Banale Tage
Ein Film von Peter Welz
Stab:
Regie: Peter Welz
Buch: Michael Sollorz nach seiner gleichnamigen Erzählung
Kamera: Michael Schaufer
Musik: Bert Wrede
Produktion:Künstlerische Gruppe Da Da eR
Darsteller:
Florian Lukas
Christian Kuchenbuch
Kurt Naumann
Jörg Panknin
Simone Walter
DEFA-Studio Babelsberg GmbH 1990, Farbe, Lichtton, 35 mm, 90 min.
Thomas:"Paar Socken,paar Lügen und Mißverständnisse -und zum
Schluß die Kiste.Konzentrische Kreise,der Zug rollt..."
Michael:"Dann würde ja keiner mehr mitspielen!"
Thomas:"Wetten,daß?!"
Inhalt
Die Protagonisten des Films sind Thomas, der Werkzeugmacherlehrling, und Michael, der Schüler. Der Film erzählt von den absurd-grotesken Erlebnissen dieser beiden ziemlich konträren Freunde, die allerdings eines gemeinsam haben: Sie wollen raus aus dem Mief von Eltern, Lehrern, Schule! Handlungsort: Ost-Berlin, Ende der tristen 70er. Ihre Suche nach dem "aufrechten Gang"bleibt vergebliche Gebärde. Sie ist leer, wie die Wohnung, die Thomas aufbricht, und die Zeitung, die er als Matratze unter sich legt, oder die erste Liebesnacht, die Michael erfährt. Thomas`Schrei verhallt ungehört in der Stille und seine Flugblätter interessieren nur die Stasi, die ihn mitnimmt. Michael, zurück vom Meer und seinem zitatenkundigen Dramaturgenvater, dessen Stück den Leuten die Augen öffnen sollte, sucht Thomas...
Aufruhr endet in Banalität...
Banal ist, wenn du Michael heißt, sechzehn bist und alle dir sagen: Du hast das Leben noch vor dir, wenn dein Vater den Umsturz auf die Bühne bringt und vom Minister gelobt wird dafür.geht er drüber drauf, wenn die Stasi deinen einzigen Freund holt, und du weißt von nichts, wenn ein Mädchen sagt:ich liebe dich, wenn Freiheit Einsicht in die Notwendigkeit ist, daß deine Träume dich fast zerreißen. Hab ein wenig Geduld, dann hören sie auf und es tut nicht mehr weh. Banal -eigentl. dem Bann, der Gerichtsbarkeit unterworfen, jedem zugänglich, um 1800 von französisch 'banal' =abgedroschen, alltäglich (Wörterbuch der deutschen Sprache, Leipzig 1975) "Die größte Banalität unseres Jahrhunderts besteht darin, gewisse Dinge, die geschichtsnotwendig sind, zu banalisieren und dadurch zu verhindern, daß sie verwirklicht werden."
J.R.Becher "Das poetische Prinzip"
"Die Interpretationen, die sich aus dem Psychogramm des ´real existierenden Sozialismus ´im Zusammenhang mit den Ereignissen der 'Wende'anbieten, gipfeln in einer schwerwiegenden Aussage: Es hat keine Revolution stattgefunden! Es gibt zwar gravierende politische, ökonomische und soziale Veränderungen, aber die psychischen Strukturen der Menschen sind bisher unangetastet, so daß gesellschaftliche Veränderungen weder aus den Menschen heraus gereift wären, noch in ihnen wurzeln könnten." aus: "Gefühlsstau" von Hans Jochen Maaz, Argon Verlag GmbH, Berlin 1990.
"Banale Tage"will der Regisseur nicht als verbitternd-abrechnenden oder etwa sentimental-nostalgischen Film verstanden wissen; vielmehr interessiert ihn dabei das immer wieder aktuelle Thema der sich gegen Zwänge und gesellschaftliche Konventionen wehrenden Jugend, das er auf tragikomische Weise beleuchtet.
Mit Peter Welz sprach Joachim Stargard:
"...Dennoch, ich habe den Eindruck, du willst jetzt in stärkerem Maße eine Geschichte erzählen."
"Da frage ich mit Godard: Was ist eine Geschichte?"
"Ich meine, eine Geschichte stärker unter psychologisch nachvollziehbarem Aspekt zu erzählen."
"Ist eine Geschichte nicht ziemlich uninteressant und langweilig, wenn der Zuschauer immer schon ahnt, was im nächsten Augenblick eintreten wird, welches Wort fallen wird? Und wenn ein Verhalten sich zwangsläufig aus dem vorhergehenden ergibt?
Ein wichtiges Element für mich sind Überraschungen, auch komische .Das Unerwartete im Verhalten des einzelnen oder einer Gruppe von einzelnen. Das muß kein Widerspruch zur letztendlichen Glaubwürdigkeit einer Figur sein. Psychologie muß mit einfließen, aber nicht vordergründig das Geschehen bestimmen. So kann man viel subtiler mit psychologischen Vorgängen arbeiten."...
"Wie stark ist der Gedanke an Stilisierung in deinem neuen Film?"
"Ich hab ´gern, wenn eine Ebene umkippt in die andere, der Realismus in die Stilisierung oder umgekehrt. Ich bin beispielsweise daran interessiert, wenn in Alltagssituationen aus unerfindlichen Gründen etwas passiert, das zwar dort passieren könnte, aber unwahrscheinlich ist. Das Absurde kommt dann aus einer "normalen" Situation: die Realität wird plötzlich fremd. So, wie es einem manchmal im Leben geht, wenn man bei einer unwahrscheinlichen Überraschung denkt: Wenn du das im Film machst, würden alle sagen, so ist das aber im Leben nicht! In meinem neuen Film Banale Tage interessiert mich auch das Aufeinandertreffen der Banalität und der Exzentrik des Alltags, so, wie ich ihn aus eigenem Erleben kenne."
Aus: "Film und Fernsehen" 10/90
Bio/Filmographie Peter Welz
Geboren 1963 in Berlin-Mitte. Mit 12 Jahren von Heiner Carow für die Hauptrolle in dessen Spielfilm "Ikarus" (1975)ausgewählt. Es folgten weitere große Aufgaben als jugendlicher Darsteller in "Ich zwing dich zu leben"(1977/Regie:Ralf Kirsten), "Abseits" (1981/Fernsehfilm/Regie:Bodo Fürneisen) und "Robert in Berlin" (1982/Fernsehfilm/Regie:Bodo Fürneisen). Nach dem Abitur arbeitete Peter Welz zunächst in den Elektro-Apparate-Werken (Treptow), war dann Volontär im DEFA-Spielfilmstudio und studierte schließlich an der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg Film-und Fernsehregie. Während des Studiums drehte er u.a. die 16-mm-Kurzfilme "Spiele" (1985), "Eine Sonntagsidylle "(1986) und "Ohne Atem" (1987) sowie die mittellangen 35-mm-Spielfilme "Willkommen in der Kantine" (Hauptprüfungsfilm 1988 nach einen Szenarium von Frank Castorf) und "Unsere Familie" (Diplomfilm 1989). Nach Studienabschluß war Peter Welz zunächst Regieassistent bei seinem Hochschulmentor Jörg Foth, konnte aber schon im ersten Jahr als Mitglied der DEFA-Nachwuchsgruppe (Gruppe "Da Da eR" ) aufgrund ihrer Entscheidung seinen ersten Spielfilm drehen: "Banale Tage", einen in den 70er Jahren angesiedelten Stoff des jungen Autors Michael Sollorz.
Pressestimmen:
Michael Sollorz Jahrgang 62.Dachdecker, Zootierpfleger, Zirkusarbeiter, Verwaltungsangestellter der Staatlichen Museen zu Berlin; seit 1985 als freier Autor in Berlin. Schrieb Hörspiele, Erzählungen, Features und Kritiken.1989 Spielfilmszenarium "Banale Tage" , 1990 "Spielfilmszenarium "Das Lächeln des Priesters". Erste Kritiken zum 12.Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken "...Kino-Erstling von Peter Welz 'Banale Tage'...zeigt, manchmal absurd-grotesk, den Ausbruchversuch zweier Jungen aus den verkrusteten Strukturen der DDR Gesellschaft Ende der siebziger Jahre. Den Preis der evangelischen Interfilmjury kann der Regisseur als Ermutigung zum Weitermachen auffassen: steht er doch mit seinen Babelsberger Kollegen nach dem Fortfall ideologischer Zensur vor den gleichen marktwirtschaftlichen Barrieren wie der Filmnachwuchs in den alten Bundesländern..."
Heinz Kersten,"Der Tagesspiegel",3.2.91
"Die beiden anderen Wettbewerbsfilme aus der ehemaligen DDR, 'Banale Tage'von Peter Welz und 'Der Strass'von Andreas Hoentsch, sind deutliche Kinder des Übergangs, emanzipieren sich vom Gestus des alten DEFA-Films, sind schrill und geschmacklos, verwenden westliche Pop-und Video-Clip-Elemente und machen so den Ablösungsprozeß vom Alten deutlich. 'Banale Tage'spielt zwar in den siebziger Jahren, paßt aber besser in die neunziger Jahre und erweist sich als subversive Collage der feststrukturierten DDR-Gesellschaft von damals. Welz hat zwei vorzügliche Filme an der Filmhochschule gedreht. Die Kunstfertigkeit, mit der er leichte Trauer über vergangene Ideale und Ironie mischt, macht ihn zu einer Hoffnung für den deutschen Film."
Neue Züricher Zeitung,1.2.91
Die Filme des Wochenendes beim Ophüls-Preis "...´Die führen uns vor, wie verkommen die Welt ist ´ .Und der Witz ´Die Welt ist immer woanders´ ,heißt es in "Banale Tage" von Peter Welz. Die DDR Ende der 70er Jahre. Michael (16) geht zur Schule, Thomas (18) in die Lehre. Beide haben vom System die Schnauze voll. Ihre Ausbruchsversuche, ihre Proteste, ihren Lebensdurst zeigen Welz und Michael Sollorz (Buch) mit Selbstironie, Originalität und Witz. Sowie zwei überzeugenden Hauptdarstellern (Florian Lukas und Christian Kuchenbuch). So locker und leicht verdaulich kann die Beschäftigung mit der Vergangenheit sein..."
Thomas Reinhard,Saarbrücker Zeitung
30.1.91
zurück zur Übersicht