| Man From London, The | ||
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„Béla Tarr hat mit „The Man From London“ erneut ein bedeutendes Meisterwerk des europäischen Autorenfilms geschaffen.." Hans-Joachim Schlegel, Film-Dienst, November 2009 „...Fred Kelemens virtuose Belichtungstechnik, Kamerabewegung und Komposition ist atemberaubend und erinnert an den großen Film noir Spezialisten John Alton, und dennoch bleibt er ganz und gar der Vision von Tarr treu.“ Michael Brooke, Sight & Sound, Januar 2009 Draußen vor der Tür Franziska Schuster, Schnitt, Das Filmmagazin, 2009 Was tut ein Kinoregisseur, der einen Kunstfilm machen will? Vielleicht dreht er in Schwarzweiß, reduziert die Anzahl der Dialoge und verwendet lange Einstellungen, in denen fast nichts passiert, deutet eine Geschichte nur an und rückt Nebensächlichkeiten ins Zentrum. Vielleicht quälen sich die Filmkritiker dann durch eine schlafinduzierende Projektion und loben hinterher wahlweise die Bildkomposition oder klagen über das Mißverständnis, daß Kunst nicht unterhaltsam sein dürfe… Es folgt ein »Aber«. Denn Béla Tarrs Adaption des gleichnamigen Romans von Georges Simenon macht all das – und ist wunderschön. Kontrastreiche, tiefschwarze oder gleißend helle Bilder, eine strenge Komposition, weite Totalen- und endlose Close Ups auf Gesichter, Endzeitstimmung, Unmenschlichkeit, die durch rührend gefühlvolle Momente gebrochen wird. Die erste Einstellung – die Kamera schwenkt minutenlang -einen Schiffsrumpf hinauf – genügt, wie das Stimmen des Orchesters vor Beginn einer Oper, den Zuschauer in den Film wie in einen Theatersessel hineinsinken zu lassen. Die Krimihandlung spielt in einem fremden Europa, in einer archaischen, düsteren Hafenstadt, deren Bewohner gleich lebenden Toten ihr Dasein fristen, in den erstarrten Strukturen einer degenerierten Gesellschaft. Hier beobachtet Maloin von seinem nächtlichen Arbeitsplatz aus einen Mord. Weil er sich selbst in Besitz der Beute bringt, um die Täter und Opfer gestritten hatten, wird er in eine Geschichte hineingezogen, die mit der eigentlichen Filmhandlung tatsächlich nur eingeschränkt deckungsgleich ist. Von den Fortschritten der Verbrechensaufklärung erfährt der Zuschauer durch belauschte Gespräche und Zufallsbeobachtungen, die entscheidenden Ereignisse finden außerhalb des Bildes statt. In einer Szene verharrt die Kamera buchstäblich draußen vor einer Tür, hinter der es um Leben und Tod geht – doch ganz nebenbei wird schließlich auch das aufgeklärt. Ein Kunstfilm, zweifelsohne. Und rasend unterhaltsam. The Man From London Esther Buss, Film-Dienst, November 09 Ein Gleisrangierer wird eines nachts Zeuge eines Mordes und kommt dadurch an einen Geldkoffer. Doch der unerwartete Reichtum hilft ihm nicht, seinen deprimierenden Lebensverhältnissen zu entkommen. Nach einem Kriminalroman von Georges Simenon entwirft der Film eine an den Film noir erinnernde Geschichte, deren kriminalistische Elemente sich aber aufs erzählerische Skelett beschränken, während die eigentliche Spannung aus den inneren Konflikten der Hauptfigur entsteht. In kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bildern, die bisweilen mehr grafisch als gegenständlich wirken, und hypnotischen Kamerabewegungen entsteht dabei die pessimistisch-existenzialistische Zustandsbeschreibung einer von Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit geprägten Welt. – Sehenswert ab 16. Wenn sich die Kamera zu Beginn langsam vom Wasserspiegel erhebt, um dann minutenlang die Außenwand eines Passagierdampfers hinaufzukriechen, ist bereits etwas Essenzielles über Maloin, die Hauptfigur von „The Man From London“, erzählt. Über die Langsamkeit seines Lebens, das ebenso tonnenschwer und unbeweglich scheint wie das massive Schiff, das Béla Tarr und sein Kameramann Fred Kelemen in unterschiedlichen, geradezu flirrenden Erscheinungsformen aufleben lassen – mal sieht man sich an die Gestalt eines riesigen Wals erinnert, ein anderes mal an eine schroffe, unbezwingbare Felswand. Maloins Gesicht, das später in zahlreichen Nahaufnahmen eingefangen wird, bleibt dagegen bis zuletzt undurchdringlich. Doch gerade weil in seinem versteinerten Gesicht kaum eine Regung oder so etwas wie „Ausdruck“ zu finden ist (sieht man von dem subtilen Spiel der Augen ab), wird die Aufmerksamkeit umso stärker auf sein Innenleben gerichtet. Der Blick des Zuschauers wird dabei auf Maloins Blick umgelenkt, auf seine Wahrnehmung der Welt als eine von Starre, Monotonie und Perspektivlosigkeit bestimmte Unendlichkeit – ähnlich wie das Meer, das Béla Tarr entgegen aller Kinokonventionen nicht als Ort von Projektionen und Sehnsüchten in Szene setzt, sondern als „entgrenztes“ schwarzes Nichts, eine monochrome schwarze Fläche. „The Man From London“ basiert auf dem 1933 veröffentlichten Roman von Georges Simenon und erzählt von Maloin, der als Gleisrangierer eines Bahnhofs am Hafen arbeitet. Nacht für Nacht sitzt er in seinem Stellwerkhäuschen, stellt die Weichen und beobachtet dabei das nächtliche Geschehen. Als er zufällig Zeuge eines Mordes wird und dadurch an einen Geldkoffer gelangt, gerät für ihn das Leben in ebenso hoffnungsvolle wie krisenhafte Bewegung. Der ungarische Regisseur hat aus der düsteren Kriminalgeschichte Simenons einen gewaltigen Film über das Leben eines „kleinen Mannes“ gemacht. Tarrs Affinität zum sozialrealistischen bzw. dokumentarischen Kino, von dem er sich über die Jahre hinweg immer weiter entfernt hat, ist in seinen Milieuschilderungen deutlich sichtbar, in der Tristesse des Arbeitsalltags sowie der Enge und Freudlosigkeit der familiären Beziehungen. Doch Tarr überführt die mikrokosmischen Verhältnisse ins Existenzielle; es geht um Schuld, Mitschuld, um Vergebung und Sühne und um die Vergeblichkeit, dem eigenen Leben zu entkommen. Eine pessimistische Perspektive also, der Tarr jedoch eine gewisse Größe und Monumentalität verleiht. Visuell entspricht „The Man From London“ nämlich kaum der Beschränktheit der angekränkelten Lebensverhältnisse. Tarr schöpft vielmehr alle grundlegenden Möglichkeiten des Kinobildes aus: das Spiel mit Licht und Schatten, das die Schwarz-Weiß-Kontraste extrem hart zur Geltung bringt, die Beschaffenheit des Films als „bewegtes Bild“, die in hypnotischen Kamerabewegungen ihren Ausdruck findet, eine bestechend präzise Bildkomposition. Stilelemente des Film noir verbinden sich hier mit dem bildnerischen Vokabular der Fotografie der 1920er-Jahre, mit Einflüssen von Bauhaus und Konstruktivismus. Beeindruckend ist vor allem, wie die Kamera von Fred Kelemen den Raum organisiert bzw. desorganisiert. So tauchen wiederholt Aufnahmen von Gittern, Fensterkreuzen oder Zäunen auf, die sich vor das Bild schieben und es dabei regelrecht fragmentieren – manchmal verliert man darüber die Orientierung, versteht das Bild schlichtweg nicht mehr, bis die Kamera wieder zu Maloin findet und ihn in seinem Gleiswärterhäuschen verortet. Von Simenons Kriminalgeschichte lässt Tarr nur noch das Gerippe übrig, das Motiv der Schuld und das atmosphärische Setting, die nächtliche Szenerie mit all ihrem Schatten und Nebel. Die genreübliche Spannung wird in die Hauptfigur selbst verlegt, in ihre Konflikte und Krisen. Dabei fungiert das Licht in diesem Anti-Krimi wie eine ganz eigene Figur und legt sich wie ein Subtext über den Plot. Tag und Nacht unterscheiden sich von der Lichtstimmung her eigentlich kaum. Einzige Ausnahme ist eine Szene, in der Maloin mit dem Geldkoffer von der Nachtschicht nach Hause kommt und sich ins gleißende Licht seines Schlafzimmers zurückzieht. Er zieht seine schweren Stiefel aus und legt sich erschöpft ins Bett. Das Bild ist überbelichtet, fast weiß, doch dann betritt seine Frau das Zimmer und schließt die Fensterläden. Das Licht wird buchstäblich weggeschlossen und Maloin ist nun wieder ganz von der Dunkelheit umhüllt. Der nackte Mensch filmen am rande des Nichts: Béla Tarr Hans-Joachim Schlegel, Film-Dienst, November 09 Ungarn machte schon lange vor 1989 mit dramaturgisch sowie schauspielerisch innovativen Spielfilmen auf sich aufmerksam. Hier gab es – vor allem im Budapester „Béla Balázs Studio“ – Freiräume sozialkritisch-analytischer Wirklichkeitssichtung und experimenteller Suche nach neuen Ausdrucksformen, wie sie in anderen „Ostblockländern“ unvorstellbar waren. So kommentierte der erst 22-jährige Béla Tarr in seinem Debütfilm „Családi tüzfészek“ („Familiennest“, 1977) die Folgen der alle menschlichen Beziehungen und Emotionen abtötenden Wohnungsnot mit einer metaphorischen Zerstörung des „sozialistischen“ Staatswappens. 1980 war er Regieassistent bei der „Docu-Fiction“ „Harcmodor“ („Kriegslist“), in der István Darday und Györgyi Szalai die staatsbürokratische Behinderung eines Sozialprojekts anklagen. Dieses den Beginn von Béla Tarrs Filmarbeit prägende Regieduo wies bereits 1982 in „Átváltozás I-II“ („Die Wende“) auf die im Bewusstsein ungarischer Intellektueller als unaufhaltsam geltende Implosion des „realen Sozialismus“ hin und 1994 in „Nyuhattól keletre avagy a média diszkrét bája“ („Ost von West oder Der diskrete Charme der Medien“) auf die gefährliche Kluft zwischen der „schönen neuen Welt“ westlicher TV-Werbung und der äußeren wie inneren Nachwende-Not Ungarns: auf die für die ungarische Identität katastrophalen Folgen einer „visuellen Kolonialisierung“. Außerhalb des Systems Der „melancholische Rebell“ Béla Tarr blieb ebenfalls seiner kompromisslosen Verteidigung eines unbestechlichen Blicks auch nach der „Wende“ von 1989 treu. 2004 kommentierte er den EU-Beitritt Ungarns in „Prologus“, Tarrs Beitrag für den von 25 europäischen Regisseuren gedrehten Episodenfilm „Europäische Visionen“, mit einer siebenminütigen Kamerafahrt über die schweigend in sich gekehrten Gesichter Budapester Obdachloser, die in einer endlosen Schlange vor einem Fenster stehen, aus dem ihnen eine freundlich lächelnde Frau schließlich eine Plastiktüte mit einem Sandwich und einen Becher Kaffee reicht. In einem Interview bekannte Béla Tarr im Januar 2001: „We are outside the standard culture. A lot of the time during the communist regime we tought, okay, we have a problem with the politics, but now our situation is the same. We are outside the official system and we are out of this little bourgeois shit film industry.“ Welch hohen Preis Béla Tarr für seine Opposition gegen die kommerzielle Banalisierung und Globalisierung der Filmkultur zahlen muss, belegen die unendlich langen Produktionszeiten seines 450-minütigen „Sátántangó“ (1991-93), aber auch des jüngsten, „lediglich“ 134-minütigen Werks „The Man From London“, dessen Produktion zwischen 2003 und 2007 immer wieder „realkapitalistisch“ bedroht war. Glücklicherweise fanden sich dennoch mutige Produzenten (und jetzt auch ein deutscher Verleiher), die diesen Film ermöglichten, und damit die Arbeit eines großen europäischen Regisseurs, der seinen eigenen Blick und damit eine kreative Filmkultur nicht nur gegen „realsozialistische“ Versteinerungen, sondern auch gegen die Mainsteam-Tristesse der Filmindustrie verteidigt. Es ist die Arbeit eines Filmemachers, der nach den Ideologen des historischen und dialektischen Materialismus nunmehr auch die Scharlatane und Bauernfänger des marktwirtschaftlichen Materialismus entlarvt. Demaskierungen waren und sind für Tarr allerdings niemals nur eine Frage manifester Inhalte, sondern vor allem tiefer schürfender Formstrukturen. Schon in seinem Erstling „Familiennest“ stößt er von der sozial- zur tiefenpsychologischen Dimension klaustrophobischer Räume vor: Dieser Film ist keineswegs die sozialkritische Imagination von August Bebels Satz, „Man kann einen Menschen mit einer Wohnung wie mit einer Axt erschlagen“, sondern weist mit seiner „docufictional“ gezeigten Katastrophe zwischenmenschlicher Beziehungen auf eine existenziell-überzeitliche menschliche Grundsituation. In „Szabadgyalog“ („Der Outsider“, 1980), „Panelkapcsolat“ („Plattenbau-Menschen“, 1981) und „Öszi almanach“ („Herbstalmanach“, 1984) setzte Tarr diese Tendenz mit einem sich auch filmtechnisch radikalisierenden Formbewusstsein fort, das schließlich die Grenzen der „Docufiction“ hinter sich lässt und zu quasi-dokumentarisch stilisierten „Spielfilmen“ führt. Ausgeliefertsein Allerdings macht bereits „Kárhozat“ („Verdammnis“, 1988), der erste Film dieser neuen Entwicklung, unmissverständlich klar, dass damit eine radikale Abkehr von tradierten Spielfilm-Konventionen verbunden ist: Der Akzent verschiebt sich von „äußerer“ auf „innere“ Action; Dunkelheit und (meist künstliches) Licht, von Tabaksqualm, Nebel oder Regen aufgeladene Innen- und Außenräume werden zu den dominierenden Trägern einer „Handlung“, die ebenso reduziert ist wie die sich zuweilen explosionsartig entladende Sprachlosigkeit von Menschen mit in sich gekehrten Blicken. Auf diese Weise wird die quasi-dokumentarisch fixierte Realität und Zeit auratisch entgrenzt. Sie wird gleichsam „versiegelt“, um es mit einem Schlüsselwort Andrej Tarkowskis zu sagen, mit dem Tarr stilistisch sehr viel gemeinsam hat, von dessen metaphysischen Hoffnungen er sich aber radikal absetzt: Die im Filmtitel angesprochene „Verdammnis“ meint jenes existenzialistische „Geworfensein“, das an Jean Anouilhs erbarmungslosen „Antigone“-Satz erinnert: „Wir sind immer allein, Haimon, und die Welt ist leer und nackt.“ An jenes Ausgeliefertsein ans Nichts, das der Mensch mit allerlei Illusionen zu verdecken und zu verdrängen sucht, die Béla Tarr in seinen Filmen unnachsichtig entlarvt. Das in „Verdammnis“ fragmentarisch eingebrachte Eifersuchtsmotiv ist letztendlich eine Flucht vor sozialer wie existenzieller Misere in freudlose Erotik im klaustrophobischen Innenraum einer Bar mit dem bezeichnenden Namen „Titanic“. Die Menschen sind hier genauso zu hoffnungs- und heilloser Einsamkeit verdammt wie „draußen vor der Tür“, wo sie im Dunkel eines tristen Kohlenreviers die Ausweglosigkeit ihres existenziellen Verlorenseins in tiefer Melancholie verstummen lässt. Jeder ist und bleibt allein, ist zu ewiger sadomasochistischer Selbstzerstörung verdammt. Auf die ihm immer wieder gestellte Frage nach dem „Positiven“ kennt Béla Tarr keine andere Antwort als die insistierende Fortsetzung seiner Desillusionierung, in der nicht einmal die Perspektive einer heilenden „Schocktherapie“ aufleuchtet: Am Ende des Tunnels gibt es kein Licht, sondern nur das Dunkel des Nichts. Eine Position, die Béla Tarr mit seinem gleichaltrigen Schriftsteller-Freund László Krasznahorkai teilt, auf dessen auch ins Deutsche übersetzten Büchern nicht nur „Kárhozat“, sondern auch „Sátántangó“ und „Werckmeister harmóniák“ („Die Werckmeisterschen Harmonien“, 2000) fußen. Selbstredend sind das keine „Verfilmungen“, sondern Adaptionen auratischer Grundsituationen. Eine Orchestrierung unterschiedlichster „Handlungs“-Fragmente und Personen umkreist hier immer wieder apokalyptisch Bedrohendes, in die Sackgassen der Täuschung oder des (Selbst-)Betrugs führende Hoffnungen: „Im Grunde drehe ich immer wieder denselben Film“, erklärte Béla Tarr wiederholt. In „Sátántangó“ zeigen meditativ verlangsamte, zuweilen sogar minutenlang statische Einstellungen depressiv apathische Puzsta-Bauern einer heruntergewirtschafteten Farm, die zwei Betrüger mit den biblisch beziehungsreichen Namen Irimiás (Jeremias) und Petrina (Petrus) durch diabolisch-messianische Versprechungen um ihre letzten armseligen Ersparnisse bringen. In „Die Werckmeisterschen Harmonien“ lähmt die Ahnung einer bevorstehenden Katastrophe die Einwohner eines von Eis- und Schneemassen eingeschlossenen Provinzstädtchens, die nicht begreifen, dass die Akteure des diktatorisch-apokalyptischen Verhängnisses schon längst mitten unter ihnen weilen: in einem auf dem Marktplatz aufgestellten Zirkuszelt, dessen Attraktion ein assoziativ an das legendäre trojanische Pferd erinnernder Riesenwal ist. Nur die hellwache Sensibilität des „heiligen Narren“ Valuska vermag dies zu erspüren. Doch dessen Warnungen nimmt keiner ernst. Radikale Filmsprache Versuche, die „Inhalte“ der Filme von Béla Tarr zu beschreiben, erfassen zwangsläufig nur Teilaspekte seiner Patchwork-Kompositionen, deren gemeinsamer Nenner das Auratische ist: Kosmische und existenzielle Imaginationen, die vor allem das Ergebnis der Kamerablicke sind, der filmbildlichen Verlaufsrhythmen und zuweilen geradezu „sphärischen“ Töne und Melodien. In „Sátántangó“ überhöhen natürliche „Filter“ wie Regenschauer oder Hell-Dunkel-Kontraste Gábor Medvigys meditativ verlangsamte Rhythmen der geradezu naturalistisch nüchtern fixierten Realität einer verödeten Natur mit verstummten Menschen und Tieren ins Traumatische. Seine möglicherweise von Miklós Jancsós „Még kér a nép“ („Roter Psalm“, 1972) angestoßene Affinität für extrem lange Einstellungen demonstrierte Tarr bereits 1982 im radikal nur aus zwei Einstellungen (fünf und 67 Minuten lang) komponierten „Macbeth“-Film. Häufig wurde und wird diese Affinität als Parallele zu Bildmotiven und meditativen Bildrhythmen bei Andrej Tarkowski oder anderer Minimalisten wie Alexander Sokurow, Theo Angelopoulos, Carl Theodor Dreyer, Kenji Mizoguchi, Hou Hsiao-hsien und Tsai Ming-liang begriffen. Doch solche Vergleiche sollten niemals die Ungleichheit des Ähnlichen übersehen: Gemeinsam ist ihnen allen eine prinzipielle Opposition gegen die blinde Schnitt-Hast des Kommerzkinos. Gewiss sind das Auratische und das Meditative bei Béla Tarr wie bei Tarkowski eine kreativ-sensible Spurensuche nach der Schnittstelle von Sichtbarem und Unsichtbarem, das Ergebnis der Überzeugung, dass sich dem intensiv in die konkrete Dinglichkeit gerichteten Blick ein Fenster in die innere Wirklichkeit der äußeren Wirklichkeit öffnet. Doch das Ergebnis dieser nach innen gerichteten Blicke ist radikal verschieden: Andrej Tarkowski entdeckt eine quasi-religiöse Hoffnung, Béla Tarr dagegen nur das ewig dunkle und nackte Nichts, das unbehauste Sein. Ihre gemeinsame Affinität für den meditativ erkennenden Blick lässt beide sich jedoch dem taoistischen Osten nähern: Andrej Tarkowski bekennt sich in seinem Buch „Die versiegelte Zeit“ wiederholt dazu, und der für Béla Tarrs Entwicklung so wichtige László Krasznahorkai entdeckte in der Natur „einen Bruder des zur Einsamkeit im Nichts verurteilten Menschen“. The Man From London Béla Tarrs Ankündigung einer „Adaption“ von Georges Simenons „L’homme de Londres“ (1933) irritierte vor allem jene, die fürchteten, dass sich nunmehr auch Béla Tarr – wie so viele ost- und mitteleuropäische Autoren – an den Mainstream anpassen würde. Eine absurde Vermutung angesichts Tarrs konzeptioneller Kompromisslosigkeit, aber auch angesichts von Simenon, in dessen „Kriminalgeschichten“ es nicht so sehr um die Aufklärung einer Tat, sondern vor allem um die Motive des Täters, um die Tragik des „l’homme nu“, des „nackten Menschen“ geht, die Verständnis, ja Mitleid des ermittelnden Kommissars weckt. Simenons Geschichten sind den Filmen von Béla Tarr durchaus seelenverwandt: „A Londoni Férfi“ („The Man From London“, Kritik in dieser Ausgabe) überträgt Simenons Akzentuierung der „inneren“ an Stelle der lediglich „äußeren“ Spannung deshalb auch erheblich adäquater als die bekannte „Maigret“-Filmwelle. Besonderen Anteil daran hat die kongeniale Arbeit des Kameramanns Fred Kelemen, dessen meditativ-langsame Kamerablicke und -fahrten zuweilen Bildperspektiven komponieren, die wie ein fernes Echo von László Moholy-Nagys filmischem Bauhaus-Experiment „Lichtspiel: Schwarz-Weiß-Grau“ (1930) wirken. Viele zunächst ausgesprochen enigmatische Bilder und Töne enthüllen ihre Realität und ihren Sinn erst allmählich – die in nächtliches Dunkel getauchte triste Hafenlandschaft ebenso wie die im Nebel zunächst nur als Schatten agierenden Figuren. Die Geschichte des mürrischen, sorgengequälten Stellwerkers Maroin, der zufällig Zeuge eines tödlichen Streits um Geld wird und dann der illusionären Hoffnung erliegt, seiner sozialen wie psychischen Misere zu entkommen, wobei er selbst zum Dieb und Mörder wird, „erzählt“ der Film vor allem über Bilder und Töne, deren komplex sensible Aura die existenzielle Tragödie des „l’homme nu“ spürbar werden lässt. Béla Tarr ist sich und seinem visionären Konzept treu geblieben und hat mit „The Man From London“ erneut ein bedeutendes Meisterwerk des europäischen Autorenfilms geschaffen. The Man from London Von Bela Tarr Thomas Engel, Programmkino.de, 2009 Der Film mit kriminalistischem Einschlag des ungarischen Regisseurs wurde nach Motiven eines Romans von Georges Simenon gedreht. Es geht um eine größere Summe Geldes, die in London gestohlen wurde. Teddy und Brown waren die Übeltäter. Doch sie zerstreiten sich. Teddy kommt dabei ums Leben. Zeuge des Vorfalls ist der Gleisrangierer Maloin, ein grimmiger, übelgelaunter, verschlossener Mann, der vom Leben anscheinend nichts mehr hält und seine Frau schlecht behandelt. Maloin bringt den bei Teddys Tod ins Meer gestürzten Koffer mit dem gestohlenen Geld an sich. Brown beschleicht der Verdacht, dass Maloin mehr wissen könnte, als für ihn gut ist, und besitzen könnte, wonach er, Brown, sucht. Es dauert nicht lange, bis aus London der Inspektor Morrison anreist, Teddys Leiche findet und den Kreis sowohl um Brown als auch um Maloin immer enger zieht. Wird Maloin vielleicht sogar Brown aus dem Weg schaffen? Oder wird Notwehr ins Spiel gebracht, wie der auf einen Ausgleich bedachte Morrison anregt? Zweifellos ein einen besonderen Eindruck hinterlassender Autorenfilm. Man muss das Alltagskino und –fernsehen hinter sich lassen. Denn Tarr und sein Kameramann Fred Kelemen arbeiten ausschließlich mit langen Einstellungen, ausgedehnten Kamerafahrten, einem quasi-mysteriösen Stil, ausdruckstarken Groß- und Gesichtsaufnahmen und einem getragen-gedehnten Andante-Handlungsrhythmus. Die Schauspieler, unter ihnen in einer kleinen Rolle Tilda Swinton als Maloins Frau, haben sich dieser Art von Regie untergeordnet. Verblüffend, verblüffend gut sind die Bilder, ihre Kadrierung, ihre Ausleuchtung, ihre Dominanz – ein Lehrbeispiel für Schwarz-weiß-Photographie. Anti-Thriller The Man from London Markus Raska, Zitty, 2009 Als bekannt wurde, dass der Regisseur Béla Tarr einen Kriminalroman des Belgiers Georges Simenon verfilmen würde, war klar, dass der Ungar mit dem Genre Thriller völlig kompromisslos umgehen würde. Es gibt wenige Filmemacher, deren filmische Handschrift so deutlich erkennbar ist. Auch in „The Man from London“ dominiert sie alles. Die langen Einstellungen, die extremen Großaufnahmen, die langsamen, teilweise irrwitzigen Kamerafahrten, die Stille, unterbrochen nur selten von Dialog, alles fein abgestimmt in Graustufen, ist nicht nur Form, sondern öffnet auch einen ungewöhnlichen Zugang zu den Filmen Tarrs. Eines Nachts beobachtet Maloin (Miroslav Krobot) von seinem Arbeitsplatz im Hafen aus zufällig einen Mord. Das Opfer fällt samt Koffer ins Wasser, der Täter flieht. Maloin fischt den Koffer aus dem Wasser – und findet einen Haufen Geld. Seiner Frau (herrlich gespielt von Tilda Swinton) erzählt er nichts. Nur seiner Tochter macht er Geschenke. Doch bald taucht ein Kommissar auf, und Brown, der gejagte Mörder, will auch nicht auf das Geld verzichten. In einer Stimmung, in der der Tag kaum von der Nacht zu unterscheiden ist, wandelt Maloin, geplagt von Fragen nach Moral und Sünde durch den Film. Die expressionistischen Bilder des deutschen Kameramannes Fred Kelemen führen ihn durch eine unwirtliche Welt, in der die minutenlange Großaufnahme einer geschlossenen Tür tatsächlich Spannung erzeugt. Der Film erreicht vielleicht nicht ganz das Niveau der düsteren Meisterwerke „Die Werckmeisterschen Harmonien“ und „Satanstango“, ist aber dennoch sehenswert. Natürlich ist dies Kunstkacke, aber saugute. Zeit wird Raum „The Man from London“ von Bela Tarr Tagesspiegel, Kerstin Decker, 2009 Kritiker zitieren grundsätzlich nicht andere Kritiker, aber es gibt Ausnahmen. Denn manches kann man so treffend einfach nicht ausdrücken: „Natürlich ist dies Kunstkacke, aber saugute“, sprach der Kinosachverständige eines Berliner Stadtmagazins. Genauso ist es. Und es ist im Grunde schon alles, was man über den neuen Film des Ungarn Béla Tarr wissen muss, um augenblicklich zu beschließen: Das darf ich nicht verpassen! Die Vorlage für „The Man from London“ ist ein Kriminalroman von Georges Simenon. Schwer zu sagen, wie Simenon über die spezifischen Spannungsbögen in Tarr-Filmen gedacht hätte. Jedenfalls sollte man einen Tarr-Film sehen wie ein Kriminalkommissar. Jeder Kriminalkommissar weiß: Meistens geschieht – wie in einem Tarr-Film – gar nichts, aber das darf mich nicht irritieren. Es kommt darauf an, mitten im nothing happens kein Detail zu verpassen. Und sich nicht von falschen Fährten ablenken zu lassen. Am Anfang ist gefühlte zehn Minuten lang ein Schiffsbug zu sehen, die eine Seite grell im Licht, die andere im Schatten. Dann verlassen die Passagiere das Schiff, einer nach dem anderen, ganz langsam. Und nie sind zwei zugleich auf der Brücke. So geht doch kein Mensch von Bord! Und man ertappt sich dabei, die erste Hälfte des oben zitierten Satzes zu denken. Aber trotzdem: Nie wird man künftig vergessen, wie bei Béla Tarr Menschen ein Schiff verlassen. Nichts interessiert den Regisseur und seinen Kameramann Fred Kelemen weniger als ein Krimi. Für alle mit dem „Tatort“ sozialisierten Freunde des Kriminalfilms ist „The Man from London“ verlorene Zeit. Den anderen aber widerfährt, was immer bei Tarrs Filmen geschieht – ob bei „Werckmeister Harmóniák“ oder „Satanstango“: Man wird hineingesogen in eine andere Zeitrechnung. Nein, gar keine Rechnung mehr: Zeit wird Raum. Wir sehen sie beinahe von innen, meinen, ihre Wände berühren zu können. Irgendwann wird der Zeit-Raum sich schmerzhaft-schön zusammenziehen, das sind dann die magischen Tarr- Augenblicke. Nachher glaubt man wieder etwas mehr von unserem In-der-Welt-Sein verstanden zu haben. Davon, wie Menschen sich dagegen wehren, dass ihr Dasein einfach so zerfällt wie diese triste kleine nordfranzösische Hafenstadt, in der es schon ein Ereignis ist, wenn die kleine Fähre über den Kanal kommt. Tarrs Film ist ein Balanceakt auf dem Rand dieser Erfahrung. Dem Hafenarbeiter und Weichensteller Maloin (Miroslav Krobot) geht eine Welt auf – in seinen Zügen liest man minimalste Beben, fast nicht erfassbar auf der Richterskala der Regungen, Kelemens Hochpräzisionsinstrument registriert sie trotzdem. Auch die wunderbare Tilda Swinton als verhärmte Frau Maloin spürt, dass etwas anders geworden ist und hat dafür nur eine Erklärung: Ihr Mann, der Versager, ist endgültig verrückt geworden. Aber Maloin hat einen Koffer voller Geld, noch weiß es keiner, er selbst versucht sich langsam an den Gedanken gewöhnen und es ist großartig, ihm dabei zuzusehen. Ja, und dann kommt der alte Londoner Kommissar Morrison (István Lénárt) über den Kanal. Ein Koffer muss hier verschwunden sein, sein Klient hätte ihn gern wieder zurück. Sog des Dunklen The Man from London von Béla Tarr Neues Deutschland, Margit Voss, 2009 Der französische Schriftsteller André Gide, Literaturnobelpreisträger 1947, war ein großer Bewunderer des vierunddreißig Jahre jüngeren Georges Simenon. Simenon, der darob erstaunt war, kam zu dem Schluss: »Ganz besonders interessierte ihn der Mechanismus meiner – entschuldigen Sie das hochtrabende Wort – Kreativität. Und ich glaube, ich weiß, warum ihn das interessierte. Gide hat davon geträumt, ein Schöpfer zu sein und nicht der Moralist und Philosoph, der er war.« Ähnlich wie Gide scheint es dem ungarischen Regisseur Béla Tarr gegangen zu sein, der auf die Erzählung Simenons »Der Mann aus London« aus dem Jahr 1933 stieß und damit seinen Ambitionen, dem Kinofilm in seinem Anspruch, Kunst zu sein, neue Nahrung zuführen konnte. Simenon lieferte ihm einen Stoff, der seiner eigenen existenzialistischen Grundhaltung entspricht, dazu aber einen gestrafften Rahmen, den selbst zu spannen ihm im Allgemeinen nicht gegeben ist. Als Kameramann holte Tarr seinen ehemaligen Schüler und jetzigen Kollegen Fred Kelemen ins Boot. Und diese Konstellation ergab eine filmische Mischung aus Hintergründigkeit, Tiefe und Spannung, die einzigartig ist und einen atemlos und gebannt auf die Leinwand blicken lässt. Der Film wurde schwarz-weiß gedreht, auf ORWO, die Grautöne dominieren in allen Schattierungen, es dauert lange, bis die nächtliche Hafenstadt, am Kanal gelegen, ins Bild kommt. Denn die Kamera tastet sich zu Beginn aufwärts auf schwarz glänzendem, nassem Grund, bis man gewahr wird, dass es sich um das Heck eines großen Schiffes handelt, und man selbst jene Position innehat wie Maloin, der Rangierer. Der Mittfünfziger befindet sich Nacht für Nacht in der gläsernen Kanzel, um die Hebel für die sich verzweigenden Gleise umzulegen. Er hat Zeit, zu beobachten. Und der Zuschauer wird gezwungen, dies in Echtzeit mit ihm zu tun. Während die Zöllner die Passagiere abfertigen, begibt sich Unerhörtes im Dunkel. Zwei Männer beschließen einen Deal, in dessen Folge ein Koffer vom Schiff ans Ufer geworfen und einer der Männer vom anderen bei einem Kampf ins Wasser gestoßen wird. Es dauert eine Weile, bis sich Maloin vom Beobachter in einen Akteur wandelt. Als es ruhig geworden ist, steigt er mit einem langen Enterhaken von seiner Kanzel, fischt den Koffer aus dem Wasser, öffnet ihn und blickt auf einen Schatz von 60 000 Englischen Pfund. Der kriminalistische Knoten ist geknüpft. Was wird Maloin tun? Der tschechische Schauspieler Miroslav Krobot ist ein Meister des Minimalismus. Sein Maloin zeigt im Gesicht keine Regung. Der Charakter bleibt in der Schwebe. Zwischen ihm und seiner Ehefrau, gespielt von Tilda Swinton, erfolgt keine Annäherung. Das gleißende Licht, das ihn zu Hause aufs Bett schleudert, wird von ihr durch das Zusammenziehen der Vorhänge wieder aufs gleichmäßige Grau reduziert. Bis zum Schluss des Films weiß man nicht, ob sich Maloin der hellen oder dunklen Seite hinneigen wird. Und dieses Geheimnis gibt sowohl dem Mann von der Straße wie dem Cineasten Grund, den Film zu lieben. Filmische Meditation über die existenzielle Schwere Endzeitstimmung Matthias Leitner, On3Radio, Bayrischer Rundfunk, 2009 Seine Filme sind ruhig, schwer und unglaublich bedrückend. Der Ungar Béla Tarr ist ein einsamer Wolf des europäischen Films. Sein neues Werk "The Man from London" ist ein weiterer Beweis seiner ganz persönlichen Kinovision. Ein Schiffsrumpf: mächtig, fremdartig, bedrohlich. Quälend lang ist die erste Einstellung in Béla Tarrs existenziellem Drama "The Man from London". Bedrückend still und eigentümlich erzählt Tarr die Geschichte nach dem Roman "L'Homme de Londres" von Georges Simenon. Maloin, ein schweigsamer Weichensteller in einem kalten, seelenlosen Hafen irgendwo in Europa, beobachtet das nächtliche Treiben in den Docks. Da wird ein Koffer übergeben, da tuscheln zwielichtige Figuren im fahlen Licht und schließlich wird ein Mann im Streit getötet – der Mörder flieht in die Hafenkneipe. Maloin begibt sich zur Stelle des Unglücks und fischt einen Koffer aus dem Wasser, dessen Inhalt allen zum Verhängnis wird. Das Leben, welches Béla Tarr in "The Man from London" zeigt, ist bedrückend. Die Menschen in seinem Kinokosmos sind schweigende Verlorene, deren Existenz vor allem darin besteht, zu überleben und stumpf ihr Dasein zu fristen. Unfreiheit und Zwang dominieren jeden Schritt - doch zudem scheint unter der Oberfläche jeder Figur eine Apokalypse, eine aufgestaute eruptive Gewalt aus Frustration und letztem Widerstand zu toben. Tarr verfilmt Simenons Roman nicht als Kriminalgeschichte, sondern als filmische Meditation über die existenzielle Schwere jedes einzelnen Moments. Vor dem Leben gibt es kein Entkommen und das Leben ist nicht dramatisch geformt. Tarrs Filme sind es ebenso wenig und sind es doch. Das ist sein ganz persönliches, absurdes Paradoxon. Das müsst ihr sehen: Die Visionen des Béla Tarr 1. "Verdammnis" – Ein Mann streift durch verregnete Straßen und landet allabendlich in seiner Stammkneipe. Dort lernt er eines Tages eine Frau kennen - sie wird seine Eintrittskarte in die Verdammnis sein. 2. "Die Werckmeisterschen Harmonien" – Trist und kalt ist dieser Film. Ein Zirkus kommt in ein ungarisches Dörfchen und Menschenmassen strömen zu ihm, um den Kadaver eines Wales zu begutachten. Plötzlich bricht der Aufstand aus, alles versinkt im Chaos. 3. "Satanstango" – Auf einem verlassenen Bauernhof haben sich mehrere Outlaws eingefunden. Sie alle wollen der Unfreiheit und ihren schlechten Verhältnissen entrinnen. Screen International Jonathan Romney in Cannes (...) Shot in Bastia, Corsica, the film is largely filtered through the consciousness of Maloin (Krobot), a middle-aged man who works nights in a signal cabin controlling a dockside railway. One night, he witnesses a set of strange events following the docking of a ship: a man throws a suitcase onto the quay, which eventually ends up in the water, along with a corpse. Maloin retrieves the case, which contains a fortune in English banknotes, then goes home for an uneasy meal with his wife (Swinton) and daughter Henriette (Bok). Meanwhile, a shady figure (Derszi) is seen hovering round town. He turns out to be Brown, an Englishman who has robbed his employer and who is now being watched closely by Morrison (Lenart), a police inspector. While the film is perfectly coherent as narrative, you sense that Tarr and co-writer Laszlo Krasznahorkai - whose novels have been the sources of Tarr's recent films - have pared Simenon's book to the barest bones to transform it into a vehicle for the exploration of space, time and sardonically implied existential questions. The action takes place in a limited number of settings - mainly the dockside, Maloin's flat and the local bar - which the drifting camera explores so minutely that we end up feeling we know every corner of this enclosed world. The shooting style will test the patience of casual viewers, but once you give into its hypnotic intensity, the effect is galvanising: it puts you into a state of heightened attention in which no detail is insignificant, no movement lost. German cinematographer Fred Kelemen - whose own films as director, such as Fallen, are in a similar mode - has achieved a tour de force of camerawork, not only in the textures of light (moving in a single take through glaring sun, inky obscurity and misty grey haze), but also in the painstakingly choreographed movements, which give the film the edge of a forensic investigation. The acting is far from naturalistic, with Tarr casting partly for physical presence: apart from a couple of alarming displays of rage, the scowling, weatherbeaten Kropot is largely silent, a brooding, lumbering golem of a man. Tilda Swinton, visibly dubbed into Hungarian and present in only two scenes, fits instantly into Tarr's universe with her gaunt, haunted features, and while the voice may not be hers, she's a striking force in her arguments with Maloin. Dialogue, however, is used largely as one instrument in the film's sound palette: Lenart's ancient policeman, who has something of Max Von Sydow's baleful gravity, intones his lines slowly in broken phrases, giving his character an ominous God-like quality. When the characters burst into heated arguments, or when two shop assistants jabber in frenzied chorus, they then lapse into silence, to startling effect. Elsewhere, the sound of clocks, the sea, footsteps and bar-room accordion - adding an extra dash of Simenon flavour - make up a haunting, frugal backdrop. ___________________________________________________________________________________________________________ Neu im Kino: «The Man from London« Béla Tarrs Kunstfilm ist eine Meditation über die Langsamkeit Michael Wunderlich, NÜRNBERGER NACHRICHTEN, Januar 2010 NÜRNBERG - Die Kunst, mit Licht und Schatten Kinowelten zu kreieren, bevorzugt, existenzielle Themen. Das darf anstrengend sein, meint Béla Tarr, Regisseur der genialischen Schwarzweiß-Orgie «The Man fom London« nach dem Roman von Georges Simenon. Der Schauplatz ist wie gemacht für einen alten französischen Krimi der «série noir«: Nachts, ein kleiner schäbiger Hafen mit Anlegestelle für die Kanalfähre aus England. Das Schiff schiebt sich im Schneckentempo ins Bild. Auf dem Gleisanschluss am Quai wartet bereits ein Personenzug, für den der Eisenbahner Maloin (Miroslav Krobot) hoch oben in seinem Kontrollkabuff auf Stelzen wenig später die Weichen stellen wird. Die Reisenden, die die Fähre verlassen, werden von französischen Polizisten kontrolliert, deswegen fliegt gleich ein Koffer über das Hafenbecken auf den Quai gegenüber. Ein Mann sammelt ihn auf und verschwindet. Einbruch von Schuld und Sühne Maloin in seinem Ausguck beobachtet das alles mit hängenden Mundwinkeln, eine Mimik, die er den kompletten Film durchhält, denn erstens ist er die von ihrer Sinnlosigkeit gequälte Zentralfigur, und zweitens scheint Béla Tarr, ein renommierter, an der Babelsberger Filmakademie lehrender Vertreter des Autorenfilms, generell wenig von schauspielerischen Möglichkeiten zu halten. Sein Star Tilda Swindon, durchaus mit allen Wassern ihres Metiers gewaschen, spielt die Frau des Eisenbahners mit derart holzgeschnitzter Eindimensionalität, als käme sie aus dem Fundus von Franz Xaver Kroetz. Es soll eben nichts ablenken von der Geschichte, die allein von raffinierten Schwarzweiß-Kompositionen (Kamera: Fred Kelemen) mit manchmal enervierend redundanten Begleitmusiken vorangeschoben wird. Es geht um einen Einbruch von Schuld und Sühne in Maloins leeres Leben, ausgelöst von jenem Geldkoffer auf dem Quai, der zwei Menschen das Leben kosten wird. Sehr, sehr langsam geht das voran, nicht-technische Zeitlupe quasi, optisch faszinierend, aber dramatisch grenzwertig. |