Wunderbares Wrodow

„Ich glaube, dieser Dokumentarfilm ist überraschenderweise einer meiner schönsten geworden. Ein ungewöhnliches Schloss und ein ungewöhnliches Dorf zwei Stunden nördlich von Berlin, kein Ost-Klischee passt auf das kleine Dorf Wrodow in Mecklenburg-Vorpommern.
Keine Verbitterung, keine Arbeitslosigkeit und keine Rechtsradikalen, statt dessen 64 Menschen voller Lebenslust und menschlicher Wärme. Die Wrodower sind stolz auf ihr Schloss, das vor sechs Jahren der Berliner Jugendrichter Frank Bauer mit seiner Freundin Brigitte Gross und dem Maler Sylvester Antony kaufte. Hier finden Opernbälle, venezianische Maskenbälle, Ausstellungen zeitgenössischer Kunst und Konzerte statt.
Mich haben die Menschen hier interessiert, wie der Gärtner Ambros, ein Original,
Herr Reinhard, ohne dessen Hilfe das Schloss nicht erhalten werden konnte und Frau Müller, die in schwierigen Zeiten zehn Kinder großgezogen hat. Hinter allem die wechselhafte Geschichte, die Menschen prägte: vom Feudalismus über die Nazizeit zum Kommunismus bis zur Wende. Viele im Dorf Wrodow stammen aus Bessarabien, einst von der Kaiserin Katharina ans schwarze Meer geschickt. 1940 verschlug es sie durch den Hitler- Stalin-Pakt nach Wrodow. Sie singen die alten Lieder und erzählen ihren Enkeln von der Heimat. Wunderbares Wrodow! Wanderer wenn Du nach Mecklenburg kommst, schau doch mal vorbei.“ Rosa von Praunheim
WRODOW UND SEINE GESCHICHTE
„Das „Wunderbare Wrodow“ ist ein kleiner Ort, der inmitten einer kraftvollen mecklenburgischen Landschaft, nahe dem Müritz Nationalpark, gelegen ist. Die Geschichte des Ortes geht bis in das Jahr 1271 zurück. Im 18. Jahrhundert wurde das Schloss weitestgehend in seiner heutigen Form gebaut. Seitdem wurde es als Gutsanlage bis in das 20. Jahrhundert betrieben. Wie für viele andere Schlösser in Mecklenburg-Vorpommern, begann 1945 auch für Wrodow Leiden und Verfall.

„Überraschender Ort der Handlung ist nicht eine Großstadt wie New York oder Berlin, sondern ein winziges Dorf bei Neubrandenburg im tiefsten Mecklenburg-Vorpommern. Die Mitwirkenden bewegen sich nicht trendy in einer Szene, sondern sind Dorfbewohner - manche immer schon, manche erst neuerdings. Und da beginnt die Geschichte: drei Berliner, ein Ehepaar und dessen Freund - Maler und Konzeptionskünstler - haben das dem Verfall preisgegebene Schloss Wrodow nach der „Wende“ gekauft und in mittlerweile sechsjähriger Arbeit so hergerichtet, dass in den wieder ansehnlichen Räumen Konzerte und Kunstausstellungen, ja sogar Maskenbälle veranstaltet werden können. Dazu kommen Mitwirkende und Besucher oft von weit her, doch auch die Dorfbewohner finden Gefallen an dem neuen, bunten Leben.
Einige von ihnen kommen in der Dokumentation zu Wort. Der Autor fragt sie behutsam, aber präzise nach ihrem Leben im Dorf, lässt sie von früheren Zeiten erzählen, erkundet ihre Meinung zu den neuen Schlossbesitzern. Er befragt den Gärtner, einen Handwerker, eine Mutter von zehn Kindern, den Bürgermeister, der als Lehrer in der Stadt unterrichtet und dessen lebensgefährlich erkrankte Ehefrau. Er lässt den Pfarrer zu Wort kommen und zeigt die von ihm gegründete Musikgruppe. So entsteht das Portrait eines Gemeinwesens, in dem die Menschen nicht gegen- oder nebeneinander, sondern miteinander leben. Ein Kontrastprogramm zu vielen Jammerberichten aus den „neuen Ländern“, das jedoch nicht dem Klischee der „blühenden Landschaften“ anheim fällt.
Rosa von Praunheims Film zeugt nicht nur von hoher professioneller Kunst, sondern ist bestimmt von sensibler Mitmenschlichkeit. Er zeigt eine herzerfrischend lebendige Gemeinschaft, die nur darauf gewartet zu haben scheint, dass einer wie von Praunheim kommt, der ihren Charme mit seinen Mitteln einfängt. Dafür erhält Rosa von Praunheim einen der beiden Robert-Geisendörfer-Fernsehpreise des Jahres 2000.“
aus der Laudatio anlässlich der Verleihung des Robert-Geisendörfer-Fernsehpreises.
Beispielsweise die Frau des Bürgermeisters erzählt, dass in der kollektivierten Landwirtschaft einstmals über 100 Leute Arbeit hatten. Fünf blieben übrig, sie nicht, ihre Umschulung scheiterte zudem an ihrer Krankheit. „Wann hast du erfahren, dass du Krebs hast?" fragt sie Rosa von Praunheim, so als handle es sich um eine Sache, über die man so einfach sprechen könne, zumal vor der Kamera. Genau das ist seine Absicht. Mit ansteckender Lebensfreude ist er mit seinem Aufnahmeteam durch Wrodow gezogen und hat die Leute zum Lachen und Sprechen gebracht. „Erzählen Sie mal Ihre Liebesgeschichte", fordert er aus dem Off das alte Ehepaar auf, das vor dem Fotoalbum in der Stube sitzt und kurz auflacht, ehe es findet, dass „Liebesgeschichte" eigentlich das richtige Wort für ihr Leben ist, das in Bessarabien begann, in Westpreußen weiterging und sie als „Umsiedler", wie die Vertriebenen in der DDR genannt wurden, ins Wrodower Schloss brachte. Dort bezog auch der Gärtner Ambros Wawrik, der dank der richtigen Ernährung noch alle Zähne hat ( die Kamera beweist es), nach 1945 sein Notquartier. Ein halbes Jahrhundert später rückt er nun „das Nachtgeschirr der Gnädigen" wieder heraus und schenkt es Brigitte, der neuen Schlossherrin, die Religionslehrerin war. Er ist mit ihr, wie die meisten im Dorf, auf du und du. Auch mit dem Schlossherren, der sich im „Wunderbaren Wrodow" von seinem Vollbart trennt, nach zwanzig oder mehr Jahren. Zum Schlossbesitzer wurde Frank Bauer, der Richter in Berlin ist, durch seinen Steuerberater, der ihn auf die heruntergekommene Immobilie hinwies. „Ist das für dich so eine Art Ausgleich?" fragt Rosa von Praunheim. „Das Alter heißt das Schloss für mich", antwortet der bartlose Richter, dessen Gesicht unter einer dicken Schicht weißer Schminke verschwindet, weil er zum Opernball als Bajazzo erscheinen wird. Viele aus dem Dorf kommen im Kostüm, die Älteren eher nicht. (...) Schnitt und Kameraschwenk über die Gartenzwerge von Frau Müller, die als gleichberechtigter Kunstgeschmack dargeboten werden. Mit dem gleichen Augenzwinkern. Leben lassen und sich selber nur so ernst nehmen, wie man jeden anderen Mitmenschen ernst nimmt, so lautet die fröhliche Botschaft aus dem „Wunderbaren Wrodow". Siegfried Stadler FAZ, 15.Mai 2001

Kamera Alexandra Kordes, Rosa von Praunheim, Andreas Timm, Istvan Imreh
Ton Harald Fischer
Schnitt Rosa von Praunheim, Mike Shephard
Regieassistenz Andreas Timm

die Schlossherrn: Sylvester Antony, Frank Bauer, Brigitte Gross
Mit: Edith Müller, Mathilde Reinhard, Herbert Reinhard, Monika Schröder, Klaus Schröder, Rita Timm, Thomas Timm, Ambros Wawrik, Georg Sassnowski, Barbara Schmidt, Hans Dasch und Familie

Redaktion Dagmar Filoda, NDR, 1999


Deutschland, 1999, DVD, Betacam SP, 87 Min.