| Schlaf der Vernunft, Der | ||
Spielfilm 1984, 35 mm, 1 : 1,85, sw, 82 Min. Bundesfilmpreis | |||
BESETZUNG | |||
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TEXTE ZUM FILM | |||
Gespräch Christa Maerker mit Ula Stöckl: Maerker: Wie kann man, wenn man fünf Jahre für ein Projekt kämpft, noch soviel Kraft aufrechterhalten, wie sich in dem Film vermittelt? Geht die Energie nicht im Lauf der Zeit verloren? Stöckl: Ich glaube nicht. Das Filmemachen geht nicht so, daß du - sobald du das Geld hast - sofort einen ganzen Kloß produzierst, sondern es geht Schritt für Schritt. Arbeitsgang für Arbeitsgang. Man wird ja auch angesteckt. Man wird angesteckt durch die Tatsache, daß man jetzt ein schönes Motiv hat. Man wird angesteckt durch die Tatsache, daß da plötzlich drei Leute sind, die einem ein Licht setzen, daß man vor Begeisterung in die Knie geht. Oder, daß man einen Kameramann hat der sich wirklich auf das einläßt, was man da machen will. Und daß man überhaupt das Glück hat, wie ich es in dem Fall hatte, mit einem Team konfrontiert zu sein, das diesen Film machen wollte und mit mir arbeiten wollte, denn eins ist wahr: Die Emotionen gehen einem auf einer so langen Strecke irgendwie verloren. Und man kriegt sie dann eigentlich über den Umweg wieder, daß man jetzt nicht nur sich selber nicht enttäuschen darf, sondern auch die Leute nicht, die mit einem arbeiten. nach oben Maerker: Kann es nicht auch anders sein: ich finde, daß der Film so reich ist, daß ich mir vorstellen kann, daß im Zuge dieser langen Vorproduktionszeit auch das Buch immer reicher wurde. Oder anders: daß Dea ihre Katastrophe überlebt, weil du deine Katastrophen überlebt hast - und mehr und mehr davon übermitteln konntest. Stöckl: Einen Trost muß es ja auch in der Tatsache geben, daß man älter wird. Und ich sehe einen großen Vorteil darin, älter zu werden, weil es mir in so einer Arbeit dann erlaubt, mich wirklich mit allen Figuren zu identifizieren. Ich war, glaube ich, im Laufe meines Lebens irgendwann einmal jede Figur. Zumindest kann ich mich so in sie hineinversetzen, daß ich sie verstehe. nach oben Maerker: Wie schätzt du die nächste Generation ein: da sind die Töchter, die der Mutter in den Rücken fallen - das tut übrigens auch die Mutter der Mutter. Gehen die Kinder einen Schritt zurück? Stöckl: Ich halte das für eine ganz natürliche Reaktion. Da kann ich auch wieder nur sagen, je älter ich werde, desto mehr stelle ich fest, daß eigentlich zu jedem Fortschritt, den man registriert, die Erfahrung gehört, daß in einer ganz bestimmten Bewegung das alles auch wieder nach rückwärts geht. Und nur das Wissen darum, daß im Leben erstmal alles kontinuierlich weiterläuft - wenn auch nicht in der gleichen Schiene - läßt einem eigentlich die Hoffnung, daß es nicht ganz so schlimm ist, wie es im Moment aussieht. Das heißt, wenn jetzt nicht ganz schlimme Ereignisse kommen wie Krieg oder irgend etwas, was das bisher Erfahrene total in Vergessenheit geraten läßt, wie Erfahrungen, die unsere Mütter oder Großmütter gemacht haben, die ja wirklich von unserer Generation erst wieder ausgegraben werden mußten und zwar auf den Verdacht hin, daß es sie geben könnte, dann denke ich, daß so eine Reaktion normal ist. nach oben Ich denke dabei auch daran, daß ich als Kind erfahren habe, was Hunger ist und daß ich schon gelernt habe, daß man dieses Wissen nicht von einer anderen Generation verlangen kann, die das nicht kennt. Und deshalb denke ich, darf man nicht anfangen, der Generation, die eine bestimmte Not nicht gekannt hat, die Abwesenheit dieser Not zum Vorwurf zu machen, sondern man muß sich vielleicht viel eher dafür interessieren, was der Motor für deren Handlungsweisen ist. Ich kann mich daran erinnern, daß ich sehr schockiert war, als die Tochter eines Freundes sich bei mir beschwerte, daß es immer die Frauen sein müssen, die daran denken, ob es ein Kind wird oder nicht, wenn sie mit einem Mann zusammen sind. Und ich habe gemerkt, wie ich innerlich schockiert war - ich wollte sie eigentlich beschimpfen, sagen: sei doch froh, wir haben noch nicht einmal die Pille gekannt, - aber ich habe mich noch mitten im Gedanken gebremst, weil ich mir gedacht habe, es ist ja eigentlich wahr. Es stimmt ja, was sie sagt. Und nur, weil es bei uns noch nicht mal die Möglichkeit gab, ist man jetzt fast dabei, ihr zu sagen, sie soll doch dankbar sein. nach oben Maerker: Zu Dea: Sie wirft ihrem Mann vor, daß er ihr einst beigebracht habe, daß sie liebenswert sei, und erlebt, daß er ihr genau das wieder entzieht. Sind es wirklich ihre Phantasien allein - eigentlich untypische Frauenphantasien, sehr destruktiv, kriegerisch - die sie mit diesem Entzug fertig werden lassen? Stöckl: Wenn sie sagt, „du hast mir beigebracht, daß ich liebenswert bin”, dann ist das eigentlich das Ergebnis eines ganz mühsamen, langen Entwicklungsprozesses, der damit anfängt, daß erstmal kaum eine Frau sich selber mag und sich auch nicht vorstellen kann, daß irgend jemand anderes sie lieben könnte. Wenn er diese Leistung wirklich erbracht hat, ihr beizubringen, daß sie liebenswert ist, dann sehe ich darin folgendes: Einmal gibt es wirklich Männer, denen etwas daran liegt, daß Frauen sich auch aus diesem Bild von Unterdrückung befreien, nicht nur aus der Tatsache, sondern aus dem Bild. Und dann denken sie: jetzt ist sie selbständig und braucht mich ja nicht mehr. Es gibt also Männer, die gern sich gleichwertig fühlende Frauen neben sich hätten, aber dieses „neben sich” verstehe ich wirklich wörtlich. Das sind Frauen, die neben ihnen her selbständig das sind, was sie sind. Aber von denen können sie sich dann ja auch wieder entfernen, denn man hat sie ja lebensfähig gemacht. Auch das wieder - auf einer anderen Ebene - ein Pygmalion-Syndrom. Wie man das überlebt und was das mit der Phantasie zu tun hat? Ich glaube, daß die Überlebensphantasien von Frauen- oder besser: die Rachephantasien von Frauen nicht anders sind als die von Männern. Es ist nur so, daß auch hier wieder die Erziehung ihnen ein Bild von sich beigebracht hat, das einfach heißt: ich bin lieb. Ich bin sanft. Ich bin überhaupt zu keiner Aggression fähig, und ich kann eigentlich nur dasitzen und weinen, wenn mir was nicht paßt. nach oben Und dann sind alle so unheimlich erschüttert, daß sie schnell mit einem Taschentuch kommen und mich fragen, was mir fehlt, und dann helfen sie mir. Und wir haben ja nun alle die Erfahrung gemacht, daß Weinen etwas ist, das Männer wirklich rührt. Aber nur dann, wenn es ihnen nützt. Tatsächlich ist es etwas, was sie nur nervt. Und im Zweifelsfall bringt es einen nur in die Ecke und sonst nirgendwo hin. Und wenn du in diesem Leben als Frau etwas willst, dann mußt du dich genauso zur Wehr setzen wie ein Mann; ob du es mit den gleichen Mitteln tust, ist eine individuelle Frage. Ich rede ja jetzt nicht vom Bombenentwickeln und Bombenschmeißen. Das Radikale an Dea ist, daß sie vielleicht etwas begriffen hat: wenn es nun schon sein muß, daß ich getrennt werde, dann muß diese Trennung so sein, daß sie endgültig ist. Und endgültig in diesem Leben ist nur der Tod. Alles andere läßt sich in irgendeiner Form einrenken. Für mich ist der Film nach wie vor das einzige Medium neben der Literatur, in dem du ungestraft radikal sein kannst, weil jeder soviel Kinoerfahrung hat, daß er weiß: dieser Tod, der mir hier vorgeführt wird, ist ein fiktiver, kein realer. So wie sich auch ein Kind den Tod der Eltern herbeiträumt und diese ja nicht wirklich umbringt. nach oben Dadurch, daß sie es träumt, bringt die Dea ihren Mann, die Kinder und ihre Rivalin wirklich um. Man muß den Mut haben, sich das, was man sich wünscht, auch wirklich vorzustellen. Und wenn man eine solche Wut hat auf den Mann, der einen verläßt, daß man wollte, er wäre tot, dann soll man sich ihn doch gefälligst in allen Variationen, die einem einfallen, „tot träumen”. Es hilft. Wenn man den Frauen immer wieder sagt, sie hätten keine Aggressionen, dann sagt man ihnen auf eine sehr merkwürdige Weise eigentlich, daß sie nicht lebensfähig sind. Man muß aggressiv werden in dem Moment, wo es darum geht: sind deine Interessen wichtiger als meine? Und habe ich nicht eine ganz genauso starke Lebensberechtigung wie du? |