Kurzinhalt
Der 15jährige Paule führt ein wildes Leben auf Berlins Straßen. Mit dem erst 12jährigen Arnel, der von seiner Rückkehr in die bosnische Heimat träumt, stiehlt er in Kaufhäusern und teuren Einkaufsmeilen. Alles ändert sich, als Paule Julia beraubt und sich in sie verliebt. Er stellt ihr nach, bringt der 18jährigen die geklauten Sachen wieder und gibt vor, älter zu sein. Bald ist das wohlbehütete Mädchen ebenso stark angezogen von dem rotzigen Charme des Jungen und seiner aufregenden Welt. Als aber Arnel von seinem Cousin gefoltert und schwer verletzt wird, erkennt sie, wie fremd und gefährlich diese Welt ist. Auch Paule gerät immer tiefer in den Konflikt zwischen seinem alten Leben und dem, was er sich mit Julia erträumt. Er kämpft dagegen an, aber am Ende wird dieser Konflikt in die Katastrophe führen.

"Das Authentische blieb wichtig, egal, ob beim Schreiben, beim Casting der Jugendlichen oder beim Drehen. Gleichzeitig sollte es immer eine Geschichte bleiben - ein Spiel. Das hat freier gemacht und manchmal ermöglicht, von einem harten Stück Leben mit Leichtigkeit zu erzählen."
Torsten Löhn


DARSTELLER/INNEN
Paule - Marlon Kittel
Julia - Oona Devi Liebich
Arnel - Arnel Taci
Hanne, Paules Mutter - Karina Fallenstein
Dr. Behringer, Julias Vater - Oliver Stern
Walter - Martin Semmelrogge
Ilyia - Ilyia Stojkov
Einauge - Melis Fikic
Dr. Manstein - Joachim Tomaschewsky
9-Jähriger - Nadim Taha
Bulle - Detlef Kapplusch
Verkäufer - Rainer Reiners
Verkäuferin - Monika Disse
Kundin - Anna Katharina Muck
Bulliger Mann - Thomas Burow
Sous Chef - Kurt Naumann
Rainer - Rainer Frank
Trainer - Jan Kretschmar
Hagerer Detektiv - Dirk R. Heidinger
u.v.a.

STABLISTE
Regie - Torsten Löhn
Buch - Torsten Löhn und Christoph Roos
Kamera - Frank Amann
Szenenbild - Michael Ferwagner
Kostüm - Peter Pohl
Maske - Melanie Iwanowsky
Schnitt - Nicola Undritz
Musik - Lars Löhn
Ton - Stefan Soltau
Mischung - Martin Steyer
1.Regie-Assistenz - Bettina Schoeller
Kamera-Assistenz - Markus Otto
Ton-Assistenz - Hendrik Lühdorff
Innenrequisite - Gerhard Schwarzer
Außenrequisite - Betty Geiger
Garderobe - Natalia Riede
Springdouble - Ditte Kotzian
Schnitt-Assistenz - Thorben Zoeger
1.Aufnahmeleitung - Dirk Heinrich
Set-Aufnahmeleitung - Solveig Jork
Produktionsleitung - Heidi Schuller
Producer - Nanni Erben
Ausführender Produzent - Prof. Wolfgang Hantke
Redaktion BR - Claudia Simionescu
Redaktion mdr - Wolfgang Voigt
Produktion Ziegler Film GmbH & Co. KG © 2002
Co-Produktion BR, MDR, DFFB Berlin

Produktion und Verleih gefördert
von der Filmboard Berlin-Brandenburg.


D 2002
83 Min., 35mm, Farbe, 1:1,85, Dolby SR

www.pauleundjulia.de


Biographie: Torsten Löhn
Torsten Löhn wurde 1964 in Berlin geboren. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Japanologie und Filmwissenschaften Aufbaustudium für Denkmalpflege in Dresden. Arbeitete als Restaurator und Bauleiter. Danach Aufnahme eines Regiestudiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin mit Schwerpunkt Drehbuch. 1994-1999 Arbeit als Aufnahmeleiter, Tonmann und Dozent für Filmton. „Paule und Julia“ ist sein erster langer Spielfilm



Synopsis
Der knapp 16jährige PAULE führt ein aufregendes Leben rund um die Berliner Friedrichstraße und den Alexanderplatz, wo er mit seinem Freund, dem 12jährigen Bosnier ARNEL, in Kaufhäusern stiehlt und Passanten beraubt. Für ihn allemal besser, als zuhause die neuen Männer seiner Mutter HANNE zu zählen. Arnel hat die Hoffnung, dem Regime seines brutalen Cousins ILYIA zu entkommen und irgendwann, wenn er genug Geld zusammen hat, in sein altes Dorf zurückzukehren, um da wie sein Grossvater eine Kneipe zu eröffnen. Als Arnel von Ilyias Vater eine wertvolle Ikone klaut, scheint dieser Traum Wirklichkeit zu werden. WALTER, ein früherer Freund von Hanne, den Paule sehr bewundert, soll als Hehler einen Verkauf vermitteln.
Alles ändert sich, als Paule der 18jährigen JULIA die Handtasche raubt. Fortan ist er so fasziniert von dem attraktiven Mädchen, dass er alles daran setzt, ihr näher zu kommen. Ohne dass es Arnel bemerken darf, beobachtet er Julia bei ihrem Sport – Kunstspringen -, dringt sogar in ihr Haus ein, um ihr die Tasche wiederzubringen und macht ihr unbeholfene Geschenke.
Auch Julia beginnt sich für Paules schnelles und direktes Leben zu interessieren: Sie begeht den ersten Diebstahl ihres Lebens und fängt an, die ungekannten Freiheiten in der fremden Welt zu genießen. Sie sieht in Paule auch eine Möglichkeit, ihren gefühlsarmen Vater auf sich aufmerksam zu machen. Doch als Ilyia mit seinen Leuten Arnel wegen des Bildes foltern und schwer verletzen, wird Julia schlagartig bewusst, wie gefährlich und brutal diese Welt ist. Nur Paules Eingreifen rettet Arnels Leben. Auch Julia reagiert mutig: Sie bringt den Schwerverletzten in ihrem Haus unter, während der Vater auf Geschäftsreise ist. Bei der Pflege des fiebernden Arnel wächst die Vertrautheit zwischen den beiden. Als jedoch Julia mehrfach darauf drängt, die Polizei einzuschalten, was Paule aus Furcht vor der Rache von Arnels Verwandten ablehnt, kommt es zum Streit. Und weil Paule weiter zu Arnel hält, obwohl dieser Julia bestohlen hat, wirft sie die beiden in einer Kurzschlussreaktion aus dem Haus. Paule nimmt es seinem verletzten Freund übel, sie auseinander gebracht zu haben; trotzdem geht er für ihn zu Walter, um die Ikone loszuwerden. Dabei stöbert ihn Ilyias Gang auf. Um sein Leben und das seines Freundes zu retten, sieht Paule selbst keinen anderen Ausweg, als die Polizei einzuschalten, die Arnel im Heim unterbringt. An Paules sechzehntem Geburtstag kommt es zur Versöhnung zwischen Julia und Paule. Hanne schenkt den beiden ein Essen in dem noblen Hotelrestaurant, in dem sie in der Küche arbeitet. Walter und Hanne kommen sich wieder näher. Julia nimmt Paule das Versprechen ab, das Bild zur Polizei zu bringen, um sein Leben zu schützen. Die beiden fahren zu Julias Trainingshalle, wo sie nächtens im Sprungbecken zusammen schwimmen.
Ihr Glücklichsein ist nur von kurzer Dauer: Julia wird von ihrem Vater empfangen, der Spuren vom Aufenthalt der beiden Jungen entdeckt und herausgefunden hat, dass Julia tagelang nicht in der Schule war. Während Paule sich sorgfältig auf das Rendezvous im Restaurant vorbereitet, hat der aufgebrachte und hilflose Vater die aufmüpfige Julia in ihrem Zimmer eingesperrt.
Paule wartet lange vergeblich im Restaurant auf sie, dann macht er sich noch einmal nach Zehlendorf auf: Er „befreit“ Julia in einer verrückt-poetischen Aktion, die beiden verbringen eine Nacht zusammen in der alten Fabrik, wo sich Paule einen Rückzugsort eingerichtet hat. Paule will mit ihr schlafen, aber die beiden können an dem unheimlichen Ort keine Nähe finden. Paule ist tief verletzt. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse: Arnel, der aus dem Heim geflohen ist, weil die Gang ihn dort ausfindig gemacht hat, taucht in der Fabrik auf und sucht verzweifelt nach der Ikone. Ilyia und seine Leute sind ihm direkt auf den Fersen. Wieder einmal ist Paule hin- und hergerissen zwischen seinem Freund und dem Mädchen, das er liebt. Ehe er sich entscheiden kann, ist Arnel voller Panik in der Dunkelheit verschwunden. Paule läuft ihm hinterher, er lässt die verängstigte Julia allein zurück. Aber Paule kann seinem Freund nicht helfen. Die Gang hetzt Arnel auf dem verlassenen Fabrikgelände, er wird mit dem Messer schwer verletzt. Die bald eintreffenden Notärzte können Arnels Leben nicht mehr retten. Paule muss verzweifelt zusehen, wie Julia von ihrem Vater abgeholt wird, zuviel ist für sie in dieser Nacht passiert. Als der neue Tag beginnt, ist Paule allein.


Interview

Wie authentisch ist die Geschichte, die Sie erzählen? Welche unterschiedlichen Recherchen sind in das Drehbuch mit eingeflossen?
Mich interessiert, Momente der Wirklichkeit glaubhaft in einer Geschichte zu montieren. Der eigentliche Impuls, Paule und Julia zu machen, kam aus der zufälligen Begegnung mit einer realen Person - einem kriminellen, aber nicht strafmündigen Jungen aus dem Osten Berlins. Mich hat der wegen seines Gesichtes interessiert - ein Gesicht, in das sich trotz seiner Jugend (er war knapp 13 damals) bereits tief die Spuren des Lebens eingegraben hatten. Ich habe versucht, Schritt für Schritt sein Vertrauen zu gewinnen. Ich habe seine Mutter kennen gelernt, seine „Kumpels“, seinen Heimleiter und andere. Die Gespräche mit ihnen, das war mein „Material“ und eine ganz neue Welt für mich - die Geschichten sind teils unglaublich gewesen. Viele Figurenelemente und viele Details sind in Paule und Julia eingeflossen. Außerdem gab es 1999, als das erste Exposé entstand, gerade viele Zeitungsberichte über rumänische Kinderbanden (ich habe alles gesammelt, was mit Jugendkriminalität zu tun hatte) und das hat mich sehr berührt. Da geht es um Kinder, die wirklich aufs übelste behandelt werden. Die wurden gekauft oder gekidnappt, in Polen zu Taschendieben ausgebildet und hier eingeschleust und versklavt unter den fürchterlichsten Bedingungen. Ich habe auch einen hochrangigen Polizisten kennen gelernt, der mir sehr bereitwillig Auskunft gegeben hat über die Zusammenhänge, auch von den Strafen, die den Kindern durch die Gangs drohen, wenn sie sich mit der Polizei einlassen. So suchte ich und sammelte für meine Geschichte. Auch leichtere Sachen - so hatten einmal in Berlin zwei Kids auf einer Baustelle einen 100.00-Mark-Schaden angerichtet - was in der „Baggerszene“ im Film Verwendung findet.
Also noch mal: immer wieder nach authentischen Elementen suchen, die die Fiktion beleben, bereichern und glaubhaft machen, so habe ich gearbeitet.

Wie haben Sie die jugendlichen Darsteller für diesen Film gefunden?
Die Besetzung des Paule stellte die zentrale Herausforderung dar. Es geht ja um Gesichter und dass diese häufig etwas erzählen, was man mit dem „Spiel“ nicht erzählen kann. Ich hatte auch oft daran gedacht, das ursprüngliche Vorbild für die Figur des Paule zu besetzen, aber das wäre bei den Drehbedingungen und überhaupt ein sehr großes Risiko gewesen - und dann war er auch plötzlich verschwunden, nicht mehr aufzufinden. So suchte ich während eines viermonatigen Castings an über 80 Berliner Real- und Gesamtschulen nach dieser Figur, wobei ich über 8.000 Schüler, meist aus dem Ostteil Berlins sah. Ein geeigneter Paule war leider trotzdem nicht darunter, aber ich fand mit dem damals 13jährigen Arnel Taci die Idealbesetzung für die Figur des Arnel - und gleichzeitig die komplette Besetzung für die Gang. Oona Devi Liebich hatte ich in CRAZY gesehen und es gab damals wohl kaum eine bessere Besetzung für die Julia. Der 18jährige Marlon Kittel wurde schließlich meine Besetzung für den Paule. Er hatte vorher in FELSEN von Dominik Graf und in ANNA WUNDER von Ulla Wagner mitgespielt.

Fließt diese Suche nach dem Authentischen auch in die Darstellerarbeit?
Marlon hat für mich in der äußeren Erscheinung sehr viel von der Figur des Paule. Er musste etwas Viriles haben, glaubhaft vorgeben können, älter zu sein und dann soll der Zuschauer denken, „Ach, der wird gerade erst 16?!“. Ich habe versucht, ihn in der Vorbereitung mit Berliner Straßenjungs zusammenzubringen, richtig „harten Burschen“. Nicht wegen des Dialekts, sondern wegen der Art, wie sie sich bewegen. Ich habe ihn viel beobachten lassen, auf dem Berliner Alexanderplatz, und ihn ermuntert, Details auszuprobieren, wie laufen die Jungs zum Beispiel, wie halten die eine Zigarette, in welchem Rhythmus spucken die beim Reden auf den Boden. Es war auch wichtig, Marlon mit Arnel zusammenzubringen, damit die beiden glaubhaft Kumpels spielen konnten. Ich habe sie zum Beispiel in ihrem Filmkostüm über die Friedrichstraße auf und ab laufen lassen, um potentielle Raubopfer zu verfolgen - um dieses Diebes-Gefühl zu entwickeln. Gleichzeitig habe ich sie verfolgt und wenn ich sie erwischen konnte, hatten sie verloren. So waren beide stets auf der Hut, wie ich es von Dieben erwarten würde. Einmal sind sie von mehreren Zivilpolizisten während einer Probe gestellt worden, als sie vermeintliches Diebesgut in einen Müllcontainer schmissen. Da wusste ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Oona hat jeden freien Tag dazu genutzt, in der Landsberger Allee Kunstspringen zu trainieren, hat sich mit den Leistungssportlerinnen da angefreundet und so bestimmte Details - wie bewegen die sich, warum haben die Bandagen um die Handgelenke, welche Dehnungsübungen machen die - kennen gelernt. Wir sind überall auf große Bereitwilligkeit gestoßen, von der „eigenen Welt“ etwas abzugeben, beim Kaufhausdetektiv, bei den Turmspringerinnen ebenso wie bei den Verkäufern im Kaufhaus oder auch bei unseren teils „schweren Jungs“, die die Gangmitglieder mimen. Jede Frau, die auf dem Weg zur Arbeit ist und zulässt, dass wir sie bei unseren quasi-dokumentarischen Aufnahmen filmen dürfen, bringt etwas Wichtiges in den Film ein, ein Quäntchen Wirklichkeit, das die Geschichte bereichert und glaubwürdiger macht. Daß ist viel mehr als ein Komparse leisten kann, der seit acht Stunden auf seinen Auftritt wartet und weiß, dass er etwas spielen muss.

Der Film zeigt zwei unterschiedliche Perspektiven auf das Leben. Die von Julia, die aus wohlhabendem Hause stammt, und die von Paule, der aus einfachen Verhältnissen kommt. Was verbindet die beiden?
Zunächst suchen beide danach, - obwohl von sehr unterschiedlichem sozialen Status - wahrgenommen zu werden. Jeweils ein Elternteil ist nur noch da, und sowohl Paules Mutter als auch Julias Vater sind überfordert, wobei wir das bei Julia viel stärker betont haben als bei Paule. Anders als Julia nimmt Paule seine Situation auch anfangs gar nicht wahr - er glaubt von sich, glücklich zu sein, braucht aber den permanenten Thrill, um nicht auf sich selbst zurückgeworfen zu werden. Die reiche Einkaufsstrasse wird zur Schnittmenge der beiden Welten - Jagdgebiet für alle drei - für Julia als Konsum-Ort bedeutet es Ersatz für Zuwendung, für Paule Abenteuerspielplatz, für Arnel Überlebensort.
Es ist nicht das Ähnliche, was die beiden verbindet, sondern das Fremde, ja, paradoxerweise das, was sie auch schließlich trennt: Julia ist eine Art Stellvertreterfigur für mich und den „normalen“ Zuschauer, für eine bürgerliche Welt, die sich für den jungen Wilden begeistert - eine Art Huckleberry Finn der Einkaufstrassen. Paule fragt sich nicht, ob das oder jenes gefährlich oder moralisch verwerflich sei - er macht es einfach, lebt schnell und direkt, ist scheinbar frei. Paule ist nicht von Julias Reichtum angezogen, wohl aber ganz instinktiv von ihrer Schönheit und vor allem von ihrem Mut, der spürbar stärker ist als seiner - denn sie ist sich ständig ihrer selbst bewusst, muss ständig gegen etwas ankämpfen, ob dass die Höhe des Sprungturms ist oder ihre soziale Prägung. Bis die Kehrseite von Paules Unmittelbarkeit zu Folter und Tod von Arnel führen. Auch die gutgemeinten Ratschläge Julias bringen Verderben. Dass sie in ihrer Welt nichts gegen die Polizei einzuwenden hat, ist nachvollziehbar. In Paules Welt kann es tödliche Konsequenzen haben, sich auf die Polizei zu verlassen. Und es wäre auch ein ganz normaler Liebesversuch zwischen zwei Welten, wenn hier nicht das Leben Arnels ausgelöscht würde - also ein existentieller Preis bezahlt werden müsste für diesen Versuch.
Besteht nicht bei der Darstellung der Ausländer-Gang, die ja den bosnischen Jungen auf brutalste Weise misshandelt, die Gefahr, Vorurteile gegenüber Ausländern zu bestärken?
Ilyia ist ja ein Verwandter von Arnel, sein Cousin und wie er, Bosnier. Darin liegt für mich auch die Antwort auf diese Frage - Arnel, eine Figur, der wir mit großer Zuneigung folgen, ist ebenfalls Bosnier. Es ging mir also keinesfalls darum, zu zeigen, Bosnier oder Ausländer sind generell so oder so, allesamt schlimme Finger. Für mich ist die Nationalität auch austauschbar, ursprünglich ging es ja um Rumänen. Wichtig aber war, dass es um Fremde ging, Fremde, die in einer ihnen feindlichen Umgebung leben müssen, die noch weiter am Rand der Gesellschaft stehen, noch existentieller bedroht sind als Paule.

Warum gibt es kein Happy End?
Ich glaube, das Happy End gibt es deshalb nicht, weil ich eben so einen Jungen kennen gelernt und den Unterschied zu einer bürgerlichen Welt sehr deutlich gespürt habe. Mit dem Jungen im Hinterkopf hätte ich es als verlogen empfunden, wenn Paule und Julia zusammengefunden hätten und gemeinsam gegen den Sonnenuntergang laufen. Das verweigerte Happy-End gibt dem Film auch ein quasi-politsches Element, gerade weil man es sich so wünscht, dass die beiden zusammen kommen: es gibt eben keine Gleichheit - und durch unsere Gesellschaft gehen tiefe Gräben. Die Gefahr für die Liebe kommt nicht, wie bei Romeo und Julia, von außen, sondern aus den Köpfen der Helden, vor allem aus dem Julias. Man kann es aus ihrer Perspektive sogar verstehen, dass sie dieser Liebe keine Zukunft gibt.

Welche Rolle spielt die Musik in ihrem Film?
Ich finde Musik im Film ungeheuer wichtig und auch ungeheuer schwierig - man muss den Weg finden zwischen emotionaler Führung (wo sie unstreitig die zentrale Rolle hat) und unausgesetzter musikalischer Nötigung, wie sie jetzt wieder von fast jedem amerikanischen Film gemacht wird. Wir haben schon im Drehbuch Musik notiert, wenn sie szenische Funktion hatte, wie „Geh zu ihr“ von den Puhdys in der Party-Szene, oder ich hatte immer ein Stück gehört, als ich eine bestimmte Szene schrieb, weil es zur jeweiligen Atmosphäre passte. Mein Bruder, Lars Löhn, hat die Musik für PAULE UND JULIA komponiert. Ich finde, Lars hat es geschafft, eine sehr besondere Musik zu schreiben, die einen im wahrsten Sinne aufhorchen lässt, gleichzeitig dient sie dem Film zurückhaltend bei der emotionalen Führung. Weil es ein Film ist, der vor allem junge Leute ansprechen soll, haben wir schon früh an einer „Song-Ebene“ gearbeitet. Wir wollten mit möglichst jungen Berliner Bands zusammenarbeiten: Kerosin kannte mein Bruder persönlich, zu den Rockabilly-Bands haben wir während der Drehvorbereitungen Kontakt aufgenommen. Ich denke, dass neben der eigentlichen Filmmusik Songs eine große Kraft entwickeln können, sie haben manchmal emotional eine noch größere Wirkung als der Score. Selbst wenn man die Texte nicht richtig versteht, kommt eine Art instinktives Verständnis zur Geltung, das noch etwas mehr in den Film hineinbringt, teilweise auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Wir haben uns wirklich viele Gedanken gemacht, deshalb freut es mich besonders, dass die Filmmusik den ersten Preis bei der Filmmusik-Biennale in Bonn erhalten hat.

Wie war ihre Zusammenarbeit mit dem Kameramann?
Ich hatte das Glück, mit Frank (Amann) vorher schon einmal zusammen gearbeitet zu haben, bei meinem Kurzdokumentarfilm „Ki in Kreuzberg“ - wir kannten uns also gut. Ich bin froh, dass ich mich für ihn, also für jemandem aus meiner Generation entschieden habe, vor allem, weil wir uns gegenseitig anstacheln konnten, mutiger zu sein, neue Lösungen zu suchen. Wir hatten schon früh die Kamera von Ron Fortunato in Gary Oldmans „Nil by Mouth“ für uns entdeckt - Rauhheit im Bild, ästhetische Härten, aber absolut an den Menschen und ihren (innerlichen wie äußerlichen) Bewegungen orientiert. Eine Kamera mit langer Brennweite, die sich oft mit behutsamen, kaum merklichen Zooms an der Bewegung der Protagonisten orientiert, schien uns ideal zu sein für das Sujet, ging es doch in PAULE UND JULIA um Diebe, ihre Blicke und Bewegungen. Die Bewegung im Bild bekommt auch etwas Nervöses, Fiebriges. Die lange Brennweite mit den teils rasanten Anschwenks unterstützte das authentische „Es-geschieht-in-diesem-Augenblick“-Gefühl, und konzentrierte den Blick auf unsere Protagonisten. Eine Art Topographie unserer Figuren hatten wir auch entwickelt: Paule sollte ja aus dem Osten kommen und Julia aus dem Westen von Berlin; das hat die Bewegung im Bild - links/rechts oder rechts/links - immer mit beeinflusst. Neben den langbrennweitigen Einstellungen arbeitete Frank mit einer instinktiv geführten Handkamera, die die jeweilige emotionale Situation optimal umsetzte. Den Figuren zu folgen, gleichzeitig durch das Einfangen von realen Neben-Situationen der Fiktion eine authentische Atmosphäre zu geben (Frank nannte das „Vererden“), das war unser Gedanke. Wir schreckten auch nicht vor großem Korn, Dunkelheit mit satten Schwärzen, Überstrahlungen und Falschfarbigkeit zurück, immer im Bewusstsein, eher fürs Kino als fürs Fernsehen zu drehen. Zentral sollte dabei der Unterschied zwischen hell und dunkel herausgearbeitet werden; wobei wir das Helle Paules Welt zuordneten - es sollte als gefährliches, unwirtliches Jagdgebiet erscheinen.

Preise:
Preisträger beim Studio-Hamburg-Nachwuchspreis 2002
Begründung: „PAULE UND JULIA stimmt in seiner Geschichte zunächst auf einen gut beobachteten Jugendfilm ein, um sich dann aber zu einem ergreifenden Drama um Liebe, Sehnsucht und Verrat zu entwickeln. Er verlangt dem Zuschauer schließlich atemlose Anteilnahme ab, wenn es für den kleinen Arnel um Leben und Tod geht. Hervorzuheben ist die außergewöhnliche Leistung der drei jungen Schauspieler Marlon Kittel, Oona Devi Liebich und Arnel Taci, die mit ihrem Spiel mitten ins Herz treffen.“

„Beste Filmmusik“, 4. Internationale Musik-Biennale Bonn 2002
Begründung: „Die im Grenzbereich von Musik und Sounddesign angesiedelte Komposition von Lars Löhn fügt sich auf subtile und höchst wirkungsvolle Weise in die Dramaturgie des Films ein. Die kompositorischen und tongestalterischen Mittel sind adäquat zur filmerzählerischen Ebene von „Paule und Julia“ eingesetzt und arrangiert. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Fähigkeit des Komponisten, die verschiedensten akustischen Ebenen des Films so an seine Komposition anzunähern, dass diese mit der Bildebene zu einer untrennbaren Einheit verschmilzt.“

„Beste Kamera“ - Brooklyn International Film Festival 2003