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  • Deutschland 2008 / Farbe / 35 mm / digital / 1:1,85 / Dolby SR / 92 Minuten
    Prädikat: "besonders wertvoll"
    FSK: Freigabe ohne Altersbeschränkung

    BESETZUNG

    Die Zeugen

    In der Reihenfolge ihres Erscheinens:

    Traute Lafrenz-Page, Freundin von Hans Scholl
    Jürgen Wittenstein, Münchner Freundeskreis
    Herta Siebler-Probst, Frau von Christoph Probst
    Franz J. Müller, Ulmer Freundeskreis
    Elisabeth Hartnagel, Schwester von Hans und Sophie Scholl
    Susanne Zeller-Hirzel, Ulmer Freundeskreis
    Dieter Sasse, Halbbruder von Christoph Probst
    Lilo Fürst-Ramdohr, Freundin von Alexander Schmorell
    Erich Schmorell, Halbbruder von Alexander Schmorell
    Anneliese Knoop-Graf, Schwester von Willi Graf
    Hans Hirzel, Ulmer Freundeskreis
    Birgit Weiß-Huber, Tochter von Kurt Huber
    Nikolay Hamazaspian, Freund von Alexander Schmorell
    Heiner Guter, Ulmer Freundeskreis

    STAB

    Buch und Regie
    Kamera
    Kameraassistenz
    Ton
    Schnitt
    Sprecherin
    Fachberatung
    Lichtbestimmung
    Tonbearbeitung
    Mischung
    Redaktion
    Musik

    Katrin Seybold
    Alfred Tichawsky BVK, Gerardo Milsztein BVK, Sorin Dragoi
    Martin Langner, Christian Rauschenfels
    David Heinemann, Robert Kellner
    Frank Müller
    Hildegard Schmahl
    Christiane Moll
    Manuela Jesse
    Magda Habernickel
    Bernhard Maurer
    rbb Birgit Mehler
    Paul Hindemith, György Kurtág

    BIOGRAFIE

    Geboren in Bromberg (Bydgoszcz), aufgewachsen in Stuttgart. Studium der Kunstgeschichte. Ab 1969 erste Filme über die Studentenbewegung in Film-Cooperativen. Mitarbeit bei der Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin, Regieassistenzen, am meisten gelernt bei Hans-Rolf Strobel, Ula Stöckl, Edgar Reitz, Mitarbeit bei KINO ZWEI, Regie Edgar Reitz, ZDF.
    Seit 1975 Arbeit als Regisseurin für ARD und ZDF, 1979 Gründung der eigenen Produktionsfirma. Über 60 Fernsehproduktionen zu sozialen Fragen und zur deutschen Geschichte, lange Kinodokumentarfilme zur Verfolgung in der NS - Zeit von deutschen Zigeunern (Sinte) und zum Widerstand mit diversen Preisen und Auszeichnungen, Mitglied der Akademie der Künste Berlin und der European Film Academy


    FILME

    1970
    1971

    1978
    1980
    1981


    1982

    1983
    1985
    1986
    1987

    1990






    1993
    1994
    1995
    1998

    2000
    2003

    2006
    2000-2008
    DIE WILDEN TIERE / Rote Knastwoche Ebrach, Regie mit Gerd Conradt, 37 Min, Oberhausen
    AKKORDARBEITERIN BEIM OSRAM-KONZERN, mit Kollektiv Westberliner Filmarbeiter,
    Dokumentarfilm, 24 Min, Golddukaten, Mannheim 71
    GORLEBEN, SCHÄFEREIGENOSSENSCHAFT FINKHOF, Dokumentarfilme, je 15 Min
    SCHIMPFT UNS NICHT ZIGEUNER, Dokumentarfilm, 45 Min, Preis des Frauenfilmfestivals Paris 81
    WIR SIND SINTIKINDER UND KEINE ZIGEUNER, 22 Min, Dokumentarfilm,"besonders wertvoll"
    WIR SIND STARK UND ZÄRTLICH, 45 Min, Dokumentarfilm, Preis der Jugendfilmclubs 81, Preis des
    Frauenfilmfestivals Paris 82
    ES GING TAG UND NACHT, LIEBES KIND. / Zigeuner (Sinti) in Auschwitz, Dokumentarfilm,
    76 Min, "besonders wertvoll"
    EIN WILD, ROH, TOBEND, VOLK / Die Deutschen und ihr Luther, Spielfilm, 45 Min
    DAS ERSTE MAL ÜBER 130 GEFAHREN, 39 Min, Dokumentarfilm, Christopherus-Preis
    GEFAHR FÜR DEN KÖNIG / Ein preußisches Nachtstück um Friedrich II., genannt "Der Große", Spielfilm, 45 Min
    DAS FALSCHE WORT / "Wiedergutmachung" an Zigeunern (Sinte) in Deutschland?,
    Dokumentarfilm, 83 Min, Film des Monats November 1988, "besonders wertvoll"
    DEUTSCH IST MEINE MUTTERSPRACHE / Deutsche Juden erinnern sich an ihre
    christlichen Mitbürger, Dokumentarfilm, 30 Min
    „ALLE JUDEN RAUS !“/ Judenverfolgung in einer deutschen Kleinstadt 1933 – 1945, mit
    Emanuel Rund, Dokumentarfilm, 83 Min, "Silver Hugo" Chicago 90, Aufforderung zur Oscar-Nominierung 92,
    besonders wertvoll"
    ICH MÖCHTE IMMER DARÜBER REDEN / Katastrophen und das Leben danach,
    Dokumentarfilm, 45 Min, Etienne-Jules-Marey-Peis
    ES GING RASEND SCHNELL / Unfallopfer und ihre Täter, Dokumentarfilm, 45 Min, Christoperus-Preis
    MUT OHNE BEFEHL / Widerstand und Verfolgung in Stuttgart 1933-1945, Dokumentarfilm, 59 Min
    WUT IM BAUCH / Wenn Frauen gewalttätig werden, Dokumentarfilm, 30 Min
    NEIN! / Zeugen des Widerstandes in München 1933-1945, Dokumentarfilm, 54 Min
    "Jury special Award", International Meeting of Cinema and History, Istanbul 2000
    LUDWIG KOCH / Der mutige Weg eines politischen Menschen, Dokumentarfilm, 30 Min
    LICHTSUCHER / Von Blinden, die sehen wollen, Dokumentarfilm, 30 Min, Medienpreis des BV der
    Augenärzte Deutschlands
    LISA FITTKO CHICAGO 2000, Hörspiel 55 Min,
    DIE WIDERSTÄNDIGEN / Zeugen der Weißen Rose, Dokumentarfilm, 92 Minuten



    TEXTE ZUM FILM

    Zu den Zeugen
    __________________________________________________________________________

    Der Widerstand der Weißen Rose wird häufig nur mit den Geschwistern Scholl gleichgesetzt, doch
    waren Menschen in ganz Deutschland aktiv. Gegen Eroberungs-und Vernichtungskrieg, gegen den
    Hagel der Nazipropaganda verteilten sie sechs Flugblätter, verfasst von Hans Scholl, Alexander
    Schmorell und Professor Kurt Huber. Die Weiße Rose - das war ein Freundeskreis von zumeist
    jungen Menschen aus der bürgerlichen Gesellschaft, die sich erhoben und das Unrecht in ihren Flugblättern
    laut anprangerten, Flugblätter, die zum sofortigen Ende des Krieges aufriefen und zum Sturz
    des Regimes. Die Aufrufe wurden als Schwerverbrechen gewertet, die führenden Mitglieder, die Verfasser
    der Flugblätter und ihre engsten Helfer Sophie Scholl, Willi Graf und Christoph Probst wurden
    1943 zum Tod verurteilt. Laut Volksgerichtshof handelte es sich um "den schwersten Fall hochverräterischer
    Flugblattpropaganda, der sich während des Krieges im Altreich ereignet hat. Aus diesem
    Grunde und wegen der Persönlichkeit der Täter hat das Verfahren erhebliches Aufsehen erregt".
    Fünf dieser Akteure, die im Zweiten Weiße Rose Prozess des Volksgerichtshofs angeklagt waren,
    erleben wir im Film. Es sind die Geschwister Hans Hirzel und Susanne Zeller-Hirzel, es sind Franz
    J. Müller, Heiner Guter und die Freundin von Hans Scholl, Traute Lafrenz-Page. Diese Widerstandskämpfer
    haben noch Zeugnis abgelegt über das mutige Verhalten der Ermordeten, ihr Auftreten
    vor Gericht, über die Wesenszüge der Toten, und besonders über ihre eigenen Motive, „Nein!“ zu sagen.
    Sie sprechen offen über ihre Gefühle, ihre Ängste und Taten und sie stellen den zum Teil falschen
    Gestapoprotokollen, den verlogenen Rechtfertigungen der Nachkriegszeit, die wohlbehalten in
    unseren Archiven liegen, ihre Sicht der Dinge entgegen. Möglicherweise eine subjektive Sicht.
    Drei weitere Mitglieder aus dem Freundeskreises der Weißen Rose, die kurzfristig in Gestapohaft waren,
    berichten über die Ermordeten und wie sie deren Widerstandsarbeit unterstützen. Es sind Lilo
    Fürst-Ramdohr, die den Gestapoverhören standhielt und entlassen werden musste, es sind Jürgen
    Wittenstein und Nikolay Hamazaspian. Diese Freunde und Freundinnen halfen bei der Flucht
    Alexander Schmorells, informierten die Familien und unterstützten sie.
    Chronisten der Weißen Rose sind auch die Familienmitglieder wie die damals 12-jährige Tochter von
    Professor Huber, Birgit Weiß-Huber, die die Verhaftung ihres Vaters mit ansehen musste, ist die
    Schwester von Hans und Sophie Scholl, Elisabeth Hartnagel, die die Radikalisierung ihrer Schwester
    Ende 1942 miterlebte, uneingeweihte Zeugin der Widerstandsarbeit ihrer Geschwister wurde.
    Chronistin ist die Schwester von Willi Graf, Anneliese Knoop-Graf, die Hans Scholl kurz bei der
    Gestapo sah und die Untersuchungs-und Sippenhaft ertrug. Der Halbbruder Alexander Schmorells,
    Erich Schmorell und der Halbbruder Christoph Probsts, Dieter Sasse, erzählen von Oppositionsgeist
    und der Kriegsgegnerschaft der beiden Freunde. Christoph Probsts Frau, Herta Siebler-Probst,
    erinnert sich an die Empörung ihres Mannes über die Vernichtung von Tausenden von Soldaten in
    Stalingrad. Die Tochter Professor Hubers spricht über den letzten Besuch bei ihrem Vater. Sie alle
    erfahren nach dem Tod ihrer Angehörigen die Demütigungen der SS und die Kälte ihrer Mitmenschen.


    Warum überhaupt noch einen Dokumentarfilm über die Weiße Rose?
    Von Katrin Seybold
    _______________________________________________________________________

    Die Arbeit am Film begann vor mehr als zehn Jahren. Warum ich 1999 immer noch einen Film über
    die NS-Zeit machen wollte? Es war der allerletzte Moment für eine „lebendige“ Aufnahme der Zeugen.
    Sollten unsere Nachfahren nur die Gestapoprotokolle und Volksgerichtshofsakten zur Verfügung
    behalten?
    1998, bei den Dreharbeiten zu unserem Projekt „NEIN ! / Zeugen des Widerstandes in München 1933-
    1945“ mit der Schwester Willi Grafs fiel mir auf, wie viel gutes Interviewmaterial ich schon mit
    Beteiligten, oder besser Mitgliedern der Weißen Rose gedreht hatte, mit Lieselotte Dreyfeldt und mit
    Susanne Hirzel, Interviews, die ich in diesem und auch dem anderen Film von 1994 „MUT OHNE
    BEFEHL / Widerstand und Verfolgung in Stuttgart 1933-1945“ gar nicht verwenden konnte. Ich redete
    so dahin, daß ich eigentlich gern einen Film über die Weiße Rose machen würde. Frau Knoop-Graf
    antwortete mir lakonisch „Da müssen sie sich aber beeilen“.
    Beeilt habe ich mich, aber es hat länger gedauert. Ich habe versucht, den Widerstandskämpfern und
    ihren Angehörigen dadurch, daß sie ausführlich über ihre jeweiligen Erlebnisse, ihre Beweggründe für
    ihre Gegnerschaft, sowie die Verarbeitung ihrer Erfahrungen mit dem Dritten Reich und ihre bitteren
    Erfahrungen in der Zeit danach berichten können, der nötige, bis heute oft nicht erfolgte Respekt vor
    ihrem politischen Engagement und ihrer Zivilcourage erwiesen werden. Für ihren Mut und ihre
    Opferbereitschaft ernteten außer Sophie Scholl die Frauen des inneren Kreises der Weißen Rose
    nichts, bis heute bleibt Traute Lafrenz-Page, Susanne Zeller-Hirzel, Lilo Fürst-Ramdohr und den
    Familienmitgliedern Elisabeth Hartnagel und Birgit Weiß-Huber die Anerkennung der breiten
    Öffentlichkeit versagt, fast niemand kennt ihre Namen.


    Director's Note
    Von Katrin Seybold
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    Nur Weniges ist außer den Flugblättern vom Widerstand der Weißen Rose noch sichtbar. Es gibt
    natürlich keine Aufnahmen ihrer heimlichen Flugblattverteilung, keine Fotos der Wandparolen, keine
    Bilder von der Herstellung der Flugblätter, keine Gruppenfotos der Leseabende oder irgendeinem
    anderen Treffen. Sichtbar ist ihr Widerstand heute nur noch in ihren Gesichtern, wenn sie erzählen. Er
    scheint sichtbar zu werden in ihren Jugendfotos, da sieht man außergewöhnliche Menschen. Ein
    Gesicht, das nicht alle hätten haben können in der Nazizeit. Wenn die Zeugen aus ihrer heutigen Sicht
    erzählen, dann klingt es so, als erzählten sie etwas Selbstverständliches. Es klingt so, als hätte jeder
    von uns so handeln können wie sie. Als sei Widerstand so etwas Einfaches wie, Lesen,
    Schreibmaschine schreiben, den Zug nehmen. Sie fallen nicht in die Rolle des Helden, sie stehen an
    keiner Spitze des Zuges bewaffneter Arbeiter oder unterdrückter Mütter.
    Ich ging auf Spurensuche nach Sichtbarem. Übrig geblieben sind die Fotos des Freundeskreises und
    Fotos aus Russland von Jürgen Wittenstein. Übrig geblieben ist die Schreibmaschine, mit der
    Alexander Schmorell die ersten vier Flugblätter schrieb, sind eine Handvoll der Flugblätter, abgeliefert
    von ängstlichen Untertanen, weniger als zehn Briefumschläge mit denen die Flugblätter verschickt
    wurden, die Briefumschläge beschafft und mit Schreibmaschine beschriftet von Alexander Schmorell,
    von den Geschwistern Scholl, von Hans Hirzel und Franz J. Müller. Das ist alles.

    Danach suchte ich nach Sichtbarem der Täter. Das Hitlerregime hat versucht, jedes Wissen über die
    Widerstandsbewegung zu verheimlichen. Auch durch den Krieg wurden Unterlagen vernichtet. Unter
    den Stempeln "Geheim", "Haft !" und "Eilt sehr!", unter Aktendeckeln finden sich Telegramme des
    Volksgerichtshofs und Schriftverkehr des Reichsinnenministeriums mit Gestapo und anderen
    Behörden. Auch Gestapoprotokolle sind erhalten, wobei nie vergessen werden darf, aus wessen Sicht
    und mit welchem Zweck diese aufgezeichnet worden sind.
    Ich wollte alles finden. Auch die Gesichter der zackigen Töter, Denunzianten, Spitzel,
    Gestapobeamten, die Herren des Gerichts und die Herren Ankläger, die Reichsanwälte. Fast alle
    waren unsichtbar, gesichtslos. Die Alliierten halfen beim Untertauchen und beschlagnahmten rigoros
    die Täterkarteien. Seit einigen Jahren erst sind sie zugänglich. Ich wollte mir ein Bild von ihnen
    machen, die Gesichter derjenigen finden, die die Tapferen der Weißen Rose aufs Schafott gebracht
    hatten. Was ich fand, zeigt, die Vollstrecker der Nazidiktatur haben ein gewöhnliches, biederes
    Gesicht.
    Die Flugblätter, die Anklageschriften und Urteile "Im Namen des Volkes" sind der bleibende Beweis:
    so viel Edelmut und so viel Niedrigkeit haben selten miteinander gekämpft wie bei der Weißen Rose.


    Über Lilo Fürst-Ramdohr und Traute Lafrenz-Page
    Von Katrin Seybold
    Auszüge aus: "Macht und Gesellschaft"/Männer und Frauen in
    der NS-Zeit. Vortrag vom 19.6.2004 im Münchner Stadtmuseum
    _______________________________________________________________________
    ...
    Lilo Ramdohr
    ist eine derjenigen, die nicht angeklagt worden ist, weil ihr es gelang den Nazis eine "Frauenrolle"
    aufzutischen. Sie konnte nur entwischen, weil ihre Freunde das Spiel mitspielten. 1942 ermöglichte sie
    Alex Schmorell und Hans Scholl den Kontakt zu Falk Harnack, dem Bruder von Arvid Harnack, einem
    der Initiatoren der großen Berliner Widerstandsgruppe, der die Gestapo den Fahndungsbegriff "Rote
    Kapelle" gab. Falk Harnack hatte schon die Verbindung zum 20. Juli und Bonhoeffer hergestellt, durch
    die Verhaftungen von Hans und Sophie Scholl kam es nicht mehr zu dem geplanten Treffen. Eine Tat
    von Lilo Ramdohr, die als "Vorbereitung zum Hochverrat" galt und die ihr die Todesstrafe hätte
    einbringen können.
    Darüber hinaus versteckte Alexander Schmorell bei ihr Flugblätter, den Vervielfältigungsapparat und
    fertigte die Schablonen für die Wandparole "Nieder mit Hitler". an. Sie fälschte mit ihrer Nachbarin,
    einer Buchbinderin, den Paß von Alexander Schmorell, der damit die in Schloß Elmau herbeigerufene
    Polizei täuschen konnte.
    "Alex kam die Treppe hoch, grau - war völlig unrasiert und er sagte dann 'Jetzt haben sie Hans und
    Sophie weg gebracht' und er wollte fliehen und ob ich bereit wäre, ihm den Paß zu fälschen...Am
    nächsten Tag sind wir zum Starnberger Bahnhof, weil er wollte den Graf suchen und am Starnberger
    Bahnhof war der ganze Bahnhof voll Gestapo, und da sagt Alex 'Das schaffen wir nicht, wenn wir hier
    noch zwei Schritte machen, sind wir beide verhaftet! ' Jetzt hatte er Angst um mich. Dann sind wir wieder,
    mindestens eine halbe Stunde nach Nymphenburg gelaufen und um 2 Uhr in der Nacht, da hat er
    einfach keine Geduld mehr gehabt und dann sind wir runtergegangen in die Ferdinand-Maria- Straße
    und da sagt er zu mir, 'Ach Lilo,' sagt er, 'Ist ja egal, irgend etwas mußte sich in meinem Leben mal
    entscheiden' hat er gesagt'und 'Ich habe keine Angst vor dem Sterben, es kann nur besser werden.'
    Alexander Schmorell verriet ihre langjährige Freundschaft nicht, Falk Harnack tarnte sie als Verlobte
    und als sie ihm nach der Festnahme der Geschwister Scholl eine Warnung zukommen ließ, hatte er
    die Geistesgegenwart ihr einen - wie sie meint - fingierten Heiratsantrag zu machen. Mutig führte sie
    die Gestapo bei ihren Verhören an der Nase herum, so daß man sie aus dem Wittelsbacher Palais freilassen mußte. Die Polizei und der Volksgerichtshof gingen ihrem eigenen Rollenmodell zunächst
    auf den Leim, bis sie Verdacht schöpften. Falk Harnack floh zu den griechischen Partisanen, Lilo
    Ramdohr aus München, tauchte unter und heiratete, um mit anderem Namen um den Nachforschungen
    der Gestapo zu entwischen.
    In ihrem Buch hat sie von ihrem hingemordeten Freund Alexander Schmorell ein liebevolles Bild gezeichnet.
    Sie war seine aufmüpfige Freundin, durch ihre Tarnungen ein ordnungswidriges Element.
    Ihre Zeugenschaft scheint mir bis heute unterschätzt. Ist ihr Tun weniger wert, weil es ihr gelang, sich
    herauszureden, sich in den Schutz der Mißachtung der Frauen zu begeben und die harmlose, unwissende
    Braut zu spielen? Ich sehe sie katapultiert in die Ursituation einer selbstständigen Frau: auf Anerkennung
    pfeifend sich mißliebig machend weil sie eine Wissende ist. Alles Gründe dafür, daß man
    sie in ihrer peripheren Rolle, übernommen aus den Gestapoakten, beläßt.
    Traute Lafrenz
    In einer Untersuchung von Ann Jones über Mörderinnen in den USA weist diese nach, daß deren
    Bestrafung niedrig bleibt, je unselbständiger die Frauen angesehen wurden und daß diese überproportional
    im Vergleich zu derjenigen der Männer steigt, wenn sie als emanzipierte Frauen eingeschätzt
    wurden. Diesem Paradox war Traute Lafrenz gleich zwei Mal ausgesetzt: vom Volksgerichtshof
    wurde Anklage gegen sie erhoben, beim Prozeß gegen Schmorell, Graf und Huber verurteilte
    Freisler sie zuerst zu einem Jahr. Doch nachdem ihr Hamburger Klassenkamerad Heinz Kucharski
    der Gestapo 60 Seiten über sie diktiert hatte, - sie hatte den Hamburgern Flugblätter gebracht -,
    drohte ihr die Todesstrafe.
    In einer Zeit, in der Menschlichkeit ein Verbrechen war, baut sie sich Luftschlösser und eigene
    Traumgebilde durch die Berührung mit Bertolt Brecht, Novalis und Tolstois "Krieg und Frieden". In
    einer solchen Welt, der Welt der Nazi-Diktatur mündig werden, heißt in deren Sinn mißraten. Traute
    Lafrenz entwickelt sich zur verlorenen Tochter - nach ihrem ersten Prozeß wird sie, wie alle anderen
    vom Studium an allen Deutschen Hochschulen ausgeschlossen.
    Durch Alexander Schmorell hatte die Medizinstudentin Hans Scholl kennengelernt und wurde seine
    Freundin. Beide haben an der Realisierung ihrer Traumgebilde gearbeitet: Brüderlichkeit oder besser
    Geschwisterlichkeit und Frieden. Aufgewachsen im liberalen und musischen Milieu der Hamburger
    Lichtwarkschule in der Klasse der Lehrerin Erna Stahl, machte sie in den Leseabenden Hans Scholl
    und Alexander Schmorell mit Texten aus ihren Schulstunden und Leseabenden mit Erna Stahl
    bekannt, die die beiden dann in ihren ersten vier Flugblättern zitieren. Diese Texte waren zum Teil die
    Grundlage für den ethisch begründeten Appell an das Gewissen, der von den Nazis als politisches Schwerverbrechen gewertet wurde. Kaltblütig gelingt es ihr, der Gestapo eine dämliche Geschichte
    aufzutischen und niemanden zu verraten.
    In den Veröffentlichungen der letzten Jahre steht mehr darüber, welche Teile der Flugblätter von Hans
    Scholl und welche Passagen von Alexander Schmorell verfaßt worden sind (wie aus den Fußnoten
    ersichtlich, gestützt wird sich ausschließlich auf die Gestapoprotokolle). Aber vorausgesetzt, man
    analysiert die Flugblätter, kann man dann Traute Lafrenz als brave Zuarbeiterin eines Männerkollektivs
    sehen? Sie ist eine Initiatorin der Münchner Leseabende, gibt Flugblätter an Kommilitonen weiter,
    bringt sie nach Wien und Hamburg. Als Vater Scholl von seiner Angestellten Inge Wilke denunziert
    worden war, hilft sie in dessen Büro, nach der Verhaftung der Geschwister Scholl warnt sie Josef
    Furtmeier, Kurt Huber, ihre Wirtsleute und fährt nach Ulm zur Familie. Sie versucht, für Christoph
    Probst ein Gnadengesuch von dessen Frau zu erhalten, säubert mit Werner Scholl die Wohnung von
    Sophie und Hans von weiterem Belastungsmaterial und hat den Mut - wie keiner sonst - am Begräbnis
    der Scholls teilzunehmen. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis will die Gestapo sie 1944 wieder
    festnehmen. Sie versucht in die Schweiz zu fliehen, ihre Flucht mißlingt. Die Gestapo verhaftet sie
    erneut. Jetzt droht ihr die Todesstrafe, doch es kommt nicht mehr zum Prozeß. Bis zur Befreiung Mitte
    April 1945 wird sie in mehreren Zuchthäusern und Gefängnissen gefangengehalten. Nach dem Krieg
    hält sie es in Deutschland nicht mehr aus und arbeitet als Ärztin in einem der Schwarzenslums von
    Chicago. Außer ihrem Bericht in Inge Scholls Buch ist es verwunderlich, dass ihr Beitrag zu den
    Flugblättern und zur Widerstandstätigkeit so wenig gewürdigt worden ist.
    "Ich weiß auch nicht mehr, wie das war, ob dann der Werner und ich nach Bad Tölz - oder wo Christls
    Frau im Krankenhaus war, die hatte gerade ein Kind bekommen und mußte das Gnadengesuch
    selber unterschreiben... Und da mußten wir ihr das sagen - das war furchtbar...Und dann sind wir
    wieder nachhause, nach München gefahren und da hatte sie unterschrieben. Das war furchtbar...
    Das war so ein blutiger Sonnenaufgang...Also das war schon ganz früh am nächsten Morgen, wir
    waren um Sieben bei ihr etwa und wir sind dann zurück und es war ein ganz roter Morgen, Sonnenaufgang
    und der Werner sagte dann, es ist sicher jetzt zu spät und es war auch dann zu spät..."
    In "Krieg und Frieden" habe Tolstoi mit Natascha eine der schönsten Frauengestalten und Liebesgeschichten
    geschaffen, erzählte sie mit einem Lächeln im Interview. Vielleicht ein Hinweis auf ihre
    eigene mit Hans Scholl. Tolstoi hat darin Männer und Frauen eindrucksvoll beschrieben. Am Ende von
    "Krieg und Frieden" steht: "Solange man nur die Geschichte einzelner Personen, mögen sie Caesar,
    Alexander, Luther oder Voltaire heißen, beschreibt, ist es schlechterdings unmöglich, die Bewegung
    der Menschheit zu beschreiben...Man muß die Geschichte aller ohne Ausnahme beschreiben, die an
    dem Ereignis teilgenommen haben. Dann werden die Geschichtsschreiber den Begriff der Macht
    erfassen." 9 Ist dies nicht eine wunderbare Aufforderung an uns alle, das Verschwinden starker Frauen
    aus der Erinnerung, aus den Gedenkstätten aufzuhalten?


    "Wenn einer spricht , wird es hell "
    Von Katrin Seybold
    Auszüge aus: "Zeitgeschichtlicher Film und Geschichtswissenschaft"
    Vortrag zum 75. Geburtstag von Hans Mommsen.
    5.11.2005
    _______________________________________________________________________
    ...
    Als Raul Hilberg 1993 sein Buch "Täter, Opfer Zuschauer" in München vorstellte, wies er darauf hin,
    daß nicht allein die sich immer noch weitgehend auf Täterdokumente stützende Geschichtsschreibung
    nur Beachtung finden dürfe, sondern auch die Lebensgeschichten Einzelner, insbesondere die der
    Regimegegner und Verfolgten. Doch die Besten und Mutigsten seien tot, obwohl diese, streng genommen,
    doch die wichtigsten Zeugen wären. Meine Befragungen, 60 Jahre später, sind demnach
    Mosaiksteine, Facetten des Widerstands der Weißen Rose aus heutiger Sicht. Gleichzeitig ergibt sich
    daraus meine Haltung: Ich sehe mich nicht als Dokumentaristin oder Chronistin, höchstens als "Festhalterin",
    ich halte etwas fest, weil es sonst verschwindet. Und daraus ergibt sich meine Form: „Wenn
    einer spricht, wird es hell“, dieses Wort Sigmund Freuds gilt immer noch.
    Der Film wird aus den bruchstückhaften Erinnerungen der Beteiligten bestehen. Ich habe nicht gefilmt
    am authentischen Ort, der sowohl Emotionen wie auch Starrheit hervorrufen kann, ich hatte keinen
    systematisierten Fragenkatalog sondern meine Fragen im Kopf. Bei einer solch schwierigen Situation:
    Filmkamera, Scheinwerfer, und meinem Druck an eben dem Tag das gesagt zu bekommen, was wichtig
    ist. Auch wenn ich mich immer auf die Menschen eingestellt habe, eingegangen bin, gelang es mir
    nicht immer, für mich ergiebige Aussagen zu bekommen - wie verständliche Sätze, nur um ein Beispiel
    zu nennen. Bei einer wichtigen Zeugin mußte ich die Dreharbeiten wiederholen. Im Allgemeinen
    ist das nicht möglich - aus Kostengründen. Es waren keineswegs lockere Gespräche unter Gleichgesinnten,
    keine Erzählungen mit Enkeln, sondern ich stellte Fragen in einer Ausnahmesituation, die
    inszeniert war.
    Die meisten Zeugen mußten viel Überwindung aufbringen, um sich hier zeigen zu können. Dieses
    Filmen erinnerte sie an Erfahrungen, die wieder aufleben zu lassen keineswegs immer befreiend
    wirkten. Durchweg waren es die Frauen, die ihren Anteil an den Aktionen für unbedeutend hielten, sie
    haben sozusagen sich selbst an den Rand der Geschichte gedrängt, auch wenn ihre Taten sehr
    couragiert waren, erschien ihnen ihre eigene Lebensgeschichte nicht erzählenswert angesichts derer,
    die ihr Leben verloren hatten. Bei den Männern war das manchmal umgekehrt, im Allgemeinen waren
    sie selbstbewußter. Einige der Zeugen stehen heute im Rampenlicht, den anderen ist öffentliche
    Anerkennung bis heute versagt geblieben. Die Qualität der Aussagen zwischen den bekannteren
    Zeugen und derer, die bisher nicht in der Öffentlichkeit standen, differiert häufig sehr stark. Eine der
    Ursachen dafür ist, daß manche Zeugen ihre Lebensgeschichte schon sehr oft erzählt haben.

    Für den Erinnerungsprozeß ist es notwendig, daß die Fragerin eine Fremde bleibt, eine Art Komplizin
    des Gedächtnisses nur insoweit, daß Erlebtes wieder kommt. Ich denke, Personen werden im Film
    erst Zeugen, wenn der sie Befragende, das Gegenüber Ihnen selbst nichts zu sagen hat, sondern nur
    wissen will. Dann, allerdings erscheint, was kein Kriminalkommissar der Gestapo je imstande ist, aufzuzeichnen
    und aus den Akten herauszulesen ist: Die Sprache, die wankelmütige, hilflose, die zögerliche,
    verunglückende, geschminkte, enttarnte, und das Herantasten an das richtige Wort, an die
    Beschreibung des alles einschränkenden Standpunkts, Blickwinkels, also die Relativierung.
    Voraussetzung für Offenheit der Zeugen sind Anteilnahme und Hinwendung zu den mir - nennen wir
    es so - zeitweise Ausgelieferten. Für einen kurzen Moment löse ich Trauer, Abwehr, Schmerz, selten
    Freude aus. Oft ernte ich dafür Wut, Ärger, Zorn. Und, es mag paradox klingen, die Zeugen, mit denen
    ich mich am meisten "gestritten" habe, sind im Film die Eindrücklicheren. Die Facetten der Wahrheit
    einer Aussage, oder besser, Hannah Arendts "Augenblick der Wahrheit" kann nur durch Mitteilung
    entstehen und wenn diese kein Gehör findet, gibt es kein Zeugnis. Ich verstehe diese Mitteilung als
    Aufruf und Appell an unsere Verantwortung, vorausgesetzt sie gelangt zu einer Rezeption, zur Aufnahme
    und kann so - in sogenannter sekundärer Zeugenschaft - mit den Beteiligten geteilt werden.
    ...
    "Wo flammt ein Wort, das für uns beide zeugte?" fragt Paul Celan in einem Gedicht. Als Filmemacherin
    nehme ich für mich überhaupt nicht die Deutungshoheit über die Geschichte in Anspruch.
    Insofern ist es mir 60 Jahre nach der Katastrophe nicht darum zu tun, Identifikation und Heldenverehrung
    mit den Wagemutigen einerseits und Ablehnung und Entsetzen über Denunzianten andererseits
    auszulösen. Ich versuche die Rückblicke der Zeugen von heute zu verknüpfen durch die Suche
    nach Darstellungsformen, durch die Montage von Zeugenerzählungen, Erinnerungssplitter Einzelner,
    ich nehme kein Propagandamaterial, kennzeichne Fotos, Dokumente der Täter, trenne die Fotos der
    Verfolgten von denen der Verfolger. Insofern bin ich parteilich. Das ist meine Form der Umsetzung,
    mein Mittel, sich der Geschichte zu nähern.