| Man From London, The | ||
Ungarn/Frankreich/Deutschland, 2007 / s/w / 35mm / digital / 1:1,66 / stereo / 139 Min / französisch und englisch mit deutschen Untertiteln | |||
BESETZUNG | |||
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STAB | |||
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BIOGRAFIE | |||
Béla Tarr wurde 1955 in Pécs, Ungarn geboren. Im Alter von 16 Jahren begann er seine Karriere als Amateurfilmemacher. Er arbeitete auch im Schiffsbau im Hafen. 1977 machte er sein Langfilmdebut FAMILIEN NEST. Er ist Gastdozent an der DFFB in Berlin. | |||
FILME | |||
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INTERVIEW | |||
Licht aus einer dunklen Umschalung befreit Interview mit Fred Kelemen von Verena v. Stackelberg Fred Kelemen, der als Kameramann den Film THE MAN FROM LONDON gedreht hat, wurde in West-Berlin geboren und ist auch als Regisseur und Drehbuchautor tätig (seit 1994: VERHÄNGNIS, FROST, ABENDLAND, GLUT). Er inszenierte zudem Theaterstücke (DESIRE , Prater der Berliner Volksbühne, FAHRENHEIT 451, Staatstheater Hannover etc.) und ist Gastdozent an verschiedenen Filmschulen. Fangen wir am Anfang an. Wie haben Sie sich kennen gelernt? Sie waren ja Student an der dffb, wo auch Béla Tarr unterrichtet hat – er sagte in einem Interview, Sie wären sein Lieblingsstudent gewesen. Fred Kelemen: Ich war damals Student an der dffb. Doch ich hatte zuvor Studien der Malerei (bei einem Schüler Oskar Kokoschkas) und Musik betrieben, Theater-und Filmwissenschaft und Philosophie studiert, an verschiedenen Theatern als Regieassistent gearbeitet und mit Freunden Videofilme gedreht, die mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet wurden, bevor ich an der dffb mit dem Studium begann. Ich hatte also bereits gewisse künstlerische Vorstellungen. Béla arbeitet jetzt schon seit vielen Jahren mit Studenten. Ich weiß nicht, wie er das heute tut. Damals jedenfalls war er kein Lehrer in dem Sinne, daß er einem sagte, wie man etwas tun sollte. Er vermittelte keine Tricks oder Rezepte, schon gar keine Regeln. Sondern er hörte sich erst einmal an, was jemand vorhatte, und stellte entsprechende Fragen. Er stellte gute Fragen, die einen, wenn man aufmerksam, hartnäckig, gründlich, kritikfähig und leidensfähig war und sich nicht irritieren ließ, auf die eigene Spur bringen konnten. Diese Art von Ringen um den eigenen Ausdruck hat mir sehr gelegen. Aber es war nicht jedermanns / jederfrau Sache. Ich habe auch Studenten gesehen, die nach einem Gespräch mit Béla mit Tränen in den Augen ihr Drehbuch in den Mülleimer warfen und nie wieder kamen. Begegnet sind Béla und ich uns zum ersten Mal außerhalb der dffb. Wir haben uns in einem Berliner Café gesehen, nach einer Aufführung seines Filmes KÁRHOZAT im Arsenal. Wir saßen an verschiedenen Tischen, kannten uns nicht, nahmen uns aber wahr. Dann traf ich ihn zufällig wieder, als er eines Morgens im Büro der dffb saß. Er konnte sich an mich erinnern und erzählte mir, dass er an der dffb am selben Morgen ein dreitägiges Seminar zu leiten beginnen würde, das für Studenten der höheren Jahrgänge bestimmt war, und fragte mich, in welchem Jahrgang ich studieren würde. Ich war zu jung für sein Seminar, fragte ihn aber, ob ich dennoch teilnehmen könnte. Er sagte Ja und lud mich dazu ein. Darauf ging ich zum Studienleiter und teilte ihm mit, dass ich nun bei Béla drei Tage an dessen Seminar teilnehmen würde. Er wollte es mir allerdings nicht erlauben. Ich tat es trotzdem und verschwand im Keller der dffb, wo das Seminar stattfand. Während dieser drei Tage haben Béla und ich uns besser kennen gelernt. Hauptsächlich drehte ich als Kameramann die Übungen der anderen Studenten. Am Ende des Seminars war Béla und mir wortlos klar, daß wir uns wieder sehen würden und wir tauschten unsere Telephonnummern. Ich hatte eine sehr ähnliche Auffassung von Bildern, von der Art die Kamera zu bewegen etc. wie Béla. Immer wenn ich später in Budapest war, um Verwandte von mir zu besuchen, oder wenn Béla nach Berlin kam, haben wir uns getroffen. Oder wir telephonierten alle paar Monate mit einander. Unser Kontakt brach während der vielen Jahre nie ganz ab. Und so ist dann irgendwann auch unsere Zusammenarbeit entstanden. Und dann haben Sie mit ihm an JOURNEY TO THE PLAIN gearbeitet, war das eine Art Test für die zukünftige Zusammenarbeit? F. K.: Nein, das war kein Test. Es war 1995, ein Projekt für das ungarische Fernsehen. Béla hatte mich angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, das zu drehen. Der Film basiert auf Gedichten des ungarischen Dichters Sándor Petöfi. Seine auf Flugblätter gedruckten und verteilten Texte waren 1848 mit auslösend für die Revolution. Damals konnten Dichter noch Revolutionen entfachen. Béla und ich haben für den Film die Texte ausgewählt und besprochen und sind dann mit einem kleinen Team und dem Schauspieler in die ungarische Tiefebene gefahren und haben dort diese Szenen gedreht. Wir haben sehr improvisatorisch gearbeitet, wobei wir wieder bemerkten, dass wir sehr ähnliche Vorstellungen hatten. Wir diskutierten nie über die Kameraposition, sondern wir hatten, wenn wir am Drehort waren, immer die gleiche Vorstellung davon, wo der beste Standpunkt für die Kamera wäre, und wie eine Bewegung an den je konkreten aussehen mußte. Sie teilen eine visuelle Intuition. F. K.: Wir haben eine sehr ähnliche visuelle Vorstellung, ja. Wir haben einen ähnlichen visuellen Zugriff auf Räume und auf Vorgänge. Wobei wir uns natürlich in vielem auch unterscheiden; nicht nur persönlich und in einigen entscheidenden Punkten in unserem Blick auf die Welt, sondern auch in der Arbeit, zum Beispiel was die Arbeit mit Schauspielern betrifft. An der dffb gab es zur Zeit des schon erwähnten dreitägigen Workshops von Béla keinen Dolly. Aus ideologischen Gründen, weil es an der dffb als Erbe des „Geistes der 68er“ verpönt war, einen Dolly zu benutzen; einem Dolly haftete der Geruch von „Hollywood“ an. Als ich meine ersten Übungsfilme drehte, wollte ich die Kamera sofort bewegen, da die Bilder in meinem Kopf Bilder in Bewegung waren, „visions in motion“, wie Lászó Moholy-Nagy einmal schrieb, ein Fluß von Bildern, und dafür benötigte ich einen Dolly, wollte ich nicht ewig aus der Hand drehen, doch den gab es nicht. In dem Seminar mit Béla hatten wir allerdings einen kleinen Dolly, und den habe ich dann auch ausgiebig benutzt. Ich denke, das war so eine Sache an der Béla und ich bemerkt haben, dass wir visuell sehr ähnlich denken. Ich gehe zunächst immer von einem bewegten Bild aus. Und die Kamerabewegung ist bis heute ein ganz wichtiges Element des Erzählens für mich und für Béla ebenso. Darüber gibt es bei unserer gemeinsamen Arbeit keine Sekunde eine Diskussion. Gedreht wurde THE MAN FROM LONDON in Korsika mit einer Mischung aus ung., franz, engl. Stab. War Sprache ein Problem? Wie haben Sie kommuniziert? F. K.: Am Drehort wurde Ungarisch, Englisch und Französisch gesprochen und das war kein Problem. Der tschechische Hauptdarsteller hat seine Texte auf Tschechisch gesprochen, der ungarische auf Ungarisch, Tilda sprach Englisch und die französischen Darsteller sprachen Französisch. Jeder in seiner Sprache; ganz natürlich. Und da jeder wußte, was er sagte und was der andere sagte, war das auch für die Schauspieler kein Problem. Die Vorlage zum Film ist von George Simenons Buch „L’homme de Londres“. Inwiefern waren Sie in der visuellen Konzeption des Films involviert? F. K.: Das ist eine schwere Frage, da es zwischen Bélas und meinen visuellen Vorstellungen diese schon erwähnen Übereinstimmungen gibt. Béla ist glücklicherweise ein Regisseur mit einem visuellen Sinn, für ihn wie für mich ist Film eine visuelle Kunst. Daher gibt es keine klaren Abgrenzungen zwischen uns, wer das Bild „findet“, auch wenn es eine gewissen Methode der Findung gibt. Béla hat ein inneres Bild einer Szene und eine Vorstellung von der Atmosphäre, von der visuellen Gestimmtheit des gesamten Filmes, meistens auch vom Anfangs- und Schlussmoment einer Plansequenz, und natürlich auch davon, was eine Szene erzählen soll. Darüber tauschen wir uns vor dem Drehen aus. Am Drehort versuche ich, diesen visuellen Ton zu treffen, diese Atmosphäre real vor dem Objektiv der Kamera herzustellen und mit der Bewegung der Kamera zu erschließen und emotional zum Leben zu erwecken. Es kann nur gedreht werden, was real existiert. Und die Kamera muß die Seele dieses objektiv real Existierenden sichtbar machen. Es ist so, als würde ein Licht aus einer dunklen Umschalung der Gegenständlichkeit befreit. Doch die Filmkunst ist trotz ihres metaphysischen Wesens eine ganz reale Kunst. Am Drehort selber gibt es zwischen Béla und mir nicht mehr so viele Gespräche. Unsere Kommunikation läuft relativ still ab, da wir alles Wesentliche vorher geklärt haben. Am Drehort geht es um die konkrete Umsetzung, um das Physische. Und das ist eine Kooperation zwischen dem Fahrtmeister (Bühnenmann), Béla und mir. Die einzelnen Kamerabewegungen wurden von uns vorher festgelegt. Und was das Licht betrifft, wollte ich von Anfang an ein sehr hartes Licht setzen, sehr harte Kontraste, was ich ja schon in meinen anderen Filmen getan hatte. Mich hat schon immer die Malerei des deutschen Expressionismus sehr inspiriert, und bei „The Man from London“ bot sich das auch an, es hätte sogar gar nicht anders sein können. Bélas und meine Vorstellungen trafen sich auch in diesem Punkt. Welche Kamera und welches Filmmaterial haben Sie benutzt? F. K.: Wir drehten auf 35mm schwarz-weiß Material von ORWO, was an sich schon ein sehr hartes Material ist, und was einen sehr geringen Blendenumfang hat, also muss man sehr genau belichten und genau Licht setzen. Wir haben mit verschiedenen Kameras gedreht, einer Movie Cam Compact, einer Arri ST, da wir in den verschiedenen Drehphasen und an den verschiedenen Orten nicht die gleichen Kameras zur Verfügung haben konnten. Der Dreh wurde abgebrochen und dann später ging es erst wieder weiter. F. K.: Der Dreh wurde mehrmals unterbrochen. Aufgrund des Todes des französischen Produzenten (Humbert Balsan) musste die erste Drehphase 2005 abgebrochen werden. 2006 drehten wir ein paar Wochen in Ungarn und 2007 den großen Rest in Bastia. Es ist Bélas Hartnäckigkeit zu verdanken, daß der Dreh nicht komplett zusammenbrach, sondern wir uns so, stückchenweise, bis zum fertigen Film durchkämpfen konnten. Auch dieser Film ist, wie andere, der Realität regelecht abgerungen worden. Gehen wir noch einmal zu Simenon. Der Film befasst sich vor allem mit dem inneren Zustand der Protagonisten und das ist auch eine Faszination die Béla Tarr in seinen anderen Filmen zum Vorschein bringt. Inwiefern haben Sie sich mit dem inneren Zustand des Drehbuchs beschäftigt, um die Kameraarbeit zu konzipieren? F. K.: Wenn Béla und ich auf dem Papier unsere Skizzen für die Kamerabewegungen zeichnen, besteht keine Sekunde ein Zweifel darüber, dass es sich bei jeder Szene um lediglich eine Plansequenz handelt. Uns ist fraglos klar, dass ein Bild im Drehbuch eine durchgedrehte Szene ist, eine Zeitsequenz. So haben wir die Sequenzen, die Kamerabewegungen festgelegt. Das wird nicht groß diskutiert. Das geschieht natürlich und ist eine sehr intuitive Angelegenheit. Und beim Drehen wird es unter Wahrung unserer Sensibilität für all das was am Drehort und vor dem Objektiv der Kamera vor sich geht, umgesetzt. Was das Licht betrifft, wollte ich, wie schon gesagt, diese harten Kontraste, die zum Thema und zu der Strenge passen, die das Drehbuch hat, das schnörkellos und ohne Nebengeschichten die Vorgänge erzählt. Dadurch, dass auch viel in der Nacht spielt und die Nächte nicht romantische, warme Sommernächte sind, die ein weiches Licht zur Erzeugung einer weichen, warmen Atmosphäre gerechtfertigt hätten, sondern da es kalte, harte Nächte sind, lag es für mich auf der Hand, das auch inhaltlich abgestützt so zu leuchten, mit tiefem Schwarz und überstrahlten Elementen im Bild zu arbeiten, Licht mit scharfen Kanten, was auch völlig Bélas Vorstellung entsprach. Das korrespondiert auch mit der inneren Verfassung der Charaktere. Es geht nicht um romantische Gefühle, es geht um Geld und Gier, Verbrechen, Tod, Misstrauen, Verrat, Stolz, Sprachlosigkeit, Einsamkeit und Schuld und um die Gemeinheiten und Unsicherheiten, die damit zusammenhängen: Einer, der wenig Geld hat, kommt unverhofft zu viel Geld und weiß nicht, wie er damit umgehen soll, mit seinem Reichtum und dem Verbrechen und dem Tod, die daran hängen. Und natürlich geht es mehr um die Frage was das, was geschieht, mit einem Menschen tut, mit ihm anrichtet, als um die Frage, was äußerlich geschieht. Wobei das Äußere auch immer Abbild des Inneren ist. Hat Ihr eigener Film GLUT (Originaltitel: KRIŠANA) eine vorbereitende Rolle gespielt? F. K.: Nein. Als Béla mich bat, nach Korsika zu fliegen, um den Film zu drehen, hatte ich nicht einmal das Drehbuch gelesen und GLUT war längst gedreht und auf dem Internationalen Filmfestival Rotterdam, wo der Film Premiere hatte, und der Berlinale aufgeführt worden. Ich flog direkt nach der Berlinale nach Bern, wo eine Retrospektive meiner Filme präsentiert wurde. Als ich nach Berlin zurück kam, rief mich Béla an und bat mich, seinen Film zu drehen. Ich stimmte zu und flog drei Tage später zu den Dreharbeiten nach Korsika. Es gab keinen Zusammenhang zwischen den Dreharbeiten zu GLUT (KRIŠANA) im Jahr 2004 und den Dreharbeiten zu THE MAN FROM LONDON im Jahr 2005. Obgleich Béla GLUT (KRIŠANA) gesehen hatte. Ihre Filme haben viel gemeinsam, aber vor allem teilen Sie eine unzerstörbar scheinende eigene Vision und den Mut, eine Szene nicht zu schneiden, bis sie ihr natürliches Ende erreicht hat. Was für Parallelen und gemeinsame Interessen finden Sie in Ihrer Arbeit? F. K.: Mit Sicherheit teilen wir vor allem die Überzeugung, dass Film eine visuelle Kunst ist, und dass ihre Sprache deshalb auch auf Bildern basiert sein sollte und nicht auf gesprochenen Texten. Deswegen gibt es auch in Bélas und in meinen Filmen nicht so viele Dialoge. Es herrscht eine Priorität des Bildes. Dann glaube ich auch, dass das Bild eine bestimmte Qualität haben sollte, eine innere Strahlung, eine Ästhetik, daß es bewußt gestaltet sein sollte und nicht nur eine naturalistische Kopie der Oberfläche. Bilder hat das Fernsehen auch, doch das Fernsehen ist ein Massenmedium, und der Film ist eine Kunst, die eine spezifische Sprache hat, deren gestalterische Elemente in hohem Maße die Zeit, das Licht etc. sind. Das Bild ist eine komplexe Welt, ein Organismus der Sorgfalt zu seiner Erschaffung erfordert. Ich setze beim Zuschauer auf die Neugier und das Interesse, etwas zu sehen, das vom Herkömmlichen abweicht, sich auf eine Reise in ein vielleicht äußerlich fremdartiges Land zu wagen. Natürlich ist heutzutage ein Kinozuschauer hauptsächlich geprägt durch das, was er im Fernsehen sieht, aber das zu wiederholen auf der Leinwand wäre ein großer Verlust der kinematographischen Welt und ein Verrat am Kino. Diesen Verrat wollen weder Béla noch ich begehen. Und deswegen nehmen wir auch in Kauf, was in Kauf zu nehmen ist, wenn man eine derartige Überlegung verfolgt. Doch es ist, glaube ich, besser für was zu kämpfen, das man für wichtig hält, statt an seiner Zerstörung mitzuarbeiten. Weder Béla noch ich wollen an der Zerstörung des Kinos mitarbeiten oder an dem, was ich für das ureigenste kinematographische Wesen halte. Des weiteren haben wir gemeinsam, dass wir nicht dem Qualitätskriterium für einen Film anhängen, daß er ein Happy End zu haben hat; und das hat mit einem gewissen Glauben an die Möglichkeit der Wahrhaftigkeit dieser Kunst zu tun. Es gibt eine Wahrhaftigkeit, mit der man von Menschen erzählen kann und sollte, was aber gleichzeitig bedeutet, den Menschen ernst zu nehmen. Und wenn man das tut, kann man ihn nicht banalisieren. Wenn man einen Menschen ernst nimmt, muss man ihn auch in seiner Dunkelheit ernst nehmen und in seinen Tiefen und Ungereimtheiten, in seinem Schmutz, seinem Abgrund, seiner Zerbrechlichkeit und seinen Schmerzen, seiner Sehnsucht, seinem Kampf und seinen Möglichkeiten in jede Richtung. Sich in diese Regionen hineinzubegeben und davon zu erzählen, ist etwas, das Béla und ich teilen, also die Überzeugung, dass die Filmkunst nichts verharmlosen sollte, auch den Menschen nicht, und keinem Konformismus erliegen darf. Film sollte nicht Propaganda sein, zu welchen Zwecken auch immer, und nicht mit einfachen, billigen Lösungen handeln. Film, sollte, so weit wie möglich, wahrhaftig sein. Béla und ich verfolgen auch ein sogenanntes Autoren-Kino, wir glauben an den „Auteur“ im Kino, daran dass der Filmregisseur der Schöpfer seines Werks ist, und, bei aller Beteiligung des Teams, die künstlerische Kontrolle über das Werk hat, also eher wie ein Dichter arbeitet, der als Filmdichter in Zusammenarbeit mit den anderen Menschen, die er auf seinen Weg mitnimmt, sein Werk schafft. Und das steht in gewissem Kontrast zu einer industriellen Art der Produktion, bei der der Regisseur nur einen Teil zu beherrschen und anzufertigen hat, und eigentlich keinen Einfluss hat auf das Ganze, also die Aufgabe hat, an der Herstellung eines Produktes mitzuwirken, das anschließend hauptsächlich seinen weiteren Dienst im Zusammenhang der Verwertungsindustrie zu leisten hat. Ich glaube, Film unter diesen armseligen Aspekten zu betrachten und ihn dieser Mechanismen und den damit einhergehen unkünstlerischen, vorwiegend kapitalistischen Qualitätskriterien zu unterwerfen, sind Béla und mir gleichermaßen fern und zuwider. Wo sehen Sie die Zukunft des Autorenkinos? F. K.: Das weiß ich nicht. Da ich jetzt lebe fällt es mir schwer eine Aussage über die Zukunft zu treffen. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich morgen noch lebe. Wir sollten uns daher über die Gegenwart des Autorenfilms Gedanken machen. Hängt seine Zukunft doch von seiner Gegenwart ab. Und jetzt, zu dieser Zeit, ist es wahnsinnig schwer, diese Art von Film zu realisieren, d. h. finanziert zu bekommen. Das ist traurig, sogar dramatisch, und es gibt keine Gründe dafür, die dieser Art des Filmes selber entstammen, wie es auch sehr viele Tierarten gibt, die zum Aussterben gebracht werden, ohne daß das einzelne Tier oder die Art dafür ursächlich und verantwortlich sind; ursächlich sind das finanzielle Kalkül und ein destruktives, unserem kapitalistischen System immanentes Denken. Und so stellt eine bestimmte Art von Kino eine aussterbende Kulturart dar. Jeder, der die Kraft hat und das entsprechende Herz, das dafür schlägt, muss sich der Ausrottung dieser Kulturart natürlich entgegensetzen; das ist geradezu eine Pflicht für jeden ernsthaft an der Filmkunst interessierten Menschen mit vollentwickeltem Herzen. Ich weiß nicht, wie lange das zu schaffen ist, deshalb kann ich nicht sagen, was die Zukunft bringt. Ich weiß nicht, wie viele Leute bereit sind, sich dafür einzusetzen und die entsprechenden Schmerzen dafür zu ertragen, doch ich hoffe, dass es noch lange Personen gibt, die für diesen Aspekt von Filmkunst kämpfen und sich so einer Monokultur entgegenstellen. Ich hoffe ja immer, dass es Persönlichkeiten auf allen Seiten der Filmherstellung und -verbreitung gibt, die diesen Zugang zum Kino aufrecht erhalten, die alle Türen offen halten; nicht nur unter den Regisseuren, sondern auch unter den Filmförderern, Fernsehredakteuren, Produzenten, Verleihern, usw. und unter den Studenten, die den Sinn dafür finden und bereit sind, das zu verteidigen. Dann wird es das „andere“ Kino auch in Zukunft geben. Alles hängt vom Einzelnen ab. Wenn es das Autorenkino in den Herzen und im Bewußtsein gibt, wird es das auch auf der Leinwand geben. Sonst nicht. Es wird den künstlerischen Autorenfilm so lange geben, wie es Filmkünstler gibt, d h. so lange es jene gibt, die den künstlerischen Gestus wagen und nicht einem konformistischen Pragmatismus folgen. Was muss sich noch ändern, um diese Art von Filmen am Leben zu erhalten? F. K.: So, wie ich vorhin vom Ernstnehmen des Menschen und des Erzählens von ihm gesprochen habe, genauso muss auch der Zuschauer ernst genommen werden. Und das bedeutet, ihm auch etwas zuzumuten und ihm zuzutrauen, dass es ihm zumutbar ist und er nicht gleich zurückschrecken wird vor gern denunzierend so genannter „schwieriger Kunst“. Kultur muss ja nicht leicht konsumierbar sein. Es kann ruhig etwas sein, für das man eine gewisse Offenheit und Mühe auf sich nehmen muss, was eine gewisse Anstrengung erfordert. Als Effekt kann aber der Gewinn sehr groß sein. Von sportlicher Betätigung wissen wir doch, wie erfüllend eine Anstrengung sein kann und wie sehr sie uns hilft, gesund zu bleiben. Auch eine mentale Anstrengung im Bereich der Kultur ist erfüllend und hilft uns, gesund zu bleiben. Dieses Schneiden in kleine Stückchen und zu Brei Zerhacken, damit es zu schlucken ist, halte ich für den falschen Weg. Man soll ruhig auch mal einen großen Bissen nehmen und richtig kauen bevor man es hinunterschluckt. Das trainiert auch die Kaumuskulatur. Wie ist es, für einen anderen Regisseur als Kameramann zu arbeiten? F. K.: Es hängt immer von der jeweiligen Person des Regisseurs ab. Es gibt dabei keine abstrakten Kriterien. Wenn ein Schauspieler angeboten bekommt, den Hamlet zu spielen, kommt es für ihn auch vor allem darauf an, wer das Stück inszeniert, denn bezüglich des Rolle mag es für ihn keine schwierige Entscheidung sein. So ist auch für mich die entscheidende Frage, wer der Regisseur ist, wenn ich als Kameramann arbeite. Mit Béla ist es künstlerisch leicht, weil wir ähnliche Vorstellungen haben, da gibt es keine Auseinandersetzung oder zähe Diskussionen über die Kameraeinstellungen. Es ist wie beim tanzen: Wenn man sich sicher ist, daß man denselben Tanz tanzen will und wenn man dabei einen Partner hat, mit dem man harmoniert, kann es wunderbar sein. Schwierig wird es, wenn der eine einen Tango, der andere einen Walzer tanzen will oder einer von beiden kein Tanzgefühl besitzt. Wenn der Regisseur stimmt, habe ich kein Problem mich anzuschließen. Ich arbeite gerne mit anderen Regisseuren, wenn ich sie und ihre Arbeit mag. Ich halte mich als Kameramann aus der Regie heraus und konzentriere mich auf meine Bilder. Das ist angenehm und entspannter, als meine eigenen Filme zu drehen, bei denen ich ja das Drehbuch schreibe, die Regie und die Kamera führe, wo ich für alles verantwortlich bin. Und es hat den Vorteil, daß mein Blick auf das Projekt noch frisch ist. Das Drehbuch lese ich ja erst relativ kurz vor den Dreharbeiten, während der Regisseur unter Umständen schon einen langen Weg des Schreibens, der zehrenden Finanzierungskämpfe etc. damit hinter sich hat. Im Gegensatz zu ihm ist mein künstlerischer Zugriff ganz direkt und kreativ unverbraucht. Das ist sehr schön. Als Kameramann eines Filmes eines anderen Regisseurs halte ich mich vollkommen aus der Inszenierung heraus. Ich bin dann ganz Kameramann; und nur das. Doch dadurch, daß ich die Rolle des Regisseurs kenne, kann ich mich auch gut in seine Position versetzen und dadurch vielleicht besser reagieren. Das macht es vielleicht leichter, mit den Empfindlichkeiten des Regisseurs umzugehen, denn ich kenne das aus eigener Erfahrung. Könnten Sie abschließend noch ein paar Worte über das nächste Projekt mit Béla Tarr und Ihre eigenen Pläne für einen neuen Film sagen? F. K.: Mit Béla werde ich in diesem Herbst einen neuen Film in Ungarn drehen. Er spielt auf dem Land und ist im Vergleich zu „The Man from London“ minimalistischer. Es gibt weniger Schauspieler, viel weniger Drehorte. Der Film ist eher ein Kammerspiel; natürlich in Schwarz-Weiß, 35mm. Mein eigener Film wird kein Schwarz-Weiß-Film sein, doch er spielt ebenfalls auf dem Land und hat mehrere Protagonisten, nicht einen Helden, dem man folgt, sondern verschiedene Charaktere geben wie bei einem Staffellauf die Geschichte an den nächsten weiter. Es handelt sich um eine ganz einfache Geschichte, eher einen Ablauf von Ereignissen. Was mich sehr interessiert ist, in meiner Arbeit immer einfacher, immer klarer, immer konzentrierter und stiller, immer filmischer zu werden. Berlin, 29. September 2009 | |||
TEXTE ZUM FILM | |||
Béla Tarr weiter zu seinem Film: „Dieser Film befasst sich mit Sehnsüchten, dem unzerstörbaren Wunsch nach einem glücklichen, freien Leben; mit Illusionen die nie verwirklicht werden, mit Dingen die uns allen Kraft geben weiterzumachen, tagtäglich einzuschlafen und wieder aufzustehen... Maloin’s Geschichte ist unsere – die Geschichte von all denen die zweifeln können und in der Lage sind unsere eintönige Existenz in Frage zu stellen.“ John Simenon (Sohn von Georges Simenon) sagte über den Film: „Mit oder ohne Maigret laden uns die Romane meines Vaters ein das Leben eines Manns oder einer Frau zu folgen, die uns besonders ähneln auf ihrem dramatischen Weg zu ihrem unausweichbahren Schicksal. Es ist nicht einfach diese Leben zum Film oder Fernsehen zu übertragen, aber in dem Fall von THE MAN FROM LONDON versucht die Kamera einer Spannung zu folgen, die sich ganz und gar im Kopf des Helden befindet, und es scheint vollkommen unmöglich. Was Béla Tarr in seinem Film versucht ist eine brilliante, stilistische Übung die hart, roh und stark zugleich ist und mich zutiefst berührt hat. Ich möchte meinen allerherzlichsten Dank dafür aussprechen.“ Stéphane Bouquet, Cahiers due Cinéma, 1997: „Wenn man die Filme von Béla Tarr hintereinander ansieht, von FAMILIEN NEST bis SATANSTANGO, wird deutlich dass Tarr kein System erschaffen hat sondern eine Straße (...). Das Ziel ist weiterzureisen, weiterzusuchen und das Ergebnis ist, dass Reisen kein zielloses wandern ist. (...) Die glorreiche Straße die Béla Tarr erschaffen hat dringt tief in die Unerträglichkeit unseres Seins hinein. (...) Es lohnt sich, Béla Tarr auf seinen Reisen zu begleiten. Jede Phase seiner Reise lohnt sich.“ Über das Buch DER MANN AUS LONDON Diogenes Georges Simenon Der Mann aus London Aus dem Französischen von Stefanie Weiss Roman, detebe 20813 Broschur, 192 Seiten ISBN 978-3-257-20813-9 € (D) 8.90 / sFr 15.90* / € (A) 9.20 * unverb. Preisempfehlung ›Im Augenblick denkt man, es seien Stunden wie andere auch, und man merkt erst hinterher, daß etwas Außergewöhnliches daran war.‹ So ergeht es auch Maloin, dem Rangiermeister im Hafenbahnhof von Dieppe, als er dem Inspektor aus London erzählt, was sich in seiner Bootshütte abgespielt hat; und mühsam versucht er sich der einzelnen Minuten zu erinnern, die dazu geführt haben, daß er sich plötzlich für zwei Fremde interessierte, die einen unscheinbaren Koffer durch den Zoll schmuggelten ... |