter den Talaren – der Muff von tausend Jahren“ wurde von Studenten einem verknöcherten System entgegengerufen; „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ sang eine außerparlamentarische Opposition in ihren Liedern; die Schüler- und Lehrlingsbewegung wollte nicht mehr stillhalten und produzierte Zeitungen und Aktionen; Basisgruppen in Betrieben stärkten die Belegschaft beim Kampf mit Geschäftsführung und Kapitaleigentümern. Große Streiks Ende der 6oer, Anfang der 7oer Jahre, Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, Anti-Springer-Kampagnen, Kinderläden, eine erstarkende Frauenbewegung, Hausbesetzungen und später der Widerstand gegen die Räumungen - das sind Stichworte für die Zeit, in der wir unsern Spielfilm „Schneeglöckchen blühn im September“ herausbrachten. Daraus sind unsere ersten beiden Filmausschnitte. Sie erzählen von der Krise und von der Depression einer Arbeiterschaft, in deren Betrieb Abteilungen geschlossen, Leute entlassen und der verbleibenden Belegschaft die Löhne gekürzt werden sollen. Im späteren Verlauf schildert der Film dann, welche Aktivitäten die Arbeiter entwickeln, wie sie es schaffen, aus der Vereinzelung herauszufinden, zeitweise von privaten Interessen und Egoismen abzusehen und schließlich durch einen Streik die Demontage ihrer Rechte und Löhne abzuwehren, ein Erfolg, der sie in euphorischer Gemeinschaft singen läßt „So ein Tag, so wunderschön wie heute.“ Doch nicht diesen Optimismus verströmenden Teil des Films, nicht den Sieg seiner Arbeiterhelden, gemäß dem Schema einer „Durchs-Dunkel-zum-Licht“- Dramaturgie, wollten wir Ihnen hier vorführen - obwohl doch gerade das ziemlich genau eine in jenen Jahren vorherrschende Auffassung von Klassenkämpfen widerspiegeln würde. Uns schien indessen für den heutigen Abend schöner und nützlicher, dem Teil des Films zuzuschauen, der zeigt, wie diese Arbeiter zweifeln, zögern, nicht weiter wissen und resignieren wollen, aber auch wie sie nachdenken, aufmerksam sind, nach Lösungen suchen. Wenn wir sehen, wie in diesen Menschen ein Wille entsteht, das eigene, persönliche Interesse mit dem Interesse zu verbinden, das allen gemeinsam ist, wie ihre Würde und ihr Stolz auch in einer möglichen Niederlage zum Ausdruck kommt, wie fundiert ihr Zorn ist – wobei uns gleichzeitig klar wird, wie zynisch der heute so gedankenlos dahergeschwätzte Begriff vom „Wutbürger“ benutzt wird – wenn wir beobachten, wie sie ihren Nachbarn und sich selbst mit bitterem Humor trösten, weil sie damit ihre eigene Zukunftsangst wegschieben, die sie sich zugleich doch eingestehen – dann gibt uns das ein Bild menschlicher Wahrhaftigkeit, die wir in unserer Realität oft übersehen. Es kann Mut machen und ein Fünkchen vom großen Prinzip der Hoffnung im Kino lebendig erhalten – jenseits aller dröhnenden Heilsversprechen. Das meinten wir vom Basis-Film Verleih damals, 1974, mit jener Überschrift „Realistische Filme über den alltäglichen Klassenkampf“. Der Sprung in die Gegenwart von 2o11 mit dem Film „Die Ausbildung“ von Dirk Lütter: zwei Szenen eines alles vernichtenden Scheinfriedens. Ein junger Mann ist dabei, im Service-Center eines Unternehmens den freundlichen, dienstfertigen, am Umsatz orientierten Kundendienst zu erlernen. Ein offenes, ehrliches, liebenswertes Gesicht blickt uns an. Und während der Film diesen jungen Mann in langen, ruhigen Einstellungen und Tableaus beobachtet, ihn in beharrlichen Fahrten und Schwenks durch seine Arbeitswelt führt, zum Familien-Frühstück, zum Geschwindigkeitsrausch der Autofahrten, zum süchtigen Genießen der Warenwelt und der Masturbation vor Computerbildern, wird für uns Zuschauer immer deutlicher, welchen Belastungen er ausgesetzt ist und wie wenig er sich dagegen wehren kann. Wohl mag er diese Situation als Streß empfinden – sein Schweigen sagt viel darüber aus - aber als ein konsequentes System von Unterdrückung und Entmenschlichung wird sie ihm nicht bewußt. Bevormundung durch seinen mit allen Wassern der „Mitarbeiterführung“ gewaschenen Vorgesetzten, Überwachung und die sich als Anteilnahme tarnende Aufforderung zur Denunziation; der Zusammenbruch einer Kollegin, die ihn als „Auszubildenden“ anleiten und formieren soll, die aber in den Augen dieses Chefs, Statthalter des Unternehmens, zu wenig Leistung liefert; die Entlassung seiner Mutter, Betriebsrätin im selben Betrieb und nicht von ausreichender Fügsamkeit; und schließlich der Abschied von einer jungen Kollegin, in die er sich verliebt hat und die eine Arbeit in einer anderen Stadt annimmt, weil sie das ständige Vertrösten auf eine spätere Festanstellung satt hat – das sind Stationen, in denen die Bereitschaft des Protagonisten, in möglichster Harmonie mit seiner Umwelt zu leben, unaufhebbaren Schaden nimmt. Unter dem Eindruck dieser Schocks bildet sich der Berufscharakter des jungen Mannes heran, findet seine Persönlichkeit ihren individuellen und zugleich zeitgemäß repräsentativen Ausdruck. Er bleibt ohne die kämpferische Solidarität, von der die „Schneeglöckchen“ 4o Jahre vorher noch erzählt hatten, bleibt ohne den Optimismus, ohne die Hoffnung auf Veränderung, ohne das Vertrauen in gewerkschaftliche Organisationen, von denen die Arbeiter dort noch getragen waren. Stattdessen findet er nur den Weg in Privatheit und Isolation. Am Horizont zeigen sich Regression und psychische Krankheit – die Arbeitsmediziner können ein Lied davon singen. Agenda 2o1o, Hartz IV, Rente-ab-67, Aufkündigung des Kündigungsschutzes, Leih- und Zeitarbeit, Globalisierung mit Umweltkatastrophen, Spekulationsblasen, Rettungsschirmen und Steuersenkungen für die Reichen, Gentrifizierung, elektronische Überwachung, korrumpierte Parteien und ein unerträgliches Lobbyisten- und Klientelwesen zerstören das Vertrauen in den Staat und seine Vertreter. Übrig bleibt die Mentalität der Ellbogengesellschaft. Übrig bleiben besinnungslose Anpassung und vielleicht die ohnmächtig geballte Faust in der Tasche; einige sehen in angezündeten Nobelkarossen eine anarchische Alternative; und es bleibt ein Prekariat, das sich in ständiger Unsicherheit nach der Decke strecken muß. Aber im Film „Die Ausbildung“ wird auch noch etwas ganz anderes sichtbar: Wir können es in den von der Kamera so beharrlich beobachteten Blicken entdecken, mit denen der junge Mann seine Welt anschaut, in der so menschlichen Aufmerksamkeit, mit der er seine Augen auf das richtet, was um ihn her ist. Da gibt es ein Geheimnis in seinem Schweigen, das mehr ist als nur ein introvertiertes Verstummen. Es ist der Ohnmacht, mit der er sein Schicksals hinnimmt, entgegengesetzt. Ist darin eine unbewußte Ahnung von einem anderen Leben, die auf ihre Erfüllung wartet? Eine Ahnung von einem Leben, in dem er näher bei sich selbst ist, als in dem, zu dem er erzogen werden soll? Es wird uns nicht gesagt, es bleibt unaufgeklärt und vieldeutig wie die Volkslieder, die in märchenhafter Weise in den Film eingestreut sind. Wie in den früheren Filmen, die uns begeistert haben, weil sie, wenn auch ganz anders, unsere Einbildungskraft und unsere soziale Phantasie erregten, sehen wir auch in diesem ein „utopisches Fenster“, das sich, vielleicht nur für einen winzig-kurzen Moment, öffnen kann, um den Blick freizugeben auf ein anderes Sein. So schließt auch dieser Film an das an, was wir vor nun 4o Jahren begonnen haben. Der weise Sokrates würde sicher dazu sagen: „Es lohnt sich zu wagen, daß man glaube, es verhalte sich so.“ |