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  • New York Memories

    Deutschland, 2010, Farbe, 89 Min., 35mm und digital



    Buch, Regie: Rosa von Praunheim
    Kamera: Lorenz Haarmann, Jeff Preiss
    Ton: Oliver Sechting
    Schnitt: Mike Shephard
    Musik: Andreas Wolter
    Mit: Anna Steegmann - Roman Pitio - Claudia Steinberg - Barbara Epler - Marie Pohl - Lucie Pohl - Jeff Preiss - Isaac Preiss - Rebecca Quaytman - Eva Love
    Mitarbeit am Drehbuch: Anna Steegmann
    Mitarbeit: Vera Graaf, Brandon Judell
    Farbkorrektur: Matthias Behrens

    Produktionsleitung: Martin Kruppe, Markus Tiarks
    Eine Produktion der: Rosa von Praunheim Filmproduktion
    In Koproduktion mit: WDR und BR - Jutta Krug, WDR - Alexander Wesemann, WDR - Thomas Sessner, BR
    Gefördert von:: BKM - FFA - Filmstiftung NRW






    FESTIVALS / AUSZEICHNUNGEN

    Berlinale 2010,
    25. TGLFF 2010 -
    Panorama - Uraufführung
    Turin Gay & Lesbian Filmfestival, Italien

    INTERVIEW

    Interview mit ROSA VON PRAUNHEIM


    • Wie ist die Idee zu diesem Film entstanden?

    Ich hatte mich in Berlin frisch verliebt in den hübschen, jungen Oliver, für den es immer ein Traum war, nach New York zu kommen. Ich war zehn Jahre nicht mehr in New York gewesen, hatte die Nase voll von der amerikanischen Politik, von Reagan und Bush und auch vom New Yorker Bürgermeister Giuliani, der New York gesäubert hat. Er hat provozierende Kunstwerke verboten und New York zu einer Insel der Reichen gemacht.

    • Und was für ein New York fanden Sie 2009 vor?

    Wir wohnten zuerst in einem Hotel an meinem geliebten Times Square. Bis Mitte der 90er Jahre war das eine
    aufregende Sexmeile. Hier ging ich gerne in Transenclubs, in schwule Sexshows, wo die geilsten Typen mit
    erigierten Gliedern das Publikum animierten. Das ist alles weg. Nur noch spießige Touristenläden.
    New York ist sehr teuer geworden. Trotz Wirtschaftskrise sind die Mieten unerschwinglich hoch. Meine alten
    Freunde können sich das Leben dort nur leisten, weil sie alte Mietverträge haben. Die meisten Künstler waren
    gezwungen, in die Vorstädte zu ziehen. In Manhattan verdrängten Modegeschäfte und Kaffeehaus-Ketten kleine Theater und Galerien.

    • Also, Sie waren enttäuscht von New York?

    Zuerst ja, aber dann spürt man wieder diese unvergleichliche Energie. Es ist vor allem der Überlebenswille der
    New Yorker, die aus allen Teilen der Welt kommen. Hier wird nicht gejammert. Hier muss man positiv und
    konstruktiv sein Leben anpacken. Hier gibt es kaum soziale Absicherung und das macht die Leute so vital und
    erfinderisch.

    • Ist New York immer noch so kriminell?

    Nein, mit dem Reichtum kam auch die Sicherheit. Überall ist Polizei und selbst in Gegenden, die man früher
    nicht zu betreten wagte, ist heute friedliche Ruhe eingekehrt. Ich erinnere mich sehr gut, wie ich in den 70er
    Jahren nie ohne Angst auf die Strasse ging. Es war selbstverständlich, genau zu beobachten, wer hinter einem
    ging. Zu jeder Zeit konnte man überfallen werden und die meisten meiner Freunde wurden mit der Zeit Opfer
    von Gewalttaten. Am meisten hatte ich Angst, Einbrecher auf frischer Tat in meiner Wohnung zu ertappen, wenn ich gerade zur Tür reinkam.
    Claudia aus meinem Film Überleben in New York wurde in ihrer Wohnung brutal vergewaltigt. Der Freund der anderen Protagonistin Ulli erschlug einen Freund im Drogenrausch, weil er seinen Hund getreten hatte. Es waren wilde Zeiten!

    • Was ist aus den Stars aus Ihrem erfolgreichsten Film Überleben in New York geworden?

    Claudia und Anna leben immer noch in New York und es ist fantastisch, was sie in den letzten zwanzig Jahren
    alles in New York erlebt haben. Claudia war damals in einer unglücklichen Beziehung mit einer Frau und
    versuchte, mit vielen Jobs zu überleben und Anna arbeitete als Go-Go-Tänzerin, um sich ihr Studium der
    Psychologie zu finanzieren. Sie verliebte sich in einen Richter, der die Bar kaufte, in der sie auftrat.
    Die kleine süße Ulli ist inzwischen nach Kalifornien gezogen. Man hat sie wohl mit einem Alligator beim
    Spazierengehen gesehen, aber Genaues weiss ich nicht.

    • Und was machen Anna und Claudia heute?

    In meinem Film wird man sehr viel Überraschendes über diese wunderbaren Frauen erfahren. Ich kann nur sagen, dass sie mich bei den Dreharbeiten sehr unterstützt haben. Wir konnten überall filmen.
    Spannend war es mit Anna in Harlem zu drehen, wo sie inzwischen lebt. Vor zwanzig Jahren war das ein Slum
    und hoch-gefährlich. Claudia brachte uns durch ihren Beruf als Journalistin mit den originellsten New Yorkern
    zusammen wie den Reverend Billy, der die Church of Non Shopping gegründet hat und gegen den reichen
    Bürgermeister Bloomberg antritt.

    • New York Memories ist ja auch ein persönlicher Rückblick.

    Ja, 1971 kam ich zum ersten Mal nach New York und war sofort begeistert. Da gab es noch die Factory von
    Andy Warhol und seine Superstars, von denen ich viele kennenlernte. Da gab es Undergroundtheater und Filme, billig gemachte Produktionen mit radikalen Ideen. Das war meine Welt und ich begann sofort, diese Szene mit meiner Kamera zu dokumentieren. Besonders begeistert war ich von der dicken Sängerin Tally Brown und ihren wilden Freunden. Für diesen Film bekam ich Ende der 70er den Bundesfilmpreis.

    • Und die Schwulenszene?

    Zuerst erschien es mir so, als ob alle New Yorker schwul wären. Schwul oder jüdisch oder beides. Hierhin
    hatten sich aus dem ganzen Land Minderheiten geflüchtet, um freier leben zu können. Anfang der 70er gab es schon eine grosse politische Schwulenbewegung.

    • Die Sie in Ihrem Film Armee der Liebenden dokumentiert haben. In New York hatten Sie auch viel Sex.

    Damals erlebte ich meine ersten Orgienbars, traf grosse starke Männer in dunklen Hinterzimmern im Meat Market District. Man konnte Tag und Nacht in den Lagerhallen am Ende der Christopherstreet Sex haben. Es war ein Traum, der ja in den 80er Jahren in Verzweiflung umschlug als Aids kam.

    • Und war Ihnen das gleich klar, dass das eine gefährliche Krankheit ist?

    Ich bin ein Hypochonder und ich war engagiert in der Schwulenbewegung in New York. Als die ersten meiner
    Freunde krank wurden und auch starben, sah ich es als selbstverständlich an, meine Freunde in Deutschland zu warnen.

    • Sie haben dann mehrere Filme gedreht: Positiv über den politischen Kampf der New Yorker gegen Aids und Schweigen=Tod über Kunst und Aids.

    Ich war sehr verzweifelt in dieser Zeit, aber gleichzeitig auch begeistert von dem Mut und der Kraft der New
    Yorker, die nicht aufgaben. Der Kampf gegen Aids hat die Schwulen ja wieder zusammengebracht und es ist viel erreicht worden.

    • Besonders fasziniert waren Sie von einer Bewegung, die sich Transexual Menace nannte. Darüber entstand auch ein Film.

    Es waren grossartige Menschen, die ich da traf. Sowohl Mann zu Frau, als auch Frau zu Mann Transsexuelle, die für Gleichberechtigung kämpften. Mit hundert von ihnen ging ich nach Washington, um dort die Senatoren
    über ihre Rechte aufzuklären.

    • Und bei den Dreharbeiten 2009 trafen Sie auf den 13-jährigen Sohn Ihres Kameramanns Jeff Preiss.

    Das war eine Überraschung. Ich wusste, dass Jeff, der Kameramann meines Films Überleben in New York eine Tochter hatte, auf die er sehr stolz war und als ich ihn wiedersah, sprach er von Isaac, seinem Sohn. Isaac hatte sich schon mit zwölf Jahren auf You Tube mit einem sehr berührenden kleinen Film als Junge geoutet. Durch ihn erfuhr ich, dass es immer mehr Kinder und Jugendliche gibt, die schon früh entdecken, dass sie zum anderen Geschlecht gehören und heute, im Zeitalter des Internet, mehr Unterstützung finden als früher.

    • In Ihrem Film gibt es zwei attraktive junge Frauen, die Sie schon als Kinder kannten. Lucie und Marie Pohl.

    Ich lebte damals im New Yorker Stadtteil Soho bei meiner Freundin Vera und ein paar Stockwerke über ihr
    gab es eine verrückte Künstlerfamilie, die Anfang der 90er Jahre nach New York gezogen war. Klaus Pohl
    hatte in Deutschland viel Erfolg mit seinen Theaterstücken. Er wollte sich hier mit seiner Frau, einer
    grossartigen Sängerin, und seinen Kindern einen Traum erfüllen.
    Als ich die Familie Pohl 2009 wiedertraf, waren die Töchter Schönheiten geworden und sehr begabte
    Künstlerinnen.

    • Marie Pohl hatte in Deutschland einen erfolgreichen Roman veröffentlicht Maries Reise und Lucie war auf der Schauspielschule in Berlin. Haben sie auch in New York Erfolg?

    Das war das Reizvolle für mich, ihren Überlebenskampf in New York zu zeigen. Obwohl sie in Deutschland
    Erfolge hatten, ist New York um ein Vielfaches härter und schwieriger. Beide lieben New York und träumen
    davon, auch hier Karriere zu machen. Beide müssen nebenher jobben. Allein die Miete für ein kleines Zimmer kostet um die 2000 Dollar. Sie erinnerten mich an Anna und Claudia, als sie in New York anfingen. Keiner wusste damals, ob sie das harte New York durchhalten. Claudia und Anna haben es geschafft. Ob Lucie und Marie es schaffen werden, wissen wir noch nicht.

    • Wie schwer war es in New York zu drehen?

    Für grosse Filme ist es sehr schwer, für meinen kleinen Dokumentarfilm war es leichter. Ich hatte einen
    grossartigen Kameramann aus Berlin, Lorenz Haarmann, mit dem ich schon früher in New York gedreht hatte
    und er hat bei diesem Film meines Erachtens seine beste Arbeit gemacht. Er konnte sich sehr schnell auf die
    schwierigsten Situationen einstellen und hat immer aus der Hand gedreht, auch lange Interviews. Und er ist
    attraktiv und freundlich, das hilft bei Interviews enorm.

    • Mit welchem Gefühl kamen Sie aus New York zurück?

    Mein Freund Oliver, der für den ganzen Film Ton gemacht hat, wollte gar nicht mehr zurück. Er liebte die
    Buntheit, die Verrücktheit von New York. Für mich ist Berlin immer Erholung. Obwohl viele New Yorker
    inzwischen von Berlin schwärmen, New York ist und bleibt einmalig. Nach New York wird man süchtig und
    ich bin froh, dass ich in dieser einmaligen Stadt so lange und intensiv leben, lieben und arbeiten durfte.

    (Rosa von Praunheim im Gespräch mit Ursula Mistress, Februar 2010)