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  • SPLITTER Afghanistan

    Deutschland 2013, 74 Min., Farbe, Digital, FSK ab 12

    BESETZUNG

    Alberto Cairo und seinen
    Mitarbeitern im ICRC
    (Internationales Rotes-
    Kreuz, Kabul),
    dem kleinen Sher Ahmad
    und seinem Onkel Khan
    Wali, Aisiza und Rohafza,
    Shaista

    STAB

    Buch Helga Reidemeister, Lars Barthel
    Regie Helga Reidemeister
    Kamera Lars Barthel
    Ton Nic Nagel, Katharina Geinitz
    Montage Dörte Völz
    Musik Katia Tchemberdji
    Dramaturgie-Beratung Zoran Solomun
    Dolmetscher/Übersetzer Hewad Laraway
    Vertonung Alexander Heinze, Jana Dugnus
    Mischung Oliver Schmerwitz / Soundcompany
    Textlektorat/Untertitel Guntram Weber
    Musik-Schnitt und Aufnahme Christoph de la Chevallerie
    Geräusche-Macher Thomas Bittmann , Torolf Bergeler
    Sprachaufnahmen Suzanne Kaupp / Soundcompany
    Online-Schnitt u. Farbkorrektur Henning Groß / Corduafilm
    Transkription Juliane Wlodarczak
    Produktionsassistenz Petra Franke , Bernadette Knoller
    Montageassistenz Jana Dugnus
    Avid-Support Jens Scherer, Sebastian Gollek,
    Clara Grözinger, Marie Klein, Marlow-Pasqual Möbes, Nic Nagel
    Herstellungsleitung Gamma Bak
    Produzenten Lars Barthel, Helga Reidemeister, Maja Engelbrecht

    BIOGRAFIE

    HELGA REIDEMEISTER
    1940 in Halle an der Saale geboren. Nach
    dem Studium der freien Malerei an der HfBK
    Berlin und fünf Jahren Sozialarbeit im „Märkischen
    Viertel“, studierte sie in den 70er Jahren
    an der Deutschen Film- und Fernsehakademie
    Berlin (dffb). Diplom 1979. Unterrichtet
    seit 1988 an verschiedenen Filmhochschulen
    im In- und Ausland. Dokumentarfilmpreis
    des Internationalen Frauenfilmfestivals
    Dortmund/Köln für ihr Lebenswerk.

    LARS BARTHEL
    Geboren 1953 in Erfurt. Kamerastudium an
    der Hochschule für Film und Fernsehen der
    DDR. Dort Meisterschüler Kamera.
    1982 Ausreise aus der DDR. Fortan Arbeit
    als freier Kameramann.
    Mein Interesse gilt dem Dokumentarfilm und
    dem dokumentarischen Spielfilm.






    INTERVIEW

    INTERVIEW MIT HELGA REIDEMEISTER, Fragen: Gamma Bak, Juli 2013

    1. Wie bist Du dazu gekommen diesen Film zu machen?
    Ich war äußerst beunruhigt als die Drohung „Enduring Freedom – Krieg gegen den Terror“
    nach dem 11. September 2001 verkündet wurde. Ein grenzenloser Krieg, zeitlich und örtlich
    unlimitiert. Eine beängstigende Situation. Wir – Lars Barthel Kamera, Nic Nagel, Katharina
    Geinitz Ton - wollten nicht Zuschauer bleiben.

    2. Wie unterscheidet sich dieser Film von den vorherigen beiden Filmen, die ihr in Afghanistan
    gemacht habt? Wie unterscheiden sich die Filme der Trilogie?
    Unser erster Film ist in Indien, Jugoslawien, Texas, Afghanistan gedreht, in vier kurzen Episoden.
    „TEXAS- KABUL“ portraitiert vier Frauen, deren Leben vom Kampf gegen Kriege
    geprägt ist. Eine der Frauen ist Jamila Mujahed aus Kabul, die mutige TV-Moderatorin, die
    als Erste ohne Schleier im afghanischen Fernsehen auftrat und die Herausgeberin der ersten
    Frauenzeitschrift „Malalai“ ist.
    Unser zweiter Film „ MEIN HERZ SIEHT DIE WELT SCHWARZ – Eine Liebe in Kabul“, über
    mehrere Jahre gedreht, dringt tief ein in die Familienkonflikte zweier afghanischer Familien
    - durch die Liebe zweier Menschen, die sich nicht lieben dürfen. Die Gewaltverhältnisse in
    einer muslimisch-patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen total entrechtet sind, schafft Tragödien,
    die für uns unvorstellbar sind.
    Unser dritter und letzter Film S P L I T T E R AFGHANISTAN ist eine Liebeserklärung an
    die afghanischen Menschen. Sie spürten von Anfang an, dass wir Anteil nahmen an ihren
    Kriegsleiden und wie sie damit umgehen, klaglos und heiter - Allah will uns prüfen - .

    3. Wie ist die Montage entstanden?
    Die Montage hat mit Unterbrechungen mehr als 2 Jahre gedauert. Ich empfand sie als äußerst
    schwierig. Die Trennung vom Material eine Qual. Es war mit so viel Anstrengungen
    entstanden.
    Nie habe ich die Bilder, die Kamera von Lars, als vordergründig empfunden. Immer als mitfühlend
    – mitdenkend, nahe an den Menschen erlebt. Ich war dankbar, dass Lars das Land
    und die Menschen liebte wie ich. Ich wollte seine Bilder nicht loslassen.
    Meine Cutterin Dörte Völz versuchte dann die schwierige Gratwanderung einer Montage,
    die keine stringente Geschichte erzählt, dabei jedoch die Spannung hält, indem eine Art poetische
    Distanz entsteht, die dem Zuschauer zugleich gedanklichen Raum für Reflexionen
    anbietet.
    In unserem letzten Film „ Mein Herz sieht die Welt schwarz – eine Liebe in Kabul“ haben wir
    ja eine sehr klare und auch aufregende Geschichte erzählt. Natürlich hatten wir auch diesmal
    zuerst wieder eine dramatische Erzählung vor, die aber an der Lage der Dinge, an den Realitäten
    des Krieges scheiterte.
    Unser Held sollte Sher Achmad sein, ein kleine Nomadenjunge, der sich so tapfer mit seinen
    Krücken abmühte und wieder laufen lernte. Wir hofften, er könne eine Metapher sein für Afghanistan
    in seinem Kampf um Selbstbestimmung und Befreiung von fremden Mächten.
    Aber wir konnten beim weiteren Drehen Kabul nicht mehr verlassen und den Jungen nicht
    erneut in seinem Dorf an der pakistanischen Grenze besuchen. Wir beschlossen dennoch
    nicht aufzugeben.
    Denn in Kriegszeiten können wir mitunter kaum mehr als Fragmente erwarten, nur Splitter
    von Geschichten.
    Splitter von Geschichten - Das schien uns ein berechtigter Ausgangsgedanke, uns in der
    Montage des Films frei zu machen von der Vorstellung, erneut eine stringente dokumentarische
    Geschichte erzählen zu wollen.
    Dieser Krieg in Afghanistan war und ist so ungeheuer aufgeladen mit sich durchkreuzenden
    Realitäten, dass ich auch inzwischen kapituliere und mich weigere meine „westlichen Hoffnungen”
    nach Afghanistan zu tragen. Auch nicht in diesem Film.

    4. Wie ist die Musik entstanden?
    Das war spannend. Keinesfalls wollten wir einen Anklang heimischer, folkloristischer Musik.
    Krieg ist Überfall. Brutaler Einbruch von Außen. Eine nicht einschätzbare Katastrophe ohne
    Maß und Grenzen. Nichts bleibt, wie es ist oder war.
    „Konfliktbesetzt soll die Musik werden“ sagte die russische Komponistin Katia Tchemberdji,
    aber nicht „konfliktbeladen“, nicht schwer, eher atmosphärisch bedrohlich. Mit ihren synthetischen,
    ungewöhnlichen Tönen schafft sie einen Empfindungsfreiraum.

    5. Woher kommt der Titel?
    Der Titel „Splitter“ hat mit unserer realen Erfahrung in Afghanistan zu tun. Die menschlichen
    Situationen und Begegnungen waren nicht bestellt oder gestellt, immer nur kurz, zufällig,
    fragmentarisch, änderten sich schnell, bevor wir sie tiefer erfassen, filmisch ausdrücken
    konnten.
    Wir wollten keinesfalls eine Kriegs-Reportage an der Oberfläche drehen. Lars sprach viel
    von einem „poetischen Realismus“, den er sich vorstellte. Ich von meinem Bedürfnis das
    Sichtbare und zugleich das Unsichtbare auszudrücken, mit Menschen, die uns berührten.
    In meiner Kindheit spielten S p l i t t e r für mich eine große Rolle. Ich bin Kriegskind. Ich
    hatte kein Spielzeug. Nach einem Granateinschlag suchten wir Kinder in der unmittelbaren
    Nähe des Einschlagkraters nach den stark farbigen, durch die Hitze veränderten, Granatsplittern
    – unser Spielzeug.
    In den 10 Jahren unserer Afghanistan-Aufenthalte erlebten wir unvergessliche, menschliche
    Begegnungen. Es blieben Fragmente – Erinnerungssplitter, die später in der Montage ihren
    Platz fanden.

    6. S P L I T T E R AFGHANISTAN ist Alberto Cairo und seinen Mitarbeitern im Orthopädischen
    Zentrum, ICRC in Kabul, gewidmet. Kannst Du kurz erzählen was Dich dort
    besonders beeindruckt hat?
    Alberto Cairo ist ein enthusiastischer, altruistischer Mensch. Unterschiedslos liebt und behandelt
    er alle Menschen. Daraus schöpft er seine scheinbar unbegrenzten Kräfte. Wo immer
    möglich hat er uns unterstützt, Rat gegeben, ermutigt.
    Seine Lebensphilosophie: „I always think positiv“! beeinflusst alle in seiner Nähe. Er ist glücklich,
    wenn er Andere glücklich machen kann.
    Aus allen Teilen des Landes strömen die Menschen zu ihm. Mit Kamelen, Pferden, Mulis,
    Bussen oder zu Fuß. Sie wissen, dass er ihnen helfen wird, nicht nur mit Prothesen und Rollstühlen,
    auch mit Lern– und Ausbildungs-Chancen.
    Für ihn gilt: "Ein Bein nicht genug" ! "Man muss Lebensperspektiven schaffen“ !
    Inmitten Leiden und Verlusten solch ein konstruktives, heiteres Klima, wie im Orthopädischen
    Zentrum – das hat mich am meisten beeindruckt.

    7. In welchen Jahren wart Ihr in Afghanistan? Wie hat sich die Situation für Euch dort
    über die Jahre verändert?
    2002 waren wir zum ersten Mal in Kabul und im Orthopädischen Zentrum. 58 000 Prothesen
    und 5 000 Rollstühle waren bereits verteilt. Es war uns schnell klar, das würde der Ort sein,
    wo wir drehen könnten. Wir waren immer willkommen. Die Menschen nahmen uns herzlich
    auf, weil sie spürten, dass wir uns für sie interessierten, wie sie es geschafft hatten durchzuhalten.
    Sie verstanden, dass wir für sie sprechen wollten und hatten spontan Vertrauen
    zu uns.
    Die zunehmende Präsenz militärischer Fahrzeuge, die immer monströseren Sperranlagen
    vor öffentlichen Gebäuden, die Zunahme von Kontrolltürmen, NATO-Draht-Gittern, platzfressenden
    Panzersperren - Kabul wurde immer provozierender, ein hochgerüstetes, bedrohliches
    Militärlager. Parallel stiegen die Anschläge der Taliban nicht nur in Kabul, auch im Süden
    und Norden des Landes.
    Eine Spirale aus Spannungen und Gewalt schraubte sich hoch. Auch durch den sich ständig
    ausweitenden Drohnenkrieg mit immer höheren Opferzahlen unschuldiger Zivilisten.
    Die Taliban bekamen immer mehr Zulauf. Auch durch die Schutzgelder, die sie verteilen
    konnten, als Sicherheitsgaranten westlicher Aufbau-Projekte und der militärischen Versorgung
    des USA- und NATO-Nachschubs. Nach Aussagen unseres afghanischen Freundes
    Khazan, haben sie das meiste Geld, Milliarden westlicher Aufbau-Hilfen, abgeschöpft. „Wo
    Taliban sind ist Geld“, sagt Khazan. Die ungeheure Armut tut ihr Übriges. Wer Geld nötig
    hat, geht zu den Taliban.
    Die Taliban als Ordnungs-Macht erlebten einen nicht schätzbaren Zuwachs. Die Duldung
    der USA- und NATO-Streitkräfte war längst umgeschlagen in massive Ablehnung. Die Opferzahlen
    in der Zivilbevölkerung hatten beängstigend zugenommen. Nach afghanischer
    Zählung (Le Monde Diplomatique) sind seit dem NATO-Einsatz Okt. 2001, ca. 50 000 afghanische
    Zivilisten umgekommen. Die Rache für jeden Toten, traditionell in der Gesetzgebung
    der Paschtunen gefordert, existiert im Bewusstsein der westlichen Streitkräfte nicht.
    Offiziell gibt es ja auch keinen Krieg. Es war ja nur die ‚Afghanistan-Mission’.
    Im Mai 2011 war ich zum letzten Mal in Afghanistan. Es wurde für mich persönlich eine
    schwierige Zeit. Ich fühlte mich in dem total abgesicherten Hotelgelände eingesperrt. Ich
    spürte, dass ich in diesem Land nicht mehr willkommen war und fragte mich, wie ich, oder
    wir in wenigen Jahren vom Freund zum Feind werden konnten.
    Das war eine einschneidende, schmerzliche Erfahrung für mich. Ich hatte das Gefühl, dass
    ich die Menschen nicht mehr erreichen konnte. Wir besuchten die Familie aus unserem Film
    " Mein Herz sieht die Welt schwarz - Eine Liebe in Kabul " und sie baten uns tatsächlich, sie
    nicht wieder zu besuchen, auf keinen Fall wieder zu kommen. Weil es für sie zu gefährlich
    geworden war, Ausländer als Gäste zu haben.