| Baby | ||
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Fünf Jahre hat Uwe Frießner warten müssen, bis er nach seinem überzeugenden Erstling "Das Ende des Regenbogens" seinen zweiten Film realisieren konnte. Solche Fälle sind keine Seltenheit, doch Baby ist eine Ausnahme. Während andere Filmemacher in der Wartezeit ihre Projekte entweder heillos überladen mit inhaltlichen und formalen Ambitionen oder sich schließlich resigniert den zweifelhaften Gepflogenheiten des Markts anbiedern, zeigt sich Uwe Frießner so souverän und sicher als hätte er in der Zwischenzeit einen Film nach dem anderen drehen können. Dem Grundmotiv seines ersten Films ist Frießner mit Baby treu geblieben. Es geht um Strategien, mit denen Verlierer glauben, sich und ihre Vorstellungen von einem adäquaten Leben behaupten zu können. Was manche vielleicht als Rückschritt gegenüber dem Ende des Regenbogens betrachten mögen, nämlich den Verzicht auf das offenkundige soziale Engagement, das erscheint mir eher als ein Schritt nach vorne, weil in dieser konkreten Geschichte nicht mehr aus der Defensive heraus erzählt wird. Die Helden dieses Films nehmen sich Freiheiten heraus wie viele andere auch in dieser Gesellschaft; sie scheitern nur deshalb, weil sie für ihre Verwegenheiten keine ausreichenden Profis sind. Baby, der Titelheld, träumt davon, sein eigener Herr zu werden; er will eine Sportschule eröffnen. Vorerst aber jobt er als Rausschmeißer in einer Diskothek. Als Karatekämpfer trägt er einen schwarzen Gürtel, aber wenn es an seinem Arbeitsplatz zu einer Keilerei kommt, dann wird er doch fürchterlich verdroschen, weil er zu spät zum Baseball-Schläger greift. Als Baby deswegen auch noch eingesperrt wird, fällt er natürlich auf die beiden Typen herein, die ihm einen Anwalt besorgten und so die Freilassung erreichten. Dass sie dafür seine Stereo-Anlage zu Geld machten, stört Baby nur vorübergehend. Schlimmer ist, dass er auch noch seinen Job verliert; jetzt schließt er sich willig Pjotr und René an, die vorher schon mit seinem Auto auf nächtliche Einbruchsfahrten gingen. Ein Überfall auf einen Nachttresor gelingt, doch die Beute bleibt, gemessen an den Verlockungen der Konsumgesellschaft, gering. Ja, auch von dieser Gesellschaft erzählt Frießner, obwohl sie scheinbar gar nicht vorkommt und eigentlich immer nur Baby und seine Freunde im Bild sind. Den Zustand dieser Gesellschaft kann man an dem Trio mühelos ablesen, an ihren Wünschen und den Wegen, sie zu erfüllen. Weil sie ihrem realen Einkommen -in diesem Fall brutto wie netto -zu weiterem Wachstum verhelfen wollen, planen sie den großen Coup, den Aufstieg in höhere Ränge der Kriminalität. Sie überfallen, nach bereits semiprofessioneller Vorbereitung, einen Supermarkt, doch ihr Auftritt im Kassenbüro ist bei weitem nicht clever genug. Baby bekommt Angst und schießt, es gibt einen Toten. Die Flucht gelingt, und Pjotr hilft seinem Freund aus dem Katzenjammer: gemeinsam werkeln sie am Ausbau der Sportschule, die Baby in einer heruntergekommenen Fabriketage einrichten will. Aber dann steht eben doch die Polizei vor der Türe. Crime doesn't pay? Nicht, wenn man sich amateurhafte Momente dabei leistet, sagt Frießner forsch und klar. Und er zeichnet seine Figuren so lebendig und seinen Helden selbst so einleuchtend, dass man ihnen auf ihrem Weg zum schnellen Geld -und derartiges wird uns ja täglich in vielerlei Variationen nahegelegt -wenn schon nicht folgen, so doch keinen Mißerfolg wünschen will. Mit dem nötigen Startkapital, das schließlich jeder Unternehmer braucht, würden sie ja auch gerne die kriminelle Knochenarbeit aufgeben wollen. Frießners frecher Film entgeht sogar der Gefahr, seine Figuren zu beschönigen. Sein Baby hängt ohnehin immer etwas still und hilflos in der Szenerie herum, und dessen beide Kumpane verhalten sich weiß Gott nicht als brave Kameraden. Aber im gleichen Maß, wie die Action-Helden systematisch demontiert werden, bis sie am Ende ziemlich klein und ratlos sind, entwickelt sich etwas anderes: Freundschaft und Zärtlichkeit. Als latente Homophilie wird sowas gerne bezeichnet, als wäre es eine Krankheit. Frießner bleibt auch da nicht schüchtern, von latent kann da keine Rede sein. Auch wenn der Regisseur in seinem Statements ein bißchen zu üppig für die Zärtlichkeit der vermeintlich harten Jungs plädiert, Sinn gibt sie wirklich: sie würde, in letzter Kondsequenz, das Ende des Machismo bedeuten. Bezeichnenderweise müssen die drei Helden schon ziemlich am Ende sein, bis sie ihre ersten Gesten einer wirklichen Solidarität zuwegebringen. Die größte Leistung des Films aber besteht wohl darin, dass all dies sich dem Zuschauer nicht aufdrängt, weil im Vordergrund, und nur dort, ein widerborstiger, spannender und unterhaltsamer Kriminalfilm abläuft, der sich von den gängigen Genre-Produkten durch seine Perspektive entscheidend abhebt. Frießner versucht es wie kaum ein anderer deutscher Regisseur, hautnahe und hinreißend spontan klingende Dialoge zu schreiben und für seine Rollen (nach einjährigem Suchen) Laiendarsteller zu finden und zu führen, die so locker sind vor der Kamera wie sonst nur die amerikanischen Profis. Da wirkt alles "echt", und nichts scheint simuliert zu sein. Jetzt müßte Frießner nur noch die dramaturgische Cleverness und das Gefühl für Bildrhytmus entwickeln, über die seine US-Kollegen selbst bei belanglosen Geschichten so souverän verfügen, mit dieser Schwäche verbaut er sich, ähnlich seinen Helden, vorerst noch den ganz großen Coup. (H. G. Pflaum in: Süddeutsche Zeitung, 16.4.1984) Uwe Frießners Baby über ein Berliner Laiengangster-Trio hat die Präzision, die Härte und die Intensität guter amerikanischer Action-Filme. Seine Qualitäten reichen von der liebevollen Sorgfalt der Charaktertzeichnung, der Dialoge und der einschlägigen "scene" über die kinogerechte Musik von Spliff oder den komödiantischen Unterton einer eher nachdenklichen Milieustudie bis zum glaubwürdigen Portrait neuester Stimmungen und Einstellungen, z.B.des virilen Narzißmus oder des Übergangs von Protest, Kritik, Verweigerung in die aggresive Selbstbedienungs-Mentalität. (Wolf Donner in:tip 7/1984) Sone Typen „Plötzlich, auf dem Berliner Flughafen Tegel, kommt es einem in den Sinn: Hier haben sie doch neulich den armen Gauner abgefangen, der sich nach Teneriffa abseilen wollte. Unfug, korrigiert man sich, das war ja ein Kino-Bandit! Die Schlussszene eines Films zeigt seine Kumpels, wie sie in der Telefonzelle hören: „Den René ham se emd jeschnappt, ja, Tegel, wollte jrade wech.“ Dabei sieht man die Festnahme, ohne dass sie gezeigt wird. So war es also, eine Story. Aber ihre Helden so real und nah, dass es auch deren Abenteuer gegeben zu haben scheint. Das jedoch hat Uwe Frießner, 42, Regisseur, aus Versatzstücken der wirklichen Wirklichkeit im leicht kriminellen Berliner Milieu zusammengesucht. „Baby“ ist der zweite große Spielfilm des ehemaligen Studenten, Dachdeckers und Hochseefischers, der schon 1979 in „Das Ende des Regenbogens“ hart und traurig und genau eine Halbwelt-Geschichte aus Berlin geschildert hat. Hoffnungsvoller und vielleicht beziehungsfähiger als der ortlose Strichjunge Jimmi im „Regenbogen“ sind Frießners neue Protagonisten. Dass sie so irritierend vertraut wirken, macht: Sie sind, wie im vorigen Film, alle Amateure. Ihre festgelegten Dialoge haben nichts gestottert Dokumentarisches, die Handlung spiegelt keine Improvisation vor. Die Darsteller geben schlicht sich, ihre Sehnsüchte, ihr Sich-groß-fühlen-Wollen und Sich-gering-Fühlen ganz her. Baby, gespielt von Udo Seidler, lebt allein zwischen Zimmerpalme, Hanteln und geometrischen Tapetenmustern im Märkischen Viertel in Berlin. Schwitzend und ehrgeizig sieht man ihn im Karateanzug vor der Kulisse des Wohnmolochs trainieren. Baby raucht und trinkt nicht, träumt von einem eigenen Fitnesscenter. Vorerst jobbt er als Rausschmeißer in einer Disco auf dem Ku’damm, denn ihm fehlt es an Startkapital. Seine Fäuste machen ihn nicht reich, doch andere Tore tun sich auf. Zwei Freunde, Pjotr, der väterliche Typ des schnauzbärtigen Luden, und dessen Haberer René, ein Fuchs, der sich für schlauer hält, als er ist, verwickeln den unerfahrenen Jüngeren in mindere Deals mit schnellem Geld. An der Professionalität des Trios hapert es etwas – so plagen sie sich minutenlang unter Flüchen damit ab, eine Geldbombe mit dem Schraubenzieher zu knacken -, aber sie schließen Freundschaft. Schüchtern passieren sie dabei mitunter die üblichen Sperren zwischen Mann und Mann, Frießner deutet zärtliche Zwischenfälle an. Gemeinsam mimen sie auch „Große Welt“, stellen das Sektglas auf der Zapfsäule ab, während sie den „Benz“ voll tanken, bringen Frauen mit auf die Bude. Als eines Nachts ein frech lächelndes Mädchen im Overall mit durchgehendem Reißverschluss auf Renés Sofa sitzt, fordern sie sie auf, doch mal 'n bisschen zu strippen für die Runde. „Wie isn det mit euch“, fragt sie forsch zurück, „zeicht doch iha ma watter könnt!“ Jetzt sehen die Jungs erbärmlich aus. Doch nie macht sich der Film über sie lustig, nie schlittert er in Chauvi-Klischees hinein. Das liegt mit am aufsässigen Charme der Darsteller, ihrer Kodderschnauze, Kameraderie – aber auch Selbstsucht, an der Frießner schließlich den Traum der drei zerspellen lässt. Beim großen Raum der Supermarktkasse hat Baby die Nerven verloren und einen Geldboten erschossen. Zusammengekrümmt, gequält von Angst und Schuld, verkriecht er sich im Bett. René verduftet fürs erste, Pjotr stellt Baby wieder auf die Beine. Mächtig groß – so groß wie Babys Sehnsucht ist und seine Aufbruchstimmung – sieht man nun Babys Schatten auf einer nächtlichen Häuserwand: Baby sitzt, einen Malerpinsel schwenkend, im Fenster einer leeren Fabrik, wo Pjotr und er Räume renovieren, aus denen Babys Sportstudio werden soll. Einmal erscheint René als halbseidener, schnieke gekledeter Dandy im Zementstaub der Baustelle zur Stippvisite. Er will sich von den Kumpels verabschieden. In den Süden will er fliegen, wie um das Versprechen der Palmen auf seiner Phototapete einlösen zu gehen. Als sich so die Wege der Freunde trennen, kommt ihnen die Kripo auf die Spur. Ohne spektakuläre Tatort-Hetzjagd geraten Tempo und Herzklopfen in das Ende vom Lied. Nach einem Gekraxel über die Dächer alter Mietskasernen landen Baby und Pjotr in der fatalen Telefonzelle, wie in einer selbstgewählten Falle. Ihr Traum ist aus. „Wer in son Film jeht? Na, emd sone Typen, wie se dadrin jesehn ham“, erklärt der Mann an einer Kinokasse in Berlin. Dort zieht „Baby“ auch junge Arbeiter in die Off-Kinos. Und für sie hat Frießner seinen Film gedreht.“ (Caroline Fetscher, in: Der Spiegel, 9.4.84) Babys Blues „Kriminalfilme haben hierzulande eine lausige Tradition. Von der einen oder anderen Ausnahme abgesehen – Wim Wenders etwa, auch wenn es dem im „Amerikanischen Freund“ erst in zweiter Linie um den Highsmith-Plot ging – herrscht miefiger Realismus soweit das Auge reicht; übergewichtige Beamte auf Lebenszeit, die sich von schmierigen Butterbroten aus der Plastik-Aktenmappe ernähren und vermutlich einmal in der Woche die Unterwäsche wechseln, per Zufall straffällig gewordene Großbürger, die sich, eben noch Krokodilstränen zerdrückend, plötzlich benehmen, als seien sie Dr. Mabuse persönlich, oder schmierige Kleinkriminelle, die wie mit Birkenhaarwasser geduscht aussehen und entsprechend glücklos agieren. Bestenfalls gibt es das psychologisch verschroben angelegte Drama mit seinen vielschichtigen Fallen und Wirrungen, schlimmstenfalls den geschwätzigen Sozialfall voller aufdringlicher Streicheleinheiten, Rück- und Vorderversicherungen. Die Mystifikation der Tat, Idealisierung und Stilisierung des Täters zum Zwecke der Identifikation und Unterhaltung, die mehr als nur klammheimliche Sympathie angloamerikanischer und französischer Filmemacher für die Topografie der Unterwelt dürfen offenbar nicht sein im Lande des preußisch-protestantischen Pflichtbewusstseins, der Untertanmentalität und des Berufsbeamtentums. Crime must not pay, mögen die Zeiten noch so schlecht sein. Kriminalität hat gefälligst Problem zu sein, nicht Entertainment, basta. Auch bei Uwe Frießner lauert am Ende der Strecke der Katzenjammer. Trotzdem platzt „Baby“, sein zweiter, mit Spannung erwarteter Film nach dem hochgelobten und an den Kinokassen hinlänglich erfolgreichen „Das Ende des Regenbogens“, in diese deutsche Krimi-Wüste wie ein wohltuender Schock. Und dies, obwohl sich Frießner wenig um das klassische Konstruktionsprinzip des Kriminalfilms schert: Kein Rätselraten, Suspense und falsches Fährtenlegen, nicht einmal der Dualismus zwischen Gut und Böse. Polizisten kommen nur einmal und da sehr kurz vor, und sie wirken eigentümlich flach; so, als seien sie Wesen aus einer anderen Welt, die Lichtjahre entfernt ist vom Milieu des Baby, Pjotr und René, Frießners kleinem Gaunertrio. (...) Frießner hat, wie schon „Das Ende des Regenbogens“, auch „Baby“ fast ausschließlich mit Laien gedreht. Nicht aus Hang zur Exotik, sondern weil er, nach ersten Proben mit Berufsschauspielern, die für seinen Film notwendige Authentizität vermisste. Über sechs Monate suchte er in der Berliner Szene nach den Hauptdarstellern, machte zig Probeaufnahmen und verwarf sie wieder, bevor er die Idealbesetzung für Baby, Pjotr und René fand – die er im übrigen nur bedingt für ideal hält. Die Mühe hat sich gelohnt. (...) „Baby“ ist ein Schauspielerfilm, seine Faszination verdankt er zum Großteil den starken Auftritten der Protagonisten, Wolfgang Dickmanns Kamra verzichtet dann auch auf große Effekte, bleibt dicht am Geschehen; Fahrten sind rar, Annäherungen erfolgen meist per Zoom, die Dynamik besorgt die Montage. Dadurch gelingen Aufnahmen von buchstäblich atemberaubender Dichte, meint der Betrachter den Betonstaub zu schmecken, in dem die schrägen Helden wühlen, ihren Schweiß zu riechen und Pjotrs Narben unter den Fingern zu fühlen. In solchen Bildern ist die Nacht in der großen Stadt endlich einmal mehr als nur Dunkelheit und schickes Neonlicht – sie ist wieder gefährlich; vor allem für die, die sich nicht auskennen im Milieu des Pjotrs, Renés und Babys.“ (Georg Schmidt, in: Tip Magazin, April 84) Tausche Zauberberge gegen Baby „Dieser Film zeichnet sich durch die von tiefer Menschlichkeit geprägte Solidarität des Regisseurs mit seinen Figuren aus. Ohne Baby von einer moralischen oder juristischen Schuld freisprechen zu wollen, ergreift Frießner für diesen verlorenen Jungen Partei. Die Einblicke, die Frießner in die Motivation und psychische Konstitution des Raubmörders (!) Baby gestattet, führen zu einem ungleich größeren Grad von Wahrhaftigkeit als alles, was über ‘solche’ Kriminelle Tag für Tag in den Gazetten zu lesen ist.“ (Robert Fischer, in: Zitty 6/84) Verletztes Rechtsgefühl „Zwischen Traum und Realität gedeihen Frustrationen, denen manch schwacher Charakter nur durch die Illegalität begegnen kann. Babys Traum, das ist die eigene Existenz, ein Fitness- und Kraftsport-Center für den Karate-Fan, der sein Training fast schon wie eine Huldigung an die Schönheit des Körpers praktiziert. Die Realität aber, das ist die bedrückende Bunker-Architektur, in der kein einziger nachbarschaftlicher Kontakt gedeiht, und der schlecht bezahlte Rausschmeißer-Job in der Disco. Und da Baby nicht der Typ ist, der geduldig seine Bausparprämien zusammenkratzt, ist er schon mal anfällig für die Verlockungen des schnellen Geldes. Kleine Gaunereien, mehr des Profits wegen inszeniert, hinterlassen bei ihm keine Spuren im Gewissen. Dazu kommt eine latente Oppositionshaltung, mit der sich ein Gesetzesverstoß noch am bequemsten rechtfertigen lässt. Wenn dann allerdings mit der Pistole statt mit dem Scheck in der Hand kassiert wird, ist die Kontrolle des weiteren Ablaufs nicht mehr möglich. Die Schuld am Tod eines Wachmanns wird postum mit der gleichen egozentrischen Rechtsauslegung weggewischt wie sie vorher die Selbstbedienungsmentalität genährt hatte. Wie selbstverständlich gleiten Baby und seine Freunde Pjotr und René, die trotzdem die netten und nie ganz erwachsenen Burschen bleiben, auf der Rutschbahn des verletzten Rechtsgefühls und der unerfüllten Wünsche ab in die Kriminalität – die Beobachtung unter der Regie von Uwe Frießner erschließt Verständnis, nicht aber Sympathie für das Ganoventrio. (...) Auch in „Baby“ zeigt Frießner ein Gespür für das Berliner Milieu, das nicht mehr ausgezeichnet ist von der Ärmlichkeit zu Zilles Zeiten. In der Kneipe, in der Bude oder auf den nächtlichen Autofahrten ist stehts eine Perspektivlosigkeit, eine geistige Tristesse spürbar, die auch der allgegenwärtige Champagner nicht mildern kann. In Dialogen teilen sich Anspannung und unverholene Aggressionsbereitschaft mit, ein Gemisch aus zur Schau gestellter Männlichkeit und Autorität, die sich jederzeit in offener Gewalt entladen kann. Dass die drei mit ihrer mit Teenager-Vokabular modernisierten Berliner Schnauze und ihrer flapsigen Lebenseinstellung für etwas Lokalkolorit und Situationskomik sorgen, stimmt den zwangsläufig düsteren Verlauf noch versöhnlich.“ (Jürgen Richter, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.3.84) Vor dem großen Coup „(...) Crime doesn’t pay? Nicht, wenn man sich amateurhafte Momente dabei leistet, sagt Frießner forsch und klar. Und er zeichnet seine Figuren so lebendig und seine Helden selbst so einleuchtend, dass man ihnen auf ihrem Weg zum schnellen Geld – und derartiges wird uns ja täglich in vielerlei Variationen nahegelegt – wenn schon nicht folgen kann, so doch keinen Misserfolg wünschen will. Mit dem nötigen Startkapital, das schließlich der Unternehmer braucht, würden sie ja auch gerne die kriminelle Knochenarbeit aufgeben wollen. Frießners frecher Film entgeht sogar der Gefahr, seine Figuren zu beschönigen. Sein Baby hängt ohnehin immer etwas still und hilflos in der Szenerie herum und dessen beide Kumpane verhalten sich weiß Gott nicht als brave Kameraden. Aber im gleichen Maß, wie die Action-Helden systematisch demontiert werden, bis sie am Ende ziemlich klein und ratlos sind, entwickelt sich etwas anderes: Freundschaft und Zärtlichkeit. Als latente Homophilie wird so was gerne bezeichnet, als wäre es eine Krankheit. Frießner bleibt auch da nicht schüchtern, von latent kann da keine Rede sein. Auch wenn der Regisseur in seinen Statements ein bisschen zu üppig für die Zärtlichkeit der vermeintlich harten Jungs plädierte, Sinn gibt sie wirklich: sie würde, in letzter Konsequenz, das Ende des Machismo bedeuten. Bezeichnenderweise müssen die drei Helden schon ziemlich am Ende sein, bis sie ihre ersten Gesten einer wirklich en Solidarität zuwegebringen. Die größte Leistung des Films aber besteht wohl darin, dass all dies sich dem Zuschauer nicht aufdrängt, weil ich Vordergrund, und nur dort, ein widerborstiger, spannender und unterhaltsamer Kriminalfilm abläuft, der sich von den gängigen Genre-Produkten durch seine Perspektive entscheidend abhebt. Frießner versteht es wie kaum einanderer deutscher Regisseur, hautnahe und hinreißend spontan klingende Dialoge zu schreiben und für seine Rollen (nach einjährigem Suchen) Laiendarsteller zu finden und zu führen, die so locker sind vor der Kamera wie sonst nur die amerikanischen Profis. Da wirkt alles ‘echt’, und nichts scheint simuliert zu sein.“ (H. G. Pflaum, Süddeutsche Zeitung, 16.4.84) |