| Tod des weißen Pferdes, Der | ||
BRD 1985, 35+16 mm, Farbe, 92 Min. Prädikat: besonders wertvoll | |||
BESETZUNG | |||
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STAB | |||
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BIOGRAFIE | |||
Christian Ziewer Geboren 1941. Studium der Elektrotechnik, Philosophie und Sozialgeschichte. Regiearbeit an Theatern; Aufnahmeleitung bei kommerziellen Filmproduktionen. Lektor (Bavaria). Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb.). Mitbegründer des Basis-Film Verleihs. Forschungsprojekte im Bereich Kino Verleih. Mitarbeit beim Aufbau des Kulturzentrums Neustrelitz. Filmjournalistische Arbeiten unter anderem für epd-Film, "Film und Fernsehen". Filmpolitisches Engagement im Berliner Arbeitskreis Film BAF. Kurz- und Dokumentarfilme. Ausgezeichnet mit dem Berliner Kunstpreis und dem Adolf-Grimme-Preis. Seit 1997 Lehraufträge an der dffb (Seminare, Filmanalyse, Projektberatung) | |||
FILME | |||
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TEXTE ZUM FILM | |||
Wie traurig darf Geschichte sein? "Geschlagen ziehen wir nach Haus, die Enkel fechen's besser aus." Dieses Lied von Bauern des 16. Jahrhunderts ersann ein völkischjugendbewegter Geist zu Anfang unseres Jahrhunderts. Aber hatten die Enkel es wirklich besser ausgefochten? War der blutigen Niederschlagung des Bauernaufstandes nicht die Katastrophe des 30jährigen Krieges gefolgt? Hatte der Kampf um mehr Recht für das Volk nicht schließlich im Untertanenstaat und Kadavergehorsam geendet? Doch obwohl die Geschichte den beschwörenden Blick auf die Enkel so total desavouiert hatte, klammerte man sich an das beschauliche Märchen vom glücklichen Ausgang. Auch in unserer Gegenwart schlägt allem Zweifel ein optimistisches Zukunftsbekenntnis entgegen. Statt "No future" wird "Hoffnung" verordnet, statt Untergangsstimmung: geistige Wende. Oder in der Metaphorik der Bauernkriegszeit: "Und wenn die Welt voll Teufel wär', es muss uns doch gelingen!" Da ist es auch konsequent, wenn so viel von "Geschichte" die Rede ist, vom Erhalt der Werte, von Tradition. Sich auf Vergangenheit besinnen, heisst es, stifte Identität. Doch welche Vergangenheit ist gemeint? Die der Fahnen und Schwerter, der Schwüre und Jubelschreie? Oder auch die des Hungers und der Verzweiflung? Es läuft auf das "Wie" hinaus: Wie sich besinnen? Ich glaube, man kann sich der Vergangenheit am besten nähern, wenn man die Spuren sucht, die sie in der Gegenwart hinterlässt. Da, wo sie heute noch fortwirkt, wird sie am ehesten lebendig. Namen und Daten in Schulbüchern, Ausstellungsstücke im Museum, frisch bemalte Fachwerkhäuser und historische Folklore bleiben totes Geschichtsinventar, wenn wir keine Verbindung zum Heute herstellen können, zu unserem Gefühl und unserer Erfahrung. Und wir selber bleiben Touristen auf Sight-seeing-tour, gaffend, unbeteiligt. Vielleicht überkommt uns ein bisschen Wehmut vor der Guten alten Zeit oder ein kleiner Schauer vor dem Finsteren Mittelalter, aber eine echte Berührung, eine Bewegung stellt sich nicht ein. Vergangenheit bleibt, was sie war: dumpfe, nicht begriffene Herkunft. Spuren der Vergangenheit in unserer Gegenwart - wollen wir sie wirklich finden? Zu gross ist vielleicht die Angst, dass wir entdecken: Noch ist nicht "ausgefochten", was Menschen in früherer Zeit wollten, noch sind die Katastrophen nicht erledigt. Und weil wir die Schrecken der Geschichte und ihre Folgen in uns selber nicht ertragen, löschen wir sie aus. Wir verhindern, dass wir uns erinnern: "Sei still, ich will's nicht wissen." Übrig bleiben geschönte Bilder. Dagegen steht das "Erkenne dich selbst" der Griechen. Das war kein Luxus, den sie sich für bessere Zeiten aufhoben, sondern es war für sie eine Voraussetzung zu überleben. Wissen, wer man ist, woher man kommt und was man mit sich will, macht stärker - und menschlicher. Damit ist auch die wichtigste Aufgabe genannt, vor die das Kino gestellt ist. Es muss dem Publikum ein Ort sein, wo es in einem fremden Geschehen sich selbst begegnen kann. Dafür habe ich diesen Film gemacht. Ich denke, dass nichts so interessant ist wie Menschen, die wollen, dass ihr Leben anders sei als es ist. Und die anfangen - wie bewusst oder unbewusst auch immer -, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen. Die Bauern von 1525 lehnen sich gegen Unrecht und Entmündigung auf. Sie geraten nicht nur mit ihrer Obrigkeit in Konflikt, sondern auch mit sich selbst, mit ihren Vorstellungen und Gewohnheiten. Brüderlichkeit steht neben Hass, neues Denken neben altem, Ungehorsam neben Demut. Das Ende ist Unterwerfung und Strafe, physische Vernichtung. Ein furchtbares Ende. Zu furchtbar für den Zuschauer? Ein pessimistischer Film? Schmerz und Erschütterung treffen uns, weil wir das,was wir sehen, auf uns selbst beziehen. Unsere Sache wird verhandelt. Indem der Film den Weg der Bauern nachzeichnet, den Weg ihrer Wünsche und Hoffnungen, fordert er den Zuschauer auf, sich seine eigenen Wünsche und Hoffnungen einzugestehen. Die Niederlage wird als eigene begriffen. Sie wird in keinen Sieg umgemünzt. Aber anstelle der Angst, die das Resultat fortwährenden Verdrängens ist, entsteht jetzt Trauer. Wer trauert, verzichtet auf die Illusion, nicht betroffen zu sein, und kann seinem eigenen Schicksal begegnen. Der Tod des weißen Pferdes enthält neben der Geschichte der kleinen Leute und ihrer Rebellion auch eine "historische Parabel": die Parabel vom immer wiederkehrenden Traum von einer gerechten Welt. Dieser Traum ist die notwendige Kehrseite der Trauer. Nur wenn der Zuschauer danach fragen kann, was die Geschichte den Menschen bisher verweigert hat, was noch nicht eingelöst ist an Versprechen, wird seine Trauer ihn nicht entmutigen. Deshalb soll ein historischer Film nicht nur vom Zurückliegenden, Untergegangenen berichten, sondern auch vom Nicht-Gewordenen, von dem, was noch werden muss. Sehen wir auf die Leinwände unserer großen Kinos: Da fällt es uns an und terrorisiert uns. Da werden Niederlagen in Siege verfälscht, atavistische Rache- und Zerstörungsorgien liquidieren ungeliebte Vergangenheit wie Gegenwart. Gewalt erschlägt Nachdenklichkeit. Unser Kino, das Kino, das wir brauchen, steht dagegen. Als ein Kino der Trauer gesteht es Niederlagen ein, es gehorcht nicht dem "Sei still, ich will's nicht wissen". Sein Blick ist kritisch - und doch bewundernd, empört - und doch liebend. Unser eigenes Leben ist es, das wir mit dem Leben unserer Vorfahren zurückverfolgen und zurückerfinden. Viele Leerstellen gibt es in diesem Kino, weiße Flecke des Unbekannten. Eine Herausforderung. Darstellung aus dem Jahre 1889: Auf die erste Aufforderung öffneten sich ihnen die Klosterthore. Widerstand wäre Thorheit gewesen. Das Werk der Plünderung und Zerstörung wurde begonnen. All die reichen Vorräte des Klosters an Korn, Wein und anderen Lebensmitteln, über 1000 Gulden gewertet, wurden herausgeschleppt und auf die Reiswägen des Bauernheeres gebracht, ebenso der Schmuck der Abtsstube an gemalten Tischen, künstlichen Öfen, Uhren und venetischen Gläsern, dazu die ganze häusliche Einrichtung des Convents, mehr denn 50 Truhen voll bettgewand und Leinwand und anderem Hausrath, sowie sämtliche zu dem ausgedehnten Wirtschaftsbetrieb des Klosters dienenden Fahrnisse. Der reiche Viehstand, mehrte die Beute. Aber der große Gewinn nutzbaren Besitzes ersättigte dei wilden Schaaren keineswegs. In roher Wut drang man in die Kirche und legte Hand an die herrlichen Gebilde edler Kunst, mit denen der fromme Sinn des Abtes Georg die heiligen Räume geschmückt hatte. Die in glühenden Farben prangenden 40 grossen Fenster von geschmelztem Glas im Chor der Kirche, im Kreuzgang und der Liberei, die zierlichen Schnitzereien des Predigtstuhls und des Chorgestühls, Crucifixe, Grabsteine und andere Gotteszier wurden schonungslos zertrümmert oder stark beschädigt. Viele uralte auf pergament geschriebene Messbücher und zwei neue mit köstlichen Malereien geschmückte Psalmbücher gingen mit einer aus allen Wissenschaften erlesenen Bücherei von über 1200 Bänden und 200 Lesepulten für immer verloren. Trotz aller Verwüstung bewahrt die Kirche noch manche sehenswerte Kunstwerke, mit denen Abt Georg den Chorbau geschmückt hat. Vor Allem fesselt das Auge ein figurenreicher Flügelschrein auf dem Hochaltar, das Werk des Nördlinger Meisters Hans Schäufelin vom Jahr 1513. Es blieb wie durch ein Wunder unversehrt. |