Die Bettwurst

Luzi und Dietmar lernen sich in der Hafenstadt Kiel kennen und lieben. Sie eine ältere, kleinbürgerliche Sekretärin, er ein junger Hilfsarbeiter aus Berlin.
Beide spielen alle gutbürgerlichen Rituale durch, wie sie sie durch den Einfluss von Erziehung und Medien gelernt haben. Sie gehen zusammen in ein Ausflugslokal zum Tanz und sie zeigt ihm ihren Kleingarten und ihr Fotoalbum.
Nach einer Liebesnacht hilft er ihr beim Staubsaugen. Sie feiern gemeinsam Weihnachten. Plötzlich treffen alte kriminelle Freunde von Dietmar ein und entführen Luzi, um Dietmar zu zwingen, wieder mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Im Stil einer Filmparodie erschießt Dietmar die Täter am Strand und flieht mit Luzi mittels eines kleinen Privatflugzeugs in eine ungewisse Zukunft.
Aus dem „documenta V“-Katalog 1972
„Undergroundfilm oder experimenteller Film zeigt auf der einen Seite, wie arrogant und überbewertet Kunst auftritt, und auf der anderen, wie politisch einfache Filmtechniken in den Händen von vielen sein können. Die „documenta“ dokumentiert, nehme ich an, die Hilflosigkeit von Kunst und Künstlern, die Unverschämtheit einer üblen Garde von Kunsthändlern und eitlen Musensöhnen. Mein Film „Macbeth“ zeigt, wie faschistisch Film sein kann, und bei seiner Uraufführung in New York waren es sinnigerweise eine Stuhlreihe alter jüdischer Damen mit phantastischen Topfhüten, die gegen die Verrohung moderner Kunst wetterten.
Ich möchte mich deutlich als schlechtes Beispiel dokumentiert wissen, allzu schnell von einer dankbaren Kulturindustrie als freischaffende elitäre Tunte isoliert, bald in Wettbewerb und Rivalität zerschlissen und als Alibi für eine unmenschliche Gesellschaft bewundert. Die ungeheure Blödheit von Kunststudenten sieht in mir den Roy Black des „anderen Kinos.“ Ich wünsche ihnen allen und mir einen schrecklichen jungen Tod, um Platz zu machen einer neuen Disziplin im Dienste echter allgemeiner Bedürfnisse.
Die Bettwurst ist ein zärtlicher Ausdruck für eine Nackenrolle, die Luzi ihrem Dietmar zur ersten gemeinsamen Weihnacht schenkte. Sie steht zugleich als Symbol für die Zeit ausschließlicher Liebe in Europa, das sie nun verlassen haben mit dem Bewußtsein, wie schön es sein kann, wenn in der Gemeinschaft von vielen eine neue Zukunft beginnt.
Luzi Kryn und Dietmar Kracht zählen zu jenen großen Volksschauspielern, wie man sie schon lange tot glaubte. Mit ihnen hat der Zuschauer die Möglichkeit, sich selbst wiederzuentdecken und zu erfahren, wie lustig unsere eigene Dummheit ist. v. Praunheim

Pressestimmen:
„Auch das nichtkommerzielle Kino hat seine Meister, ihr größter in Deutschland: Rosa von Praunheim. Sein im ZDF uraufgeführter Film „Die Bettwurst“ bestätigte erneut, was seine schon auf vielen Festivals gezeigten Werke „Rosa Arbeiter auf goldener Straße“ und „Schwestern der Revolution“ kennzeichnen: Eine in Deutschland überaus seltene Mischung von künstlerischem Ideenreichtum, sozialkritischem Bewußtsein - und Humor.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Und dieser Film - balancierend zwischen Groteske, komischer Nummer und anrührendem Schicksal - hat eine merkwürdige Bannkraft: Die filmungewöhnlichen Protagonisten, die Antihelden mit ihren treffend wiedergegebenen Klein-Leute-Dialogen nehmen sich in der Tat fesselnd aus - von ähnlich filmungewöhnlicher Neuheit wie authentische Volkstypen in amerikanischen Underground-Filmen.“ Film-Beobachter

„So grotesk und unterhaltsam von Praunheims Trivialhandlung erscheint, - die „Bettwurst“ hat dennoch die Qualitäten eines seriösen, wohldurchdachten Soziogramms. Denn dieser ohne Drehbuch in 10 Tagen aufgenommene Film will vor allem als dokumentarisches Zustandsbild der beiden Hauptdarsteller verstanden sein. ...“
Der Spiegel


Buch, Regie, Kamera und Produktion: Rosa von Praunheim
Kameraassistenz: Peter Hartwell, Christa Stock
Schnitt: Rosa von Praunheim, Gisela Bienert, Bernd Upnmoor
Darsteller: Luzi Kryn, Dietmar Kracht, Steven Adamschewski

Gedreht in Kiel, Sommer 1970

Deutschland 1970, 78 Minuten, DVD, Betacam SP