| Kümmel baut | ||
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"Der Hesse Hermann Kümmel hat in den 80ern an linken Projekten in Nicaragua mitgearbeitet und ist inzwischen ein rühriger Bauunternehmer. Sein neues Projekt: Das Shopping Center "Neue Welt" in der Kleinstadt Rzeszow im Osten Polens. Der Dokumentarfilmer Paul Hadwiger hat Kümmel fünf Jahre lang mit der Kamera begleitet. Während im Hintergrund der Investor und Kunstsammler Dr. Erich Marx agiert, nutzt Kümmel die Sprach- und Fachkenntnisse seiner Mitarbeiterin Viola Wojnowski. Die will weg aus Polen und lässt sich ihr Eigenheim in Berlin bauen. Und die Einwohner von Rzeszow? Die sind sich uneins, ob es wirklich noch einen Einkaufstempel braucht. "Kümmel baut" ist eine hochinteressante Studie über ein umstrittenes Bauprojekt und sagt auch viel über die Strukturen des Kapitalismus - und das Verhältnis von Deutschen und Polen." Martin Schwarz (Zitty Berlin vom 11.8.2011) Bewertung: ziemlich gut "Neugieriges Dokumentarkino, das tief in die jeweiligen Gesellschaftsstrukturen blickt." Zitty-Online "Es ist ein Stück europäische Wirtschaftsgeschichte, dass sich hier miterleben lässt..." Bert Rebhardt, (FAZ vom 20.8.2011) "Dokumentarfilm über ein Bauvorhaben in Ostpolen: Ein deutscher Unternehmer und eine polnische Managerin wollen ein Einkaufszentrum errichten. Über Jahre - der geplante Bau verzögert sich immer wieder - begleitet der Regisseur das Projekt. Sein Film lässt Macher, Zustimmer und Gegner zu Wort kommen und macht daraus eine "Fallstudie" über Kapitalismus-Träume und ihre Konfrontation mit der Wirklichkeit, die durch die offensiv eingesetzte Musik komödiantische Töne bekommt, ansonsten aber nüchtern-lakonisch an ihr Sujet herangeht." (teils O.m.d.U.) Film Dienst, August 2011 DAS FLIEGENDE AUGE Himmel und Beton RALF SCHENK über "Kümmel baut", die Ostausdehnung des Kapitalismus und den lieben Gott Ralf Schenk Ein Bauingenieur aus Hessen errichtet ein Shopping Center in Polen, und Paul Hadwiger macht daraus einen Film. Beim Lesen des Themas hielt sich mein Interesse in Grenzen, und auch während der ersten Bilder änderte sich daran nichts: Da zerschneidet der sichtlich stolze Hermann Kümmel das Band, das die neugierigen Bewohner der Karpatenstadt Rzeszów von den bunt schillernden neuen Verkaufsflächen trennt. Dann stürmen die Polen los: Jeder will der erste sein, vielleicht gibt es ja irgendwo ein Geschenk oder wenigstens ein verbilligtes Angebot. Kennen wir schon, passiert in Berlin alle paar Monate. Aber dann blendet der Film vier Jahre zurück und zeigt Hermann Kümmel, wie er mit seiner Mutter alte Fotos betrachtet, und plötzlich steigt das Interesse von Null auf Hundert. Die alten Fotos führen nämlich in die 1980er-Jahre, als der Bauingenieur nach Nicaragua zog, um dort beim Errichten eines Schulhauses zu helfen. Damals saß Kümmel auf einem Podium neben den Revolutionären Ernesto Cardenal und Daniel Ortega; er schwor darauf, Marxist zu sein, und die Mutter, der das alles nicht geheuer war, nähte ihm immerhin Vorhänge gegen die Moskitos. Nach den nicaraguanischen Erfahrungen konnte Kümmel, wie er sagt, seine "Sympathien nicht mehr aufrechterhalten und musste meine Antipathien infrage stellen. Mein Leben verlor sein Fundament. Das ist nicht so leicht." - Er wurde Unternehmer. So wie er einst an die linke Alternative glaubte, so vehement setzt er sich heute dafür ein, dass sich die kapitalistische Marktwirtschaft in Polen austoben kann: Kümmel steht da ziemlich prototypisch für viele aus der Generation der Spät-68er. Der Film kommentiert das nicht; nur die jazzige Musik aus Saxophon, Cello und Posaune ironisiert das Geschehen und weist auf die Nähe zur Realsatire hin. Die bekommt heftigen Auftrieb, wenn westliche Investoren, oft nur für wenige Stunden, am Bauplatz auftauchen. Bayerische Geschäftsleute blicken aus dem Autofenster auf Rzeszów wie Zoobesucher auf exotische Tiere: "Das erste Mal in Polen", flüstert der eine, "aber man merkt es gar nicht, es ist alles so europäisch." Und ein greiser Berliner Geldgeber sinniert mit Blick nach oben und auf die Baustelle: "So ein schöner, ganz leichter Himmel ist das - und so viel Beton." Dank solcher, für einen Dokumentaristen glücklicher Momente erweist sich "Kümmel baut" als differenzierter, zwischen Ironie und Melancholie balancierender Essay über Sinn und Unsinn, die schöne Warenwelt immer neu fortzupflanzen. Im Grunde braucht das arme Rzeszów den Superbau, der wie ein Raumschiff in der Landschaft steht und am Ende nur zur Hälfte vermietet werden kann, überhaupt nicht. Die kleinen Läden in der Innenstadt werden zugrunde gehen; alle Fehler, die im Westen gemacht wurden, werden wiederholt, damit internationale Ketten mehr Rendite einfahren. Einige Nebenfiguren, zu denen der Film im Laufe seiner mehrjährigen Entstehungszeit immer wieder zurückkehrt, bringen jene nachdenklichen Töne ein, die Kümmel selbst für sich nicht mehr zulassen will: der Kioskbesitzer, der zum Taxifahrer umsattelt; der Journalist, der wie ein Don Quichotte gegen den überdimensionierten Bau anschreibt und irgendwann entlassen wird; und schließlich auch Kümmels polnische Stellvertreterin, die mit ihrem Sohn aus der Heimat wegzieht - nach Berlin. Unverzichtbar fürs Gesamtgefüge ist jedoch die Figur des katholischen Pfarrers, ein wahrer Held unserer Zeit. Den Rosenkranz betend und mit Blick gen Himmel mischt er sich lieber in gar nichts ein; der Herr da droben wirds schon richten. Manchmal gerät der tapfere Kirchenmann ins Philosophieren, so etwa beim Löffeln seiner täglichen Suppe: "So viele sterben an Hunger", hört man ihn schlürfen, "und wir haben alles. Der Herrgott ist gut." Mit solchen Schwarzkitteln, teilt der Film spöttisch mit, wird die Welt tatsächlich immer so bleiben, wie sie eben ist. Dass sie sich aber ändern muss, steht außer Frage. "Kümmel baut" provoziert zur Diskussion, wohin und für wen. Berliner Zeitung, 18.8.2011 |