•  
  •  
  •  

  •  


  • Blockade - Leningrad 1941-1944

    PRESSESTIMMEN

    Eine Nabelschnur zur Gegenwart

    „ ‘Blockade’ ist ein Dokumentarfilm, der diese unglückliche Spaltung zwischen dem Alltag und den großen, historischen Daten ohne spürbare Anstrengung aufhebt. Weil den kleinen Erlebnissen, persönlichen Entbehrungen und komischen Episoden während der 900 Tage dauernden Einkesselung Leningrads neben dem Ungeheuerlichen ihr Platz eingeräumt wird, verknüpft dieser Film die Geschichte unmerklich und zugleich ganz eng mit dem Heute. Die Drähte scheinen unter dem Kopfsteinpflaster der leeren Boulevards und hinter jeder Fassade sichtbar zu werden. (...)
    Der Film gibt in keinem Moment vor, die Geschichte der Blockade ultimativ abhandeln zu wollen. Er überzeugt durch die bewusste Ablehnung, dem Unfassbaren eine dramaturgische Logik zu unterstellen.
    Sechs Zeitzeugen kommen in ‘Blockade’ ausführlich zu Wort, darunter der Germanist Vladimir Admoni. Seine Erinnerungen – zum Beispiel an die politische Verwirrung ob des Nichtangriffs-Pakts oder an das naive Vertrauen der Sowjets in Hitler – fordern die ganze Konzentration des Zuschauers. Weder die starre Kamera noch die Montage lenken von der plastischen Ernsthaftigkeit seiner Schilderungen ab- alles verweist auf seine Rede. Admoni spricht Deutsch, die Sprache derer, die dereinst seine Heimatstadt zerstören wollten, aber auch die Sprache des Filmemachers. Man hört diese Ambivalenz in jedem seiner Sätze – es ist eine eigentümlich akustische Klammer zwischen dem Kriegsverbrechen in Leningrad und dem Versuch seiner filmischen Bewältigung. Als Person wirkt der Intellektuelle Admoni wie der leibhaftige Gegenpart zu Tatjana Illesch, die zweite deutschsprachige Interviewpartnerin des Films, alle anderen Gespräche sind untertitelt. Tatjana Illesch rollt sich förmlich über den Tisch, wenn sie berichtet, wie sie sich eine Maus gekocht hat oder wie Hunde und Katzen entführt worden sind. „Wahrscheinlich sind sie gegessen worden“, beschließt sie diese Geschichte, die sich wie das Gros ihrer Erinnerungen – um’s Essen, um fehlende Brotkarten, um Hunger drehen. Bei aller Dramatik sind ihre Erzählungen zuweilen ausgesprochen lustig – ob beabsichtigt oder nicht, das lässt der Film klugerweise offen. Wie die Lebensumstände währen der Blockade die Leningrader fast ausnahmlos dazu brachten, menschlich auf die unmenschliche Situation zu reagieren – davon berichten die Befragten mit zum Teil erstaunlicher Offenheit. Auch, wenn es um Tabuthemen wie Kannibalismus geht.
    Die Erzählungen werden sensibel verwoben mit der Bilderebene des Blockade-Films, der nicht zuletzt wegen der vielen verschollen geglaubten Archivaufnahmen Beachtung verdient. Mit fast detektivischen Eifer haben Thomas Kufus und seine Mitarbeiterin Marina Nikiforowa im staatlichen russischen Archiv von Krasnogorsk 20 Rollen Filmmaterial ausgegraben, die bislang noch nirgendwo zu sehen waren. Es sind Bilder von Frauen am Wasserloch in der zugefrorenen Newa, von Massengräbern, von den Straßenbahnen, die im metertiefen Schnee versunken sind, und von der Evakuierung über das Eis des winterlichen Ladogasees. Am beeindruckendsten aber sind die Szenen, wo Passanten an erfrorenen Leichen vorbeigehen, die auf den Gehwegen liegengeblieben sind. Niemand weicht ihnen wirklich aus oder schenkt ihnen einen zweiten Blick. Wie Ikonen prägen sich diese historischen Aufnahmen ins Gedächtnis: Der Tod war in Leningrad offenbar normaler als das Leben – während der Blockade starben über eine Million Menschen.
    Das Archivmaterial wird keineswegs nur als Bebilderung der Interviews montiert – mal steht es ganz stumm für sich, mal werden die Szenen mit Originaltönen oder Musik zu ‘selbständigen’ Zeitzeugen. Ein ähnliches Vertrauen in die Mitteilungsfähigkeit unkommentierter Bilder kennzeichnet auch die Aufnahmen aus dem heutigen Sankt Petersburg. Die Kamera erkundet zum Beispiel eine riesige Leningrader Schalterhalle, wo Postbeamte routiniert wie am Fließband Päckchen mit antik wirkenden Siegeln verschließen. Besonders für ‘Westler’ ist derart charmante Vorkriegsästhetik auch eine visuelle Brücke in die Vergangenheit. Thomas Kufus hält seine Zuschauer für aufmerksam genug
    solche Anspielungen und Zeitsprünge wahrzunehmen. (...)
    'Blockade' zeichnet sich durch seine subjektive Souveränität bei der filmischen Aufarbeitung eines hierzulande stark vernachlässigten Kapitels des Zweiten Weltkriegs aus."
    (Dorothee Wenner)

    “In 'Mein Krieg' zeigte Thomas Kufus den Rußland-Feldzug aus Sicht deutscher Landser, nun läßt er Zeitzeugen aus der ehemaligen Sowjetunion zu Wort kommen. Als Sujet wählte er die Blockade Leningrads, das 1941 von 153 deutschen Divisionen umzingelt wurde. Hitler wollte am Geburtsort der russischen Revolution - dem 'Zentrum jüdisch-bolschewistischer Intelligenz' - seine perverse Idee testen vom 'Lebensraum schaffen durch Entvölkerung des europäischen Teils der UdSSR': Leningrad sollte dem Erdboden gleichgemacht werden. So beschloß das 'Oberkommando der Wehrmacht', eine eventuelle Kapitulation nicht anzunehmen. Aber die Stadt wehrte sich und trotzte 900 Tage den Angriffen, bis sie im Januar 1944 von der 'Roten Armee' von der Blockade befreit wurde. Während der Blockade sind etwa eine Million Menschen durch den Artilleriebeschuß, vorwiegend aber durch Hunger und Kälte ums Leben gekommen.
    Daß man hierzulande nicht gerne über dieses schreckliche Kriegsverbrechen gesprochen, geschweige denn nachgedacht hat, liegt angesichts kaum stattgefundener Vergangenheitsbewältigung auf der Hand. Leningrad wurde abgehakt als ganz 'normale' Schlacht des Rußland-Feldzuges. Aber auch die Gegenseite tat sich schwer mit der Aufarbeitung: die Parteiführung in Moskau ignorierte nach dem Krieg die Leiden der Bevölkerung und 'verkaufte' die Befreiung ausschließlich als militärische Leistung. Sie setzte die Bevölkerung nach dem Krieg gar im Rahmen der stalinistischen Säuberungsaktionen weiterem Terror aus. So ist diese großzügig angelegte Stadt mit ihren Prachtboulevards und weitläufigen Plätzen eigentlich nie zur Ruhe gekommen, konnte ihre ursprüngliche Schönheit nie mehr entfalten. Noch heute sieht man die Spuren des Krieges. Diese Authentizität spiegelt sich auch in den mit viel Gespür für Atmosphäre komponierten Bildern wieder, die Kufus ohne inhaltlichen Zusammenhang gegen erst jetzt wieder entdeckte Archiv-Aufnahmen setzt. So bleibt es dem Zuschauer überlassen, Zusammenhänge herzustellen, sich einerseits in die Topografie der Stadt einzusehen, sich andererseits die historische Situation, die ein wohltuend spärlicher Kommentar erläutert, zu vergegenwärtigen. Nach einem kurzen Schock zu Beginn - deutsche Kriegsverbrecher werden öffentlich gehängt - und einigen wenigen Aufnahmen von der militärischen Verteidigung der Stadt konzentriert sich der Film ganz auf das 'alltägliche' Leben in der belagerten Stadt. Dazu befragt Kufus auch Zeitzeugen, die die Blockade überlebt haben. Sie ergänzen das, was die Bilder nicht zeigen: den Kampf um die tägliche 125-Gramm-Brot-Ration, die Angst vor zweifelsohne stattgefundenem Kannibalismus, aber auch die Hoffnung auf Rettung, der man durch die Fortführung kultureller Veranstaltungen Ausdruck gab. Trotz aller erlebten Schrecken spricht aus den Menschen nicht Haß, sondern eher ein fast ungläubiges Erstaunen über die 'Bestie' Mensch. Und immer wieder mischt sich in die Aussagen auch jenes Quentchen Humor, der damals das Leid besser ertragen und heute den Erinnerungen den Schrecken nimmt." (film-dienst, 23.06.92)

    “1,2 Millionen Menschen starben, erfroren oder verhungerten. Kufus hat erstaunliches, erschütterndes Material in historischen Archiven aufgetrieben und, mit vornehmer Zurückhaltung, Überlebende befragt. Sinnvoller ist Geschichtsunterricht nicht denkbar."
    (Weser Kurier Bremen, 20.02.1992)

    Ohne falsches Mitleid
    “'Blockade' von Thomas Kufus ist ein filmisches Tagebuch der Belagerung Leningrads durch die faschistischen Truppen.
    Deutsche Hinterlist und Gründlichkeit; Schon Monate vor dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 läßt die deutsche Heeresleitung Leningrad aus der Luft fotografieren. Damit man im Ernstfall weiß, wo man zuschlagen muß. Anfang September diskutiert man dann die Zerstörung der Stadt und die Vernichtung der Bevölkerung im Detail. Am 8. September ist Leningrad eingeschlossen, das Bombardement kann beginnen. Die Vorbereitungen zahlen sich aus. Lebensmitteldepots, Kraftwerke und Krankenhäuser werden gezielt vernichtet.
    Thomas Kufus (“Mein Krieg") hat ein filmisches Tagebuch der Blockade Leningrads erstellt, das eines der größten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs dokumentiert ...
    In Archiven fand er verschwundene, stumme Dokumentaraufnahmen aus der Blockadezeit, die die Leiden der Zivilbevölkerung zeigen. Die sowjetische Geschichtsschreibung untertrieb die Zahl der Opfer grotesk - sie mußte gering bleiben, um Stalins militärische Genialität nicht in Frage zu stellen."
    (Tip, 27.02-11.03.1992)