| Interview zu "No Exit" von Franziska
Tennner, geführt von Karl Hermann im
Tip-Berlin (Ausgabe 04/04)
Für ihren Dokumentarfilm "No Exit"
hat sich die Regisseurin unter Neonazis
begeben. Dabei stieß sie auf stark ver-
netzte Kameradschaften, den langen
Atem der nationalen Szene und verhin-
derte Medienstars. Woher rührt Ihre
Faszination für rechtsextreme Jugendli-
che?
Franziska Tenner: Ich bin in diesem Land
und mit dieser Generation groß geworden.
Ich bin in Schwedt aufgewachsen, und ich
kenne diese brutalen, rabiaten Umgangs-
formen. Das ging schon in den Achtzigern
los. Bei mir in der Schule sind innerhalb
eines Jahres acht Leute in meinem Alter in
den Knast gegangen. Diese Jugendlichen
hätten also meine Bekannten sein können.
Und ich versuche einfach nur zu beobach-
ten, was aus ihnen wird. Meine Eltern tole-
rieren dies übrigens weniger. Die haben
Angst, dass ich denen eine Plattform gebe.
Wie entsteht der erste Kontakt zu einer
rechten Kameradschaft? Die stehen ja
nicht im Telefonbuch...
Franziska Tenner: Man muß sich erst mal
ohne Kamera und ohne Team mit ihnen
trefffen und eine ganze Weile mit ihnen
reden, Vertrauen aufbauen. Aber anderer-
seits wollen sie auch die Öffentlichkeit: Sie
träumen davon, Superstars zu werden, auf
ihre Art und Weise. Der Nico hat mich mal
gefragt, ob ich Hasselbach kenne. Die
sehen diese Medienstars und wissen, dass
so etwas funktioniert. Auch Kühnen war ja
ein negativer Medienstar. Und diese Rolle
war etwa bei Nico eine große Hoffnung.
Wie weit funktioniert das gegenseitige
Vertrauen bei so einem Projekt? Gibt es
da gefährliche Situationen?
Franziska Tenner: Da gab es einen Artikel
über die erste Vorführung bei den IG Medi-
en in Frankfurt. Und darauf hat die rechte
Szene ziemlich sauer reagiert. Nicht auf
mich, sondern auf ihre eigenen Leute. Das,
was wir gemacht haben, war ja ein Blick
hinter die Kulissen, der für die Rechten
eher peinlich ist, weil er das Eigenbild zer-
stört, das sie von sich aufgebaut haben.
Doch wenn jetzt etwa Nico, um seinen Ruf
zu retten, die Sache so dreht, dass ich
angeblich gegen Absprachen verstoßen
habe, ihn quasi verrraten habe, dann kann
die Sache auch für mich kritisch werden.
Doch im Augenblick traut er sich selber
nicht nach Frankfurt. Und auch die anderen
dürfen nicht mehr in die Szenediscos.
Gibt es da ein Bewußtsein für die eigene
Trostlosigkeit, für diesen grenzenlosen
Dilettantismus in ihrem Leben?
Franziska Tenner: Sie spüren es, aber es ist
schwer, die Wahrheit darüber anzunehmen
– und deswegen sind sie auch so aggressiv.
Doch die Strukturen ihrer Kindheit, woher
das alles kommt, das kennen sie sehr
genau. Erst ist das übliche Schenkelklop-
fen angesagt und dann wird es ziemlich
beklommen, wenn sie plötzlich über ihre
Familie reden müssen.
Ist das eher Mitleid oder vielleicht auch
Hohn, der sich berechtigterweise bei
einigen jugendlichen Zuschauern breit
machen wird?
Franziska Tenner: Hoffentlich doch wohl
eher ein Lachen, das im Halse stecken
bleibt. Für mich wäre es wichtig, dass sich
die Zuschauer auch wiedererkennen.
Was für ein Typ ist dieser Nico? Einer-
seits Protagonist der NPD und dann
auch wieder sanfter Liedermacher ...
Franziska Tenner: Der will sich nach oben
treten, raus aus dem Milieu seines Vaters,
wo Alkohol und Arbeitslosigkeit bestim-
mend sind – und er will natürlich auch mit
Politik Geld verdienen und mit der Musik,
was vielleicht sogar funktionieren kann.
Der ist zäh, der ist jung und hat einen lan-
gen Atem. Dafür geht er dann auch ins
Altersheim, um dort seine Rennicke Lieder
(Frank Rennicke ist Liedermacher der
rechten Szene, die Red.) zu singen.
Ist das ein neuer Trend in der Szene?
Weniger Aufmärsche, dafür mehr Sozi-
alarbeit im Kleinen. Ist das schon das
Ende der Organisation?
Franziska Tenner: Nein, die Kamerad-
schaften sind untereinander sehr vernetzt,
gerade an der Odergrenze, Frankfurt,
Guben, Eisenhüttenstadt. Aber die holen
sich heute ihr Feedback aus sozialen und
anders getarnten Aktivitäten. Wenn da
viele Leute – und nicht nur welche mit
rechter Gesinnung – ihre Liste gegen Kin-
derschänder unterschreiben, dann ist das
natürlich auch ein Erfolg. Viele Rechte
nutzen heute kommunale Freiräume, da wo
sich die Gesellschaft zurückgezogen hat,
organisieren Kinderfeste, geben Schüler-
zeitungen heraus.
Ist das rechtsextreme Weltbild da oft
nicht nur noch eine Pose, um Aufmerk-
samkeit herzustellen, hinter der sich ein
ganz anderes Bedürfnis verbirgt?
Franziska Tenner: Ja, vielleicht ist das der
Unterschied zu früher. Damals, vor zehn
Jahren, suchte man die Gruppe, heute die
Familie. Doch diese Sehnsüchte können
sie außerhalb der Gruppe nicht realisieren.
Diese ganzen Versuche, eine Familie auf-
zubauen oder nur eine positive Beziehung
einzugehen, gehen meistens schief.
Ich frage Nico in dem Film, was für ihn
Liebe ist, und er kann es nicht beschreiben,
er weiß es nicht. Er hat für positive Gefüh-
le wie Liebe, Leidenschaft, Vertrauen
keine Worte. Er kann nur die negativen
Gefühle beschreiben: Hass, Wut, Angst.
Und da wird er dann auch sehr emotional.
Was glauben Sie, was man mit diesem
Film erreichen kann?
Franziska Tenner: Eine Entwicklung auf-
zuzeigen, die eher im Stillen abläuft. Die
Öffentlichkeit interessiert sich nur, wenn
Gewalt im Spiel ist. Davon wird sich
distanziert, aber mit dem Rest hat man kein
Problem, etwa woher diese latente Gewalt-
bereitschaft kommt. Und da hat auch die
Szene kapiert, das sie das nicht weiter-
bringt. Auch Nico sagt, man muss die
Jugendlichen von der Straße holen. Und
das tun die freien Kameradschaften.
Was wünschen Sie sich für den Film?
Franziska Tenner: Ich wünsche mir Offen-
heit, den Mut, sich auf diese Menschen
einzulassen. Ich möchte mit dem Film
daran erinnern, dass jeder, mich einge-
schlossen, Verantwortung für seine Mit-
menschen hat, dass es wichtig ist, sich für-
einander zu interessieren und über alle
Barrieren hinweg miteinander im Gespräch
zu bleiben.
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