Die Gebrüder Skladanowky

Ein Spielfilm von Wim Wenders und Studenten der Münchner Filmhochschule

Artisten in der Kinokuppel
Wim Wenders' gekurbelter Film über die Brüder Skladanowsky

ÑDie bunten Jongleursringe des Onkels, die nach der Vorführung jeweils durch die Luft flogen, gefielen der Kleinen ursprünglich viel besser als die bewegten Bilder auf der Leinwand.

Wim Wenders erzählt in seiner neuen Arbeit ÑDie Lumières von Berlin", die er mit den Schülern der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film drehte, aus der Perspektive eines kleinen Mädchens, den Ursprung des Kinos aus dem Geist der Schaustellerei.

Auch später, wenn im Film bei der ersten öffentlichen Kinovorführung 1895 in Berlin das ÑBioskop" der Brüder Skladanowsky kurz ausfällt, muß der jonglierende Onkel mit den Ringen wieder einspringen und das Publikum bei Laune halten. Das Kino ist mehr Artisten- als Ingenieurserfindung. ...

Wenders würdigt den heiteren Erfindergeist der Skladanowskys, indem er große Teile seiner subtilen, unterhaltsamen, verspielten Etüde selbst mit einer alten Kurbelkamera gedreht hat. Die Mädchenstimme erzählt aus dem Off von der Aufregung, die in jenen Pionierjahren herrschte. Die Bilder waren schon im Kasten, auch jene des abgereisten jonglierenden Onkels. Sie herauszuholen und so vor Augen zu führen, daß auch die Kleine daran glauben kann, erforderte aber mehrere Jahre Arbeit. Um die Erfindung eines leistungsfähigen Projektionsapparats waren überdies auch andere bemüht, wie ein permanent durch Fenster und Schlüsselloch der Skladanowskyschen Werkstatt, - wie in eine camera obscura - , hineinlugender Werkspion deutlich macht.

Wie es schließlich dank dem ÑBioskop" möglich wurde, am 1. November 1895 im Berliner Wintergarten die berühmt gewordenen Bilder vom Italienischen Bauerntanz, vom Ringkampf, der Boxpartie mit dem Kängeruh und dem Slapstick am Reck erstmals öffentlich zu zeigen, wird bei Wenders in flimmerndem Schwarzweiß nacherzählt. Ein dazwischen geschnittenes, mit der modernen Farbkamera aufgezeichnetes Interview mit Max Skladanowskys einundneunzigjähriger Tochter bestätigt Authentizität.

Während die alte Damen in ihrer Stube aber noch in Erinnerungen und Fotos kramt, kriecht da schon wieder das kleine Mädchen unter dem Tisch hervor in die Szene. Der Film schlägt ins historische flimmernde Schwarzweiß zurück.

Wir sehen die Brüder nach dem Erfolg im Wintergarten nach Paris fahren, um ihre Erfindung in den Folies-Bergère vorzuführen. Der Termin wurde aber kurzfristig wieder abgesagt. Die Brüder Lumière hatten gleichzeitig ihren 'Kinématographen' entwickelt, und der war technisch einfach besser. Bis zu einminütigen Filmstreifen könnten die französischen Profis auf ihrer Spule stapeln - so schwärmen die beiden Bastler aus Berlin, nicht ohne Neid, bei der Droschkenfahrt vorbei am gerade sechs Jahre alten Eiffelturm.

Wie ihre Promenadenfahrt geht auch die Entwicklung weiter, immer weiter. Für den Übergang zum Farbfilm und zur dritten Bilddimension habe er auch schon ein paar Ideen, munkelt Max Skladanowsky zum Begleiter. Zusammen mit dem Töchterchen läßt Wenders ihn am Schluß seines Films aus der Geschichte steigen und in der Droschke durch das heutige Berlin der Krane und Baustellen fahren. Da entsteht wieder Wenders ureigene Topographie gemäß der Überzeugung, daß Bilder und Gedanken der Leinwand samt den sie befördernden Techniken nie durch abstrakte Medialräume flitzen, sondern zu jeweils realen Orten in Beziehung treten. Die entlegende Skladanowskysche Bastlerwerkstatt in Pankow, durch die einst ein kleines Mädchen den bewegten Bildern hinterher tanzte, wird zur Allegorie eines neuen Berlin, in dem auch die Geschichte nicht alt werden mag."
(Joseph Hanimann in FAZ Feuilleton, 11.7.1996)

Im Basis-Film Verleih Berlin