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  • Texas - Kabul, Frauen gegen Krieg

    D 2004, auf DVD, Beta SP, Digibeta, 93 Min., Farbe

    BESETZUNG

    Arundhati Roy
    Stascha Zajovic
    Jamila Mujahed
    Sissy Farenthold

    Als Sprecherinnen
    Eva Mattes
    Walfriede Schmitt
    Hansi Jochmann
    Bettina Schön
    Indien
    Serbien
    Afghanistan
    Texas


    Arundhati Roy
    Stascha Zajovic
    Jamila Mujahed
    Sissy Farenthold

    STAB

    Buch und Regie
    Kamera
    Kamera in Serbien
    Ton
    Ton in Indien
    Aufnahmeleitung
    AVID-Operator
    Montage
    Online Studio
    Tonbearbeitung
    Mischung
    Projektberatung
    Textgestaltung
    Produktionsassistenz
    Produktionsleitung
    Redaktion
    Produzenten
    Produktion

    Helga Reidemeister
    Lars Barthel
    Yoliswa Gärtig
    Nic Nagel
    Knut Beulich
    Lotti Marsau, Sabine Schenk
    Nic Nagel
    Dörte Völz-Mammarella
    Stefan Engelkamp
    Ansgar Frerich, Tatjana Jakob
    Florian Beck
    Maria Mies, Ellen Diederich
    Guntram Weber
    Elke Benz
    Petra Franke
    Sabine Rollberg WDR, Ulle Schröder ARTE, Martina Zöllner SWR
    Helga Reidemeister, Zoran Solomun
    OHNE GEPÄCK Berlin, Zoran Solomun und Dagmar Fromme
    Filmproduktion GbR in Coproduktion mit WDR/ARTE, SWR/3sat

    BIOGRAFIE

    Biofilmografie Helga Reidemeister

    Geb. 1940 in Halle/Saale
    1959 Abitur in Köln. 1961-1965 Studium der
    freien Malerei an der HfbK Berlin. 1968-1973 Sozialarbeit im “Märkischen Viertel" Berlin. 1973-1978 Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) Berlin.
    Seit 1988 Lehraufträge im In- und Ausland.


    FILME

    1977



    1979



    1982

    1983

    1983



    1987



    1988


    1992



    1997


    1999


    1998


    2001



    Filme (eine Auswahl)
    DER GEKAUFTE TRAUM, 88 Min. DFFB/ZDF-Kleines Fernsehspiel Portrait einer Arbeiterfamilie aus dem “Märkischen Viertel"
    Berlinale 1977, Internationales Forum des Jungen Films

    VON WEGEN SCHICKSAL, 117 Min. DFFB-Abschlussfilm, ZDF-Kleines Fernsehspiel
    Portrait einer Arbeiterfrau aus dem “Märkischen Viertel"
    Bundesfilmpreis 1979, Adolf-Grimme Preis 1980, 1. Preis Cinéma du Réel, Paris 1980

    KAROLA BLOCH - Dann nimmt die Frau die Geschicke selbst in die Hand, 43 Min., ARD/WDR III

    ERNST UND KAROLA BLOCH - Die Tübinger Zeit 1983, 43 Min., ARD/SDR

    MIT STARREM BLICK AUF`S GELD, 104 Min. WDR-Fernsehspiel
    Portrait eines Fotomodells
    Bundesfilmpreis 1983, 1. Preis Internationales Frauen-Film-Festival, Sceaux 1984

    DREHORT BERLIN, 113 Min., SFB/WDR-Fernsehspiel
    Menschen in zwei Städten - in einer Stadt Berlin (West) und Berlin (Hauptstadt der DDR)
    Berlinale 1987, Internationales Forum des Jungen Films

    AUFRECHT GEHEN Rudi Dutschke - Spuren, 92 Min., ARD (WDR/SDR)
    Über das Scheitern vieler Hoffnungen der 68er Studenten-Revolte und Mut zum “Trotz alledem"

    RODINA HEISST HEIMAT, 113 Min., ARTE/ZDF-Kleines Fernsehspiel Sowjetische Soldaten auf dem Rückzug aus der DDR in ihre Heimat
    1992 Berlinale Friedensfilmpreis

    FRAUEN IN SCHWARZ
    (mit Zoran Solomun) , 87 Min., WDR/3Sat Die Frauen Friedensgruppe in Serbien

    IM LEBEN BLEIBEN, 50 Min., BR
    Kinder in Moskauer Krebsstationen

    LICHTER AUS DEM HINTERGRUND, 95 Min., ARTE/SFB
    Portrait des Ostberliner Fotografen Robert Paris Berlinale 1998 Panorama

    GOTTESZELL - ein Frauengefängnis, 104 Min., ARD (SWR/BR)
    Berlinale 2001 Panorama
    1. Preis Cinéma du Réel, Paris 2001
    1. Preis Maremma-Filmfestival Italien 2001

    FESTIVALS / AUSZEICHNUNGEN

    2004
    Publikumspreis für den besten Dokumentarfilm in Barcelona

    INTERVIEW

    Gespräch mit Helga Reidemeister

    Dein Film beginnt mit zwei afghanischen Frauen. Inmitten des zerstörten Kabuls schauen sie sich in einer Ausstellung die Fotos vom 11. September an. Welche Bedeutung hatte für dich persönlich der 11. September 2001?

    Der 11. September war für mich ein Schock. Auf der einen Seite wusste ich längst, was da offenbar wurde, auf der anderen Seite war ich von der Brutalität der Tat und der Bilder überwältigt. Ich war auch schockiert von der Überschneidung der Realität mit den bekannten Filmbildern aus Action- bzw. Science-Fiction-Filmen, die ich immer gemieden habe. Diese Attraktion apokalyptischer Bilder habe ich nie verstanden. Für mich waren das Ablenkungsmanöver von dem Schmerz und der Bitterkeit, die ich als Kriegskind schon in frühester Kindheit erfahren habe.
    Es gab in meinem Leben durch den 11. September insofern einen Einschnitt, da ich mich in Ruhe gewiegt hatte, weiter Knastfilme - d.h. die Einheit von Zeit, Ort und Personen - zu machen. Ich wollte meinen Film “GOTTESZELL - Ein Frauengefängnis" fortsetzen, aber ich wusste, mit solcher Arbeitsidylle ist es jetzt vorbei. Jetzt musste ich mich auf die Socken machen, meine Kräfte organisieren und schauen, was ich von dieser Realität, dieser Brutalität und diesem Wahnsinn zeigen kann, ohne in falsche Dramatik zu verfallen.

    Du hattest den Wunsch, Frauen in verschiedenen Ländern zu treffen. Was war der Ausgangspunkt deiner Suche? Was für Frauen wolltest du treffen und wie hast du sie gefunden?

    Nach dem 11. September war ich tagelang sehr deprimiert und ratlos. Ich suchte nach etwas, was mich aus dieser Depression befreien würde. Da fand ich den politisch-radikalen Text von Arundhati Roy, erschienen am 28. September 2001 in der FAZ. Für mich war es fantastisch, dass jemand, der 12.000 km entfernt am anderen Ende der Welt sitzt, mich so berühren und mir einen so starken Impuls geben konnte. Der Artikel hieß: Wut ist der Schlüssel und ich wusste sofort, über den Hebel des Zorns könnte ich arbeiten. Es hat ja gar keinen Zweck zu klagen. Aber wie kommt man aus dem Klagen heraus, ohne sich etwas vorzumachen? Die Dimensionen des Zorns, die Arundhati Roy ausdrückte, fand ich beeindruckend und ermutigend. Ich habe dann versucht, Frauen zu finden, die sich mit genau dieser Haltung identifizieren können, die sagen: wir können uns Depression und Frust nicht leisten, das bleibt unproduktiv. Damit ändern wir nichts. Und Optimismus können wir uns auch nicht leisten, dazu ist die Situation zu abnorm. Aber wir könnten aus unserem Zorn etwas machen, was eben nicht in Bitterkeit und Resignation umschlägt, sondern in Aktivität. Das war der Antrieb. Nachdem ich Arundhati Roy in Indien getroffen hatte und Schnittpunkte im gemeisamen Denken spürte, in der Empfindung und Wahrnehmung von vergangener und aktueller Geschichte - wurde mir klarer, was ich filmisch erzählen könnte. Ich wollte außerdem noch nach Afghanistan, Pakistan und eigentlich in den Irak, also eher in Asien bleiben.

    Aber dann kam die Anregung von Zoran Solomun, mit dem ich gemeinsam Mitte der 90er Jahre einen Dokumentarfilm über die Belgrader oppositionelle Frauengruppe “Frauen in Schwarz" realisiert hatte: die Erfahrung Balkan, Jugoslawien, Serbien vor vielen Jahren zwischen den Kriegen. Seine Idee, diese Geschichte wieder aufzunehmen und dann auch nach Amerika zu gehen, habe ich sofort aufgenommen.

    Was hat dich an den einzelnen Frauen besonders beeindruckt?

    Das gemeinsame Bewusstsein, jetzt in einer Situation zu sein, die es fast unmöglich macht, noch gelassen und ruhig zu Hause vor sich hin zu leben. Nicht untätig zu sein, das war das ganz starke Band.
    Wenn ich an Arundhati Roy denke, ist es mir ein Rätsel, wie sie einen derartig scharfen politischen Durchblick haben kann - radikal - bis in perspektivisches Vordenken schonungslos. Verbunden mit einem mädchenhaften Liebreiz und einer eigenartigen Anmut. Zu der Zeit, als ich sie treffen wollte, hatte sie sich völlig zurückgezogen, um an einem Artikel zu den fürchterlichen Morden an den Muslimen in Gujarat zu schreiben. Sie hatte sich vielfach entschuldigt, keine Zeit für ein Treffen zu haben. Aber da wir Billig-Tickets hatten, die nicht umbuchbar waren, entschloss ich mich, ein "Go in" zu versuchen. Jemand öffnete mir die Tür und plötzlich stand ich im Flur und sah sie. Und sie sah mich ohne Vorwurf an mit genau dem Strahlen, das sich auch im Film zeigt: "Kommen Sie, wir gehen jetzt rauf in mein Zimmer." Diese völlige Offenheit und Unangestrengtheit haben mich sehr berührt.

    Auch Stascha Zajovic aus Serbien ist von beeindruckender Gelassenheit und Freundlichkeit. Ich wußte nicht, in welcher Verfassung ich sie wiedersehen würde: nach zehn Jahren Terror, bedroht durch Geheimdienst-Überfälle und ohne feste Adresse leben müssen. Ich hatte Spuren erwartet von diesen strapaziösen Jahren Krieg und Untergrundarbeit. Diese Lebensfreude und Energie, die nicht nachgelassen hat - erstaunlich. Das hat mich sehr gefreut und ist - wie ich hoffe - im Film auch spürbar, weil diese Unzerstörbarkeit von Menschen ja auch Elemente der Hoffnung sind, die wir brauchen.
    Aber ich denke, diese Haltung hat auch etwas damit zu tun, dass Menschen ihre Arbeit und Tätigkeit in den Kontext einer gemeinsamen Perspektive stellen und nicht nur so vor sich hin arbeiten oder für sich allein “kämpfen". Wenn ich zum Beispiel zurückdenke an meine Mutter: Die Spuren von Krieg und Verlusten, die Ängste und Depressionen, die ich bei ihr wahrgenommen habe, haben sich nie aufgelöst, sondern sind im Alter eher noch schlimmer geworden. Dieses Kriegstrauma klingt in unserem Film durch die sogenannte "Verrückte" an, die Frau, die in Sarajevo vor der Kirche geistesabwesend über den Platz geht, aber noch mit so viel Empfindung, dass sie die Plakate streichelt, weil sie ahnt, da macht jemand etwas gegen die Zustände, worunter sie leidet.
    Jamila Mujahed hat 23 Jahre Krieg erlebt und die Hölle ausgehalten in Kabul. Wenn man gezwungen wird, mit Krieg zu leben, Krieg zu denken, hat man doch keine Freiheit mehr, eigene Empfindungen selbst zu gestalten. Und auch jetzt kann sie kein "freies" Leben führen. Sie hatte Angst zu sprechen, weil sie Morddrohungen bekommt. Die Mullahs in Afghanistan sind viel mächtiger, als wir das hier wissen oder wahrhaben wollen. Das Klima für Frauen ist derartig repressiv, inquisitorisch, das glaubt man hier gar nicht. Als wir uns nach dem dritten Anlauf in ihrem kleinen Büro, in der alternativen französischen Fernsehstation IENA, trafen, war da dennoch sofort eine Wärme, die von Jamila ausging und eine Freude, dass da eine Gruppe kam, die Anteil nahm. Überhaupt kein Misstrauen. Das fand ich beeindruckend.

    Zuletzt drehte ich mit Sissy Farenthold in Texas. Sie war für mich die große Überraschung. Bei Frauen zwischen 40 und 60 finde ich die innere Beweglichkeit und Lebendigkeit normal, aber nicht wenn man 76 ist! Weder den Reichtum ihres familiären Hintergrundes, noch den als Professorin und Dekanin hat sie je spürbar herausgekehrt. Hätte ich sie getroffen und nichts von ihr gewusst, hätte ich gedacht, sie ist eine Künstlerin, vielleicht eine ehemalige Balletttänzerin. Sie ist uns mit großer Bescheidenheit und Selbstverständlichkeit begegnet und auch mit viel Herzlichkeit und Wärme und einer Jugendlichkeit, die viele Jugendliche nicht haben.
    Sissy hat viele Jahre ihre Kräfte und Energien investiert, um ihre persönliche Haltung und politische Position zu bestimmen. Spätestens seit Vietnam hatte sie gemerkt, dass sie in einer sehr fragwürdigen Gesellschaft lebt. Um sich ihre eigene "Anschauung" zu bilden, ist sie selbst an die Kriegsschauplätze amerikanischer Militärinterventionen gefahren. Sie hat sich nicht "berichten" lassen oder sich durch Film, Reportagen und Bücher informiert, sondern ist den mühevollen Weg konsequenter Recherche gegangen. Und auch sie hat nicht resigniert.

    Wie war die Situation in den einzelnen Ländern, was hat dich besonders berührt oder schockiert?

    In Indien haben mich die fürchterlichen "Säuberungen" schockiert. Da werden ärmere Menschen einfach "weggesäubert" aus dem Stadtbild: Händler, Handwerker, Schmiede, Schuster, Schneider. Da sind Entwicklungen im Gange, die sehr ins Auge stechen. Indien hatte sich lange dem westlichen Markt verschlossen und gehörte zu den blockfreien Ländern. Indien war nicht überschwemmt von - vereinfacht gesagt - Coca Cola und japanischem oder amerikanischem Fernsehen, sondern ist einen eigenen Weg gegangen. Erst Anfang der 90er Jahre erfolgte die Öffnung für westliche Märkte. Die visuelle Veränderung im Stadtbild als Folge ist unübersehbar und dahinter verbergen sich Tragödien. Slums werden abgerissen und unsichtbar gemacht. Wenn hinter dem Säuberungsprogramm wenigstens eine Reduktion der Armut stünde - aber im Gegenteil, die Armut nimmt zu.
    New York hat sich in ähnlicher Richtung verändert. Auch dort wurden in den letzten Jahren Menschen “weggesäubert". Wenn du keinen Musiker oder Obdachlosen mehr am Straßenrand siehst oder keine Jugendlichen, die herumstehen, Musik machen oder Fußball auf freien Plätzen spielen, sondern nur noch alles eingezäunt ist und von Security-Kräften bewacht, ist das gespenstisch. Es gibt ja überall Arme, aber es wird versucht, sie in den Zentren der großen Weltstädte unsichtbar zu machen.

    Wie Kabul heute aussieht - unfassbar. Mehr als 1,5 Millionen Menschen haben Gliedmaßen verloren. Dann haben sie keine Arbeit, kein Haus, keine Existenz. Nicht mal das Selbstverständlichste der Welt: Arme und Beine.
    Es ist schockierend zu sehen, was die Großmächte, egal ob Sowjetunion oder USA mit ihren vielfältigen Waffenlieferungen angerichtet haben. Das konnte ich mir vorher nicht vorstellen, was für ein Gesicht das hat im Alltag - ein Land über ein viertel Jahrhundert mit Waffen vollgestopft! Um so mehr war es für mich ein Phänomen, dass uns die Menschen vorbehaltlos freundlich und offen begegnet sind.
    Die Situation in Serbien werde ich nie vergessen. 1995 unter den Augen der UNO das Massaker an 8000 muslimischen Männern, und dann diese Frauen zu erleben. Gemeinsam zu trauern und diese Tragödie, diesen Skandal ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Bis heute wurde erst einer der Mörder vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag verurteilt. Ich bewundere, dass Stascha Zajovic und andere “Frauen in Schwarz" seit 7 Jahren immer wieder die Frauen in Sebrenica und Sarajevo besuchten, ihnen immer wieder sagten, ihr werdet verrückt, wenn wir nicht gemeinsam trauern und unsere Trauer öffentlich machen. Das kann man allein nicht aushalten.
    Du hättest die Freude und Lebensenergie sehen sollen später beim gemeinsamen Essen nach der Manifestation.
    Ich dachte darüber nach, diese Freude im Film zu zeigen. Dann habe ich mich entschieden, das nicht zu tun. Der Film soll keine Entlastung schaffen. Die elenden Zustände unserer Welt werden sich in absehbarer Zeit nicht bessern - eher wird es noch schlimmer werden. Für mich liegt die Hoffnung allein in den Menschen.

    Wie entwickelte sich die dramaturgische Idee, die Beobachtung von Kindern mit dem Thema “Kriegsspuren" zu verknüpfen?

    Ich wußte, was mich erwarten würde, wenn ich Kriegsspuren folge. Da habe ich auch ganz persönlich an mich gedacht und mich gefragt, wie kann ich das nervlich überhaupt durchhalten? Was mich immer freut oder tröstet, woraus ich Kraft schöpfen kann, ist die Natur und das sind Kinder. Kinder, die noch Fantasie und Kraft haben. Ich wusste nicht, dass mich auch ein Kind mit Prothesen freuen könnte, nicht nur erschrecken. Der kleine Junge im Film, der “Prothesen-Junge". Ich habe sofort gesehen, der ist wach, der beobachtet uns und - ich hoffe, dass man das sieht - seinen skeptischen Blick, der mir zeigt: Sein Bein hat er verloren, aber nicht seine innere Kraft. Und deswegen konnte ich überhaupt mit ihm drehen.
    Auch in Amerika wollte ich Kinder zeigen, um etwas über die gesellschaftlichen Verhältnisse auszudrücken. Aber das ist fast unmöglich durch die strikten Drehverbote überall. Wir wollten in Schulen drehen, wo ehrenamtliche Militärerzieher durch Zucht und Ordnung militärische Disziplin aufbauen wollen. Als Kontrast wollten wir in der “Brooklyn School For Peace and Justice" drehen, eine Schule für "Frieden und Gerechtigkeit". Ich hatte mich so gefreut auf die frechen Kinder, die wir da treffen würden aus aller Herren Länder. Und was ist von dieser Idee geblieben? Nur der schießwütige, fehlernährte kleine dicke Junge und die schwarzen Mädchen in dem Entertainment-Center.
    Wir hatten in Amerika kaum eine Chance. Wir haben gelauert, tagelang, am letzten Tag noch fast bis zur Verhaftung vor einer Gesamtschule. Wenn die Kinder aus ihren gitterumzäunten Schulhöfen rauskamen - ein solch erschreck-endes Misstrauen. Die Spielplätze mit Drehtüren, wo du nur hinein darfst, wenn du ein Kind hast. Und dann wurde die Tür zugeschlossen - zu einem öffentlichen Kinderspielplatz in einem öffentlichen Park. In keinem Land habe ich das je erlebt. Überall war alles möglich, nur in Amerika war nichts möglich. Schlimmer als ich das je in der DDR oder in der Sowjetunion erlebt habe, als es die Mauer noch gab.
    So kam es auch zu der etwas merkwürdigen Szene im Entertainment-Center in Houston, Texas: Dass ich da betont lässig mit aufgestützem Arm rumstehe, das war eine Inszenierung für die Security Officer, die uns verfolgt haben. Wir konnten nur unter der Prämisse drehen, wir sind eine Familie und machen Home Movies und unsere Tonfrau ist unsere Tochter, die sich das gewünscht hat. Und jetzt macht die Mutter ein freundliches Gesicht und der Vater filmt das alles - so was Absurdes!

    Im Film klingt auch deine eigene Kindheit an. Noch nie hast du in einem Film von deiner eigenen Kindheit erzählt ...
    Das hat mit dem Schock vom 11. September zu tun. Ich dachte damals sofort an Krieg. Meine Kindheitserlebnisse aus dem letzten Weltkrieg, mein Lebensgefühl ist stark mit diesem Gefühl “Krieg liegt in der Luft" verbunden.
    Ich sah sofort alles wieder vor Augen, ein Déja Vu ... Wenn man ein kleines Mädchen ist und der Vater lange fort ist und dann kommt er in Stiefeln und Uniform zum Fronturlaub - das ist ein Trauma, das begleitet mich noch heute bis in meine Träume ...

    Haben die Erlebnisse während der Dreharbeiten deine eigenen Kindheits-Erinnerungen wieder geweckt?

    Das war in Afghanistan. Ich habe jede Nacht von Halle an der Saale geträumt - wie die Stadt flach wurde. Wir wohnten nahe am Saale-Ufer. Plötzlich waren da Ausblicke auf den Fluss, weil alles flachgebombt war. Wie das die Perspektiven verändert hat! Wenn du klein bist, bist du ja in Städten immer in Straßen-Schluchten. So lange hatte ich nicht mehr geträumt, wie die Saalebrücken zerstört wurden. Die Bilder aus meiner Kindheit wurden in Afghanistan lebendig.


    Arundhati Roy und Sissy Farenthold sprechen im Film das Thema “Faschismus" an - war das für dich von vornherein auch ein Thema - die zunehmende Faschisierung moderner Gesellschaften?

    Die Einführung des Begriffs Faschismus durch Arundhati Roy hat mich natürlich als Deutsche erstaunt. Für mich ist Faschismus mit deutscher Geschichte belastet. Ich weiß natürlich, dass es den internationalen Faschismus in den 30er Jahren und früher gab, u.a. in Spanien und Italien. Was dann später in Lateinamerika passierte, sah ich eher in dem Kontext, wie ihn Marcel Ophüls in “Hotel Terminus" beschreibt, als er die Spuren der Nazi-Kriegsverbrecher nach dem Krieg verfolgt hat. Wohin sind sie geflüchtet, was haben sie angerichtet, wo haben sie ihre Wirkungsfelder bis heute.
    Ein wenig war ich vorbereitet, in Indien mit diesem Thema konfrontiert zu werden. Ich hatte die Wartezeit auf Arundhati Roy zu Recherchen genutzt und manches entdeckt, bis hin - ich fand es nur als Bild zum Drehen zu banal - dass im größten Buchladen in Delhi neben Arundhati Roys Buch “Power Politics" eine englische Ausgabe von Hitlers “Mein Kampf" lag. Die Hindu-Faschisten haben Hitler sehr verehrt. Das geht zurück bis in die 20er Jahre.
    Faschismus ist für uns Deutsche geprägt durch das Trauma des Holocaust und unserer speziellen deutschen Perversion der industriellen Ermordung von Millionen Menschen. Davon ist mein Geschichtsbild geprägt. Aber wenn man Faschismus so versteht wie Arundhati Roy und Sissy Farenthold als nationalistische Entwicklung von Machtpolitik, gestützt durch die Rüstungsindustrie, ist es nicht verwunderlich, dass Faschismus d a s Thema wird. Sissy Farenthold sagt ganz explizit - das haben wir gekürzt: “Faschismus ist die enge Verbindung von Regierung, Großunternehmen und einem extremen Nationalismus".
    (Das Gespräch führte Petra Franke, Berlin 2004)

    TEXTE ZUM FILM

    Die erste Station ist New Delhi, Indien. Dort trifft die Regisseurin die 43jährige Arundhati Roy, die berühmte Schriftstellerin. Sie wurde zur “Stimme der Dritten Welt". Arundhati Roy schreckt nicht vor dem Begriff “Faschismus" zurück, wenn sie die Entwicklung der politischen Lage in ihrem Land beschreibt, in dem Land, welches sie liebt und dem sie ihr Leben gewidmet hat. Indien ist ein Land mit einer unglaublichen kulturellen Vielfalt und ethnischem Reichtum. Es ist aber auch ein Land der verloren gegangenen Hoffnungen, in dem der Neoliberalismus dazu führte, dass sich die Ärmsten der Armen gegenseitig bekriegen.
    Auf den Straßen von New Delhi trifft man Kinder, muslimische Flüchtlinge aus Assam und Bangladesh, die den ganzen Tag über Müll sammeln, um zu überleben. In den Gesichtern der Kinder, die nichts besitzen und schon morgens von den Straßen der Hauptstadt vertrieben werden, sieht man - trotz allem - Lebensfreude und Hoffnung.

    Arundhati Roy
    1961 in Südindien in einem Dorf in Kerala geboren, wächst ohne Vater (Hindu aus Bengalen) bei ihrer Mutter - Schulleiterin an einer christlichen Privatschule und anerkannte Frauenrechtlerin - auf. Mit 17 Jahren verläßt sie Kerala, steht auf eigenen Füßen, lebt in Delhi ein unabhängiges Bohème-Leben, studiert Architektur (Diplomarbeit zu alternativem Städtebau). Stipendium in Florenz, Reisen nach Europa und in die USA. 1997 schreibt sie ihren Debütroman "Der Gott der kleinen Dinge". Der Roman sorgt für eine internationale literarische Sensation und erreicht Millionen-Auflagen. Sie wird berühmt, hält weltweit Lesungen. Nach einem Jahr zurück in Indien stellt sie fest "dies ist nicht mehr mein Land". Indien war inzwischen Atomstaat geworden. Seither als Polit-Aktivistin von Prozessen wegen Beleidigung des Staates bedroht . Einen Teil ihrer Tantiemen und verschiedene Preisgelder ("Booker-Prize" 1997, "Grand Prix der Académie Universelle de la Culture" Paris, 2001, Auszeichnung für den Kampf gegen Intoleranz, Rassismus und Diskriminierung) spendet sie der Bürgerinitiative gegen das Großstaudamm-Projekt im Narmada-Tal in Nordindien.

    Zitate aus dem Film
    ... Die Kritik an der Globalisierung, die Vorstellung vom sozialen Gemeinwesen und das Verständnis davon, was Demokratie wirklich bedeutet, ist in diesem Land ziemlich weit entwickelt. Selbst in den Dörfern gibt es einen richtigen Kampf - viel fantasievoller als im Westen. Denn im Westen haben die Menschen die Fähigkeit verloren, sich vorzustellen, dass eine andere Welt möglich ist ...

    ... In Indien gibt es große Not, weil es eine Menge Ungerechtigkeiten gibt. Und jene zerbrochenen Träume und zerbrochenen Menschen wenden sich jetzt dem Faschismus zu. So wird der Faschismus geschürt und wird zum Ventil für ihren Zorn. Aber der Faschismus ist ein völlig falscher Weg für den Zorn dieser Menschen. Man muß verstehen, warum es diesen Zorn gibt. Weshalb? Warum kann man nicht den Zusammenhang sehen, dass 40 Millionen Menschen durch riesige Staudämme vertrieben wurden und daß sie von ihren eigenen Institutionen, ihren gewählten Vertretern, ihren eigenen Politikern betrogen wurden? ...

    ... In Indien sind in den letzten 50 Jahren all die Träume, die die Menschen hatten, was es bedeuten könnte, ein freies Land zu sein - diese Träume sind weggeschmolzen wie Wechselgeld. Alles ist von den oberen Kasten und den Mächtigen abgewürgt worden und von dieser westlichen Elite, aus der ich komme ...

    ... So schafft man eine Gesellschaft, die derart ungerecht ist, und wenn dann Gewalt entsteht, verurteilt man sie. Aber diese Gewalt kommt doch irgendwoher, und man muß verstehen, woher ...

    ... Nicht viele Leute wollen die Zeichen des Faschismus erkennen. Bürgerliche Freiheiten werden untergraben. Schon das Denken an Gerechtigkeit und Menschenrechte ist verboten. Denn für die Mittelklasse ist hier alles o.k.. Man will seine Privilegien, man will nichts abtreten. Man will alles so lassen wie es ist, und doch will man keine Gewalt ...

    In Serbien besucht die Regisseurin eine alte Freundin, die 50jährige Stascha Zajovic, die Frau, die in Belgrad während der Milosevic-Diktatur die Gruppe “Frauen in Schwarz" gründete. Stascha Zajovic wurde wegen ihres Engagements verfolgt und musste sich vor der Polizei verstecken. Die Regisseurin trifft sie in einem historischen Moment. “Frauen in Schwarz" aus Belgrad und Frauen aus der bosnischen Stadt Srebrenica protestieren am 11. September 2002 gegen Krieg und Vertreibung. Im Juli 1995 wurden in Srebrenica innerhalb von drei Tagen 8000 muslimische Männer von den serbischen Truppen ermordet. Die Frauen, deren Nationen sich bis gestern auf brutalste Weise bekämpft haben, stehen gemeinsam auf dem Marktplatz in Sarajevo und rufen zur Versöhnung auf.

    In der Nähe von Belgrad findet die Regisseurin ein Flüchtlingslager, in dem serbische Flüchtlinge aus dem Kosovo ein provisorisches Leben fristen, Opfer des Krieges, der durch die Nato-Intervention im Frühling 1999 eskalierte. Sie trifft Menschen, die von allen vergessen wurden, von der internationalen Gemeinschaft und auch von den lokalen Behörden. Sie trifft Bäuerinnen und Bauern, die von ihrem Land vertrieben wurden und jetzt entwurzelt vor einer vollkommen unsicheren Zukunft stehen.

    Stascha Zajovic
    1953 in einem Dorf in Montenegro geboren. Aus der Enge der traditionellen, montenegrinischen Familie setzt sie sich mit 19 Jahren ab nach Belgrad, verdient ihren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten. Studiert Romanistik, bestreitet ihre Existenz später als Übersetzerin für Spanisch und Italienisch. Während des Studiums bereits politisch aktiv in verschiedenen intellektuellen Dissidentenkreisen, später immer mehr in der Frauenbewegung. Sie ist 1991 eine der Begründerinnen der “Frauen in Schwarz" Belgrad und wird der wichtigste politische Motor der Gruppe im Kampf gegen die Milosevic-Diktatur. Sie stellt Kontakte her zu ähnlichen radikal-pazifistischen Frauengruppen in Italien, Spanien und den USA.
    Den “Frauen in Schwarz" aus Belgrad wurde der “Millenium-Friedenspreis der UNO 2000" zugesprochen. 2001 waren sie für den Friedensnobelpreis nominiert. In den letzten Jahren arbeitet Stascha an dem Projekt “Mobile Frauen-Friedens-Workshops", ein Projekt verschiedener Friedensgruppen in Serbien und Montenegro, unterstützt von der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.

    Zitate aus dem Film
    ... Frauen sind immer und überall unterschiedlichen Arten von Instrumentalisierung ausgesetzt. Zum Beispiel: Vergewaltigung im Krieg ist natürlich ein Verbrechen gegen Frauen. Aber gleichzeitig ist das auch Rache oder Erniedrigung von Männern anderer Nationen. Auch aus militärischen Gründen, zur militärischen Expansion. Denn die Täter wissen genau, daß Frauen nicht an den Ort zurückkehren wollen, wo sie vergewaltigt wurden.
    Im Bosnienkrieg ... ich denke, das war der erste Krieg, in dem Vergewaltigung während des Krieges an die Öffentlichkeit kam. Denn in der ganzen Geschichte des Krieges ist Vergewaltigung normal ... gehört zur Normalität militärischer Aktionen, militärischer Ideologien ....

    ... Männer kollektiv zu beschuldigen ist kein guter Weg, Frieden zu schaffen ... sie dazu bringen, sich verantwortlich zu fühlen, das ist wichtig in meiner Arbeit als Aktivistin gegen Kriege. Männer haben mehr Macht, also tragen sie mehr Verantwortung für den Krieg. Aber ich weiß nicht, ob Krieg überhaupt möglich wäre ohne die indirekte Kollaboration von Frauen. Frauen sind ... auch Komplizen, Kollaborateurinnen. Und Frauen entscheiden sich auch verschieden, oder? ...
    ... Ich glaube an die kleinen Dinge. Ich glaube nur an gemeinsames Handeln, nicht an mich allein. Ich glaube nicht daran, daß wir die Welt befreien werden. Oder ich mit meinen Aktionen. Aber wenn wir nicht schaffen, andere Leute wachzurütteln, ist alles umsonst. Meine Leidenschaft allein ist nichts ...

    Die nächste Station der Reise ist Kabul, eine Stadt, die heute nur aus Ruinen besteht. Über den Horror der vergangenen Jahre, über die Greueltaten, zu dem ein Mensch fähig ist, berichtet die 45jährige Jamila Mujahed, Herausgeberin von “Malalai", der einzigen Frauenzeitschrift in Afghanistan. Während der sowjetischen Besatzung arbeitete sie als Nachrichtensprecherin beim Fernsehen und durchlitt die folgenden Kriege in Kabul mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern. Ihre Worte sind eine Mischung aus Ängsten und Hoffnung. Auf der einen Seite gibt sie - trotz allen Drohungen der Fundamentalisten - ihre Frauenzeitschrift weiter heraus, auf der anderen Seite konstatiert sie bitter, dass sich die Lage der Frauen in Afghanistan nicht geändert hat.
    Kabul ist eine Geisterstadt, die an die Science-Fiction-Visionen eines Paul Auster erinnert. Während aus dem Kabuler Stadion Geräusche von einer militärischen Massenveranstaltung hallen, sieht man in der Ruine einer Grundschule Kinder, die die Sprache der neuen Herren lernen. Ein junges Mädchen, noch halb verschleiert, deklamiert stolz: “Time is money, money is power, power is life".

    Jamila Mujahed
    1962 geboren und aufgewachsen in Afghanistan, Kabul. Begann bereits in den letzten Jahren ihrer Schulzeit journalistisch zu arbeiten. Während der sowjetischen Besatzungszeit als Nachrichtensprecherin beim Fernsehen. Die Schreckenszeit für sie begann mit dem blutigen Bürgerkrieg der Mujahedin. In islamischer Kleidung, ungeschminkt, mußte sie die Nachrichten des jeweils siegreichen Kriegsherrn verlesen. Kabul versank in Schutt und Asche. Aber für eine Flucht ins Exil war ihre Familie mit 5 Kindern zu arm. Während der Herrschaft der Taliban an den Herd gezwungen, unterrichtete sie heimlich Mädchen, bis sie nach dem Sturz der Taliban wieder als Nachrichtensprecherin arbeiten konnte.
    Das Frauenmagazin “Malalai" begann, sie zu Hause zu schreiben. Die erste Ausgabe kopierte sie 300 Mal und verteilte sie auf der Straße. Später wurde sie von der nichtstaatlichen französischen Film- und Fernsehorganisation IENA unterstützt. Dort ist noch heute ihr Verlags-Büro. Jamila Mujahed erhielt 2004 den Johann-Philipp-Palm-Preis für Meinungs- und Pressefreiheit für die Frauenzeitschrift Malalai. Außerdem ist sie verantwortlich für Frauenthemen des Radiosenders "Voice of Afghan Women".

    Zitate aus dem Film
    ... Leider hat der Krieg auch bei den Frauen dazu geführt, dass sie sich immer fremder wurden. Wenn zum Beispiel eine Frau sieht, dass ihr Ehemann gegen die Paschtunen kämpft, verteidigt sie ihn natürlich, weil es ihr Mann ist. Oder eine andere verteidigt ihren Mann, weil er gegen die Tadjiken kämpft ...

    ... Vor einigen Tagen hat mich eine Freundin etwas über meine Kinder gefragt. Sie sagte, dass meine Kinder die zwei Landessprachen Dari und Paschtu sehr gut sprechen und mit beiden Sprachen kein Problem haben. Sie fragte: "Was ist dein Wunsch für die Zukunft, in welcher Sprache sollen deine Kinder sich mehr bemühen? In Paschtu oder Dari?" Für mich war diese Frage sehr interessant, denn von solchen Fragen kommt, wie man bei uns sagt, "der Geruch des Blutes." Solche Fragen haben uns immer voneinander getrennt. Ich habe geantwortet: Ich will, dass meine Kinder keine der beiden Sprachen sprechen, ich will, dass sie die Sprache der Menschlichkeit sprechen ...

    Die Amerikanerin Sissy Farenthold, ist die Gesprächspartnerin der Regisseurin in Houston/Texas, der letzten Station der Reise. Sissy Farenthold ist eine 76jährige ehemalige Jura-Professorin und Politikerin, die ihre Karriere nach dem Vietnamkrieg abbrach, um sich für Menschenrechte zu engagieren. Ihre klaren Sätze werfen Licht auf die Hintergründe der Bush-Politik. Sie durchleuchtet das Netz der verschiedenen Interessen von Militär, Industrie, Geheimdiensten und Politik. “In einer Sache bin ich sicher", sagt Sissy Farenthold, “ich gebe den Kampf nicht auf".

    In New York ist die Regisseurin mit einem Amerika konfrontiert, was sie nicht kennt, mit der Militarisierung des alltäglichen Lebens und des städtischen Raumes. Auf dem Times Square wirbt die Navy-Big-Band Soldaten an. Zur gleichen Zeit lassen sich die New Yorker, mit ihrem Sinn für Humor und Selbstironie, neben der Wachsfigur von Präsident Bush fotografieren.

    Sissy Farenthold
    stammt aus einer wohlhabenden, texanischen Gründerfamilie. Als Juristin und Professorin lehrte sie ihr Spezialgebiet "Women and Leadership".
    Sie war viele Jahre Abgeordnete im texanischen Parlament. In den siebziger Jahren kandidierte sie für den Gouverneursposten in Texas und erhielt 48 Prozent der Stimmen. Auf dem Parteikongress der Demokratischen Partei 1972 verfehlte sie nur knapp die Nominierung für die Vizepräsidentschaft. Nach dem Vietnamkrieg brach sie mit ihrer parteipolitischen Karriere. Sie folgte den Spuren amerikanischer Militärs nach Honduras, Nicaragua, El Salvador, in den Irak, auf die Philippinen und nach Afrika. Ihre Erlebnisse
    radikalisierten sie.
    Später arbeitete sie für die UNO als Menschenrechts-Beobachterin.

    Zur Zeit untersucht sie die Folgen des ersten Golfkrieges 1991 und bereitet ein Tribunal zum Irak-Krieg vor.

    Zitate aus dem Film
    ... Ich kann mich erinnern, dass ich zu einer Party ging für den Sieg über Japan, als Japan kapituliert hatte. Da wurde begeistert gefeiert. Ich war damals 18, und ich erinnere mich, wie ich ins Freie ging, allein unter den Sternen und dachte: “Ich werde ewig dankbar sein, denn jetzt ist Frieden." Aber natürlich war es kein Frieden, wie wir später begriffen. Und es gab seitdem tatsächlich nie Frieden ...

    ... in den 80er Jahren, als der damalige Vizepräsident George Bush der Erste behauptete: "Wir können einen Atomkrieg gewinnen". Das gab den Anstoß für eine gewaltige Mobilisierung in diesem Land ...

    ... Der 11. September und das sogenannte “Patriotismus-Gesetz" - dafür war längst die Grundlage geschaffen. Und über die Jahre hat es, mit Ausnahme der Zeit nach Vietnam, eine Entwicklung gegeben, die man “Imperiale Präsidentschaft" nennt. Sie ist mit dem “Nationalen Sicherheitsstaat" entwickelt worden. Diese “imperiale Präsidentschaft" gibt dem Präsidenten die Macht, unter Ausschluß der Öffentlichkeit die CIA mit allen ihren Möglichkeiten uneingeschränkt einzusetzen - sämtliche Streitkräfte, die der Präsident sich wünscht - ohne sich auch nur die Mühe zu machen, den Kongreß für eine Kriegserklärung zu gewinnen.

    ... Mir hat ein ehemaliger Militär einmal gesagt: Für eine ordentliche Beförderung in die höheren Ränge braucht man Schlachtfeld-Erfahrung. Also, wie kriegt man Schlachtfeld-Erfahrung? Noch ein Krieg! ...

    ... Du siehst, wie teuflisch diese Geschichte ist ... In jedem Wahlbezirk gibt es Kriegsindustrie. Stimmt man als Kongressabgeordneter für Arbeitsplätze in seinem Bezirk, so stimmt man also auch für diese Waffensysteme. Es ist so schwer, diesen Kreislauf zu durchbrechen in diesem “militärisch-industriellen Komplex", wie ihn Eisenhower nannte. Ich weiß nicht, wie wir da rauskommen. Wirklich nicht. Aber wir richten nicht nur die Welt zugrunde, sondern auch unser Land - so sehe ich das.