BUNGALOW
Ein Film von Ulrich Köhler
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"Preis der deutschen Filmkritik für das beste Spielfilmdebut",
Bekanntgabe: 29.1.2004

aktuelle Presse

Die Süddeutsche Zeitung schreibt am 11.7.2003 über BUNGALOW:

Hast du gesehen, was Papa jetzt für einen Scheiß macht?

Deutscher Lynch? Ulrich Köhler zeigt in seinem Erstlingsfilm "Bungalow„ ein Land, dem es an den nötigen Reibungsflächen fehlt .

Er ist der Junge auf dem Skateboard, nur in der reinen ziellosen Bewegung scheint er sich wohlzufühlen - und der vorbeifliegende Hintergrund ist wie eine Rückprojektion. So saust er eine Straße hinunter und schwebt in eine Kurve, wo ein Schwenk beweist, dass die Fahrt kein Trick war. Lennie Burmeister, der Darsteller des Paul, ist Profi-Skateboarder. "Wenn mich jemand interessiert, hat Ulrich Köhler in einem Interview gesagt, "gucke ich, wie er sich verhält, wie er spricht, wie er sich bewegt, wie er gekleidet ist.„ Für sein bemerkenswertes Debüt hat er Paul beim Boarden beobachtet und dieses wunderbar mehrdeutige Bild gefunden. Selbst in der Bewegung sieht der Junge passiv aus, gibt sich ganz der Schwerkraft hin, die die Skateboarder sonst so kunstvoll überlisten können.
"Ein verhindertes Roadmovie„ nennt der Regisseur seinen Film. Einfach sitzen bleiben, während alle anderen in Bewegung sind - das ist Pauls Protest. Am Anfang sehen wir ihn mit anderen Rekruten dösend in einen Bundeswehr-Lkw. Dann stoppt die Kompanie auf einer Autobahnraststätte, und als die Kameraden wieder aufsteigen nach dem Fast-Food-Imbiss, trottet Paul einfach nicht mit.
Das wird in einer einzigen präzise komponierten Einstellung erzählt. Solche Plansequenzen und der distanzierte Blick erinnern an die Arbeiten von Angela Schanelec oder Thomas Arslan, wie auch das zurückhaltende Spiel der Darsteller. An Oberflächenrealismus ist Köhler nicht interessiert, das macht den Film so unberechenbar, so spannend.
Pauls Elternhaus in der hessischen Provinz wird zum Graavitationszentrum des Films. Dorthin fährt der fahnenflüchtige Paul, und auch sein älterer Bruder Max (Devid Striesow) taucht mit seiner dänischen Freundin Lene (Trine Dyrholm) dort auf. Die alten Rollenmuster und Hierarchien werden sofort wieder durchgespielt: Max gibt den großen Bruder und Paul die kleine Nervensäge. Es ist Hochsommer, die Zeit scheint stillzustehen. Paul liegt am Pool, onaniert gelangweilt in seinem alten Jugendzimmer oder baggert unbeholfen Lene an. Geredet wird nicht viel. Auch Pauls weiche Gesichtszüge scheinen sich jeder Deutung zu entziehen. Lennie Burmeister verleiht der Figur physische Präsenz, mit seinem schlurfenden Gang, den hängenden Schultern. In der Lethargie wird Pauls Unsicherheit erkennbar. Er würde gern aufbrechen &Mac246; aber wohin?
"Bungalow„ ist so ziemlich das Gegenteil eines Actionfilms, und doch entwickelt der Film einen Sog, der einen nicht loslässt, so klar sind die Bilder, so präzise werden die Beziehungen zwischen den Figuren skizziert. Auch die abwesenden Eltern sind präsent, Paul entdeckt im Arbeitszimmer des Vaters eine Architekturzeichnung: "Hast du gesehen, was Papa jetzt für einen Scheiß macht.„ - "Weiß er selber.„ Man ahnt die Lebenslügen, die linksliberale Spießigkeit.
Köhler spielt mit den Erwartungen des Zuschauers, der damit rechnet, dass irgendwas passiert, etwas Schreckliches vielleicht, wie in den Kleinstadtfilmen von David Lynch. Als in der Ferne eine Explosion zu hören ist und eine Rauchwolke über den Einfamilienhäusern schwebt, wird auch im Ort viel spekuliert über einen Anschlag. "Bungalow„ ist ein Film über die deutsche Provinz, ihre trostlose Aufgeräumtheit, aber auch ihre Rätselhaftigkeit, die Pauls Exfreundin verkörpert. Nach ihrem Auftritt in "Mein Stern„ ist Nicole Gläser endlich wieder im Kino zu sehen.
Wie auf eine fremde Welt blickt Köhler auf Deutschland: auf die jungen Bäumchen, die durch kleine Gerüste gestützt werden, oder die Gelbe Tonne vor dem Eigenheim. Der Bungalow von Pauls Eltern ist ein Niemandsland, in dem jede Revolte sinnlos scheint, wahrscheinlich würden die Eltern ohnehin alles verstehen. Ohne Reibung kein Widerstand &Mac246; zwischen zwei Bildern ist Paul plötzlich verschwunden. Ein Zuhause hat er vielleicht in der reinen ziellosen Bewegung gefunden. (Martina Knoben)

Stern 7/2003

Bungalow
In den vergangenen Jahren hielten vor allem Debütfilme von jungen Regisseuren den Glauben ans deutsche Kino wach. Nach „Das weiße Rauschen“ oder „Nichts bereuen“ trifft nun „Bungalow“ mitten ins Herz. Ulrich Köhler, Jahrgang 1969, erzählt, wie der 19-jährige Paul (großartig: Laiendarsteller Lennie Burmeister, ein Profi-Skateboarder) im Hochsommer vom Wehrdienst desertiert und im Bungalow seiner verreisten Eltern abhängt. Luft und Zeit scheinen stillzustehen in diesem kargen Drama ums Erwachsenwerden. Keine Action, kaum Musik. Und doch atmet jede Szene, jeder knappe Dialog so viel Klarheit und Schönheit, als würde man einer wundersamen Blume beim Wachsen zusehen. (5 Sterne!)

Zitty Berlin 6.02.03

Stillstand
Bungalow von Ulrich Köhler
Deutschland im Sommer. Durch Zufall wird der 19-jährige Wehrdienstleistende Paul von seinen Kameraden auf einer Autobahnraststätte vergessen. Aus einer Laune heraus beschließt der schweigsame junge Mann, in den Bungalow der abwesenden Eltern irgendwo in der oberhessischen Provinz zu fahren, um ausgiebig herumzulosen. Dort trifft er bald auf seinen älteren Bruder Max und dessen dänischer Freundin Lene. Es kommt zu Spannungen: Paul verknallt sich in Lene, und die Feldjäger sind ihm auch auf den Fersen.
Kurz vor der Schwelle zum Erwachsensein nimmt ein junger Mann unerlaubt eine Auszeit. Dieser Stillstand, dieses Warten auf Nichts wird von Autor und Regisseur in vibrierenden Bilder gekleidet, wobei er auf groß angelegte Dialoge fast vollkommen verzichtet, sondern auf Stimmung und kleine Gesten setzt. Ein sperriges, faszinierendes Werk, das irgendwie weltentrückt wirkt und voll auf seine guten Schauspieler vertraut: Lennie Burmeister als Paul ist hauptberuflich Skateboarder und braucht sich hinter
den Profis Trine Dyrholm (Das Fest), Nicole Gläser (Mein Stern) und dem Ernst -Busch- Absolventen Devid Striesow nicht zu verstecken.
Beeindruckend leises Spielfilmdebut.

Frankfurter Rundschau vom 06.02.03

Unerlaubt in Gladenbach
Der mittelhessische Film „Bungalow“ hat Premiere von Georg Kronenberg
... Ein „verhindertes Road – Movie“ nennt der bei Limburg aufgewachsene 33-jährige Regisseur Köhler sein Spielfilmdebüt, „weil es nie zu einem Aufbruch kommt“.
Die endgültige Flucht vor den Feldjägern zögert Paul, gespielt vom Berliner Prof-Skateboarder Lennie Burmeister, immer weiter raus, und auch das geplante und erträumte Abhauen mit der neuen Liebe Lene scheitert.
Regisseur Köhler: „Paul hat viele Gründe, sich auf den Weg zu machen, aber kein Ziel für das er sich begeistert. Und nichts, was er der Welt, die er ablehnt, entgegensetzen kann“
Das Ergebnis: „Bungalow „ ist ein verhalten komischer, zurückhaltend und stimmig inszenierter Film über die unbestimmte Sehnsucht, die Sorgen und Leiden eines Menschen, der gerade erwachsen wird. Köhler kommt in seinem Erstling zudem ganz ohne Musik aus. „Es ging mir vor allem darum, einen Film über ein zeitloses Phänomen und keinen Film über einen bestimmten Zeitgeist zu machen“, sagt der Regisseur.

Frankfurter Rundschau vom 08.02.03

Dichte Leere
Ulrich Köhlers eindrucksvoller Debütfilm „Bungalow“
von Rüdiger Suchsland

Ein Sommertag. Es ist schwül, dem 19järigem Paul rinnen die Schweißtropfen von der Stirn.Ein kurzer, spontaner Impuls, mehr ist es nicht, und sein Leben hat sich geändert.
Denn Paul steigt nicht wieder ein in den olivgrünen Bundeswehrlastwagen, er bleibt einfach sitzen in der Hitze und sieht zu, wie die anderen davonfahren, ohne sein Verschwinden zu bemerken.
Man versteht ihn gut – ohne zu ahnen, warum. Von nun an ist er „fahnenflüchtig“. Was das heißt, weiß er nicht wirklich, er denkt an nichts, auch nicht an zuhause, wohin er jetzt fahren wird, in den Bungalow seiner Eltern, eigentlich auch nicht an seine Ex- Freundin Kerstin, die er dort wieder sehen wird...
Es herrscht eine eigentümliche Atmosphäre in Ulrich Köhlers Film „Bungalow“, und man weiß gar nicht genau, warum einen das in den Bann zieht. Lakonisch sind Bilder und Dialoge, extrem langsam sind Kamerafahrten, schon zu Beginn, wenn es ewig zu dauern scheint, bis sich die mit Soldaten beladenen Lastwagen um die Kurven zur Raststätte schieben. Eine minutenlange Einstellung, bis zu dem Moment, an dem Paul nicht wieder einsteigt; intensiv und von allem Überflüssigen befreit.
So geht es dann auch weiter, auf dem elterlichen Grundstück, das der Film nur noch sporadisch verlässt. Äußerlich passiert nicht viel. Zwar dauert es nicht lange, bis Pauls Bruder mit seiner Freundin Lene aufkreuzt. Aber die Geschichte geht nur in ganz kleinen Schüben voran, und was da so passiert: ein Supermarktbesuch, Streitereien mit dem Bruder,
eine Begegnung mit dem ehemaligen Lehrer, die Besuche Kerstins, hilflose Annäherungsversuche Pauls an Lene – es ist für sich genommen nicht so wichtig. Doch als Ganzes verstärkt es die ratlose Verstocktheit dieser Hauptfigur. Ein junger Mann zwischen Ordnung und Gefühl, ziellos, dessen Antriebe man nicht begreift und der einem wohl gerade deshalb nahe kommt.
Konzentriert, cool und neugierig ist der Blick dieses Filmemachers, seine Aufmerksamkeit für kleine Annährungen und Entfernungen zwischen Figuren, für Blicke und die stillen Kettenreaktionen, die sie auslösen.
Es ist nicht unbedingt ein „jugendliches“ Lebensgefühl, obwohl Paul auch ein entfernter, etwas zu ernsthafter Verwandter von Douglas Couplands „Generation X“ und Richard Linklaters „Slackern“ der frühen 90er ist. Aber diese reiben sich an etwas, vielleicht auch an der Erwachsenenwelt, vielleicht auch an der Gesellschaft. Paul fehlt ein solches Gegenüber. Das Ziel seiner Aggressionen bleibt diffus, weil er mit einem stärkeren Gegner ringt - mit dem Leben, oder genauer: mit dem Nichts. Und weil er eigentlich schon immer kapituliert hat. Existentialismus in der Provinz.
Das alles zeigt Köhler stilistisch nüchtern, klar und konsequent, mit Bezügen zu den Filmen Michael Haneke und zum französischen Kino; auch zum Stil, den man aus manchen
Berliner Filmen der Gruppe um Christian Petzold kennt, mit einem für ein Debüt erstaunlichen Reife. Mit „Bungalow“ hat Köhler einen Film über die Bundesrepublik jenseits aller Umschwünge von 89ff. gedreht, der in seltener Genauigkeit die Brüche unter der Wohlstandsoberfläche aufscheinen lässt. Wenn „Bungalow“ seine Figuren und ihre Gegenwärtigkeit übersteigt, kommen die Momente, in denen sich Köhler etwas überhebt, wo sein Film zu raunen beginnt, den stilistisch erhobenen Anspruch nicht immer trägt und bestenfalls noch vorgibt, etwas mehr zu sein und zu können, als er dann letztlich ist und kann.
Etwa wenn der Regisseur, als eine Art Hintergrund seines Kammerspiels die Kulisse einer verborgenen, doch immer spürbaren Bedrohung aufbaut, die durch die Bilder der Kleinstadt wabert, scheinbar beiläufige und insgeheim allzu bedeutungsvoll ein Schwimmbad explodieren lässt, ohne aber mehr darüber zu erzählen. Hier versucht er, aus dem Diffusen Kapital zu schlagen und bricht mit seiner Präzision.
Aber dafür ist dies schließlich ein Debüt. Und gelegentlicher Verdruss wie einzelne Längen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Bungalow“ besser ist als viele deutsche Filme der letzten Zeit; nicht ohne Grund einer der wenigen deutschen Filme, die im letzten Jahr mit großem Erfolg auf ausländischen Festivals gezeigt wurden. Köhler zeichnet ein dichtes Bild einer Welt, in der nichts passiert. Und gerade damit steht uns „Bungalow „ vermutlich näher, als es uns gefällt.
Bildunterschrift: Existenzialismus in der hessischen Provinz: Paul steigt nicht wieder
ein und ringt fortan mit dem Leben, vielleicht sogar mit dem Nichts.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.02.03

Die innere Sicherheit
Leben als Entropie: Ulrich Köhlers Debütfilm „Bungalow“
von Bert Rebhandl
Die Autobahnraststätte ist der ideale Ort für eine unerlaubte Entfernung von der Truppe. Paul steigt, wie die Kameraden auch, vom Lastwagen herunter, trottet in die Gaststätte und versteckt sich dann einfach hinter einer Zeitung, während die Rekruten das Kommando zum Einsteigen befolgen. Als die Bundeswehrkolonne verschwunden ist, ist Paul ein Deserteur- und Deutschland sein Rückzugsgebiet.
Es ist ein seltsames Land, das der junge Regisseur Ulrich Köhler in „Bungalow“ zeigt. Die sanften Hügellandschaften sind hoffnungslos zersiedelt, zwischen den Eigenheimen aber sind kaum Menschen zu sehen. Manchmal hört man in der Ferne ein Auto auf Vollgas beschleunigen, und einmal gibt es im Dorf eine Explosion. Da staut sich dann der Verkehr, und plötzlich sind die Rasenflächen gefüllt mit Schaulustigen. In diese Welt flüchtet Paul vor den Feldjägern der Bundeswehr. Es ist die Welt seiner Jugend. Die Eltern sind auf Urlaub in der Toskana, doch der Bruder taucht unerwartet mit seiner dänischen Freundin auf. Auf Paul wartet niemand. Kerstin von der Motorroller-Gang kommt nur vorbei, um ihm zu sagen: „Es ist aus.“
Es wäre verfehlt, in diesem ersten abendfüllenden Spielfilm von Ulrich Köhler, der in Frankreich und Hamburg studiert hat, ein Generationenporträt zu sehen. „Bungalow“ enthält einfach eine sehr spezifische Erfahrung. Sie hat damit zu tun, daß junge
Männer nach dem Ende ihrer Jugend durch den Wehrdienst in einen Zustand der Unwirklichkeit geraten, mit einem disziplinarischen Ernst, dem die gesellschaftlichen Grundlagen längst weggebrochen sind. Köhler deutet dies in einer Szene an, in der Paul an einer Tankstelle auf seinen ehemaligen Lehrer trifft, der ihn fragt, warum er nicht verweigert habe. „Gewissensgründe“ ist die schlagende Antwort. In Wahrheit ist es das völlige Fehlen guter Gründe, das Pauls Leben auszeichnet. Lennie Burmeister spielt ihn als einen leicht apathischen Jungen mit schlechter Haltung, der sich nur dann aufrichtet, wenn er auf dem Skateboard steht und die Straße ins Dorf hinunterschießt.
Köhler filmt diese Szene als reine, schwerelose Bewegung, während Paul sonst zumeist herumlungert, sich mit seinem steifen Bruder (Devid Striesow) kleine Duelle liefert und auf eine ungelenke Weise dessen Freundin Lene (Trine Dyrholm) den Hof macht. Die Begegnungen mit früheren Freunden sind an Banalität nicht zu überbieten; bei diesen Nebenfiguren wird der Blick von Ulrich Köhler auf die Absurditäten des Kleinstadtlebens auch ein wenig ungnädig. Der „Bungalow“ ist das Sinnbild einer Welt, die alles enthält, nur keine Alternativen. Paul möchte das
Niemandsland verlassen in Richtung Berlin, aber seine Hoffnung auf das Wiedersehen mit einer Urlaubsbekanntschaft wird schon am Telefon enttäuscht. Lene möchte nach München, um in einem Science-fiction-Film zu spielen, aber ihr Engagement kommt nicht zustande.
Das Leben wird entropisch, nur vages sexuelles Begehren weist noch ins Freie - und die blinde kinetische Energie einer Autofahrt durch eine Mondlandschaft, die als Bild völlig aus dem Film herausfällt und eine der geschickt eingesetzten Irritationen darstellt, mit denen Köhler sich aus den Fallen eines einsinnigen Realismus befreit. Das Territorium, das die Bundeswehr schützen soll, ist keine Heimat mehr, eher eine Zone, die Rätsel aufgibt, deren Lösung nicht mehr lohnt.
„Bungalow“ steht – nicht nur durch Zitate, sondern in seiner ganzen Haltung – in der Tradition des New Hollywood, einer Ära verlorener Gewißheiten, und erweist sich gerade durch diese Verfremdung als einer der besten Filme aus Deutschland seit langer Zeit.


tip berlin vom 04/03 13.02.–26.02.

Ödipus am Pool
Ulrich Köhlers wunderbar entspanntes Filmdebüt „Bungalow“ erzählt von einem Bundeswehr-Deserteur, der keiner ist.
Erfrischend erwachsenes deutsches Kino
Von Robert Weixlbaumer
Der deutsche Film. Kann gar nicht besser sein. Das darf man sich wieder unironisch denken, wenn man auf die Generation von Filmemachern blickt, die sich in den neunziger Jahren neue Netzwerke aufgebaut haben. Herausragende Werke sind entstanden, „Die innere Sicherheit“, „Mein langsames Leben“ gehören dazu, Arbeiten aus der so genannten, tatsächlich nur lose verbundenen „Berliner Schule“ , zu der prominent Christian Petzold, Thomas Arslan und Angela Schanelec zählen.
Schön zu sehen, dass ihre Weltsicht in der außerberlinischen Kinowelt, Geistesverwandte hat. Verstärkung kommt aus allen Himmelsrichtungen, aus München lange schon mit Dominik Graf, aus Wien-Berlin mit Valeska Griesbach („Mein Stern“). Auch Hamburg beeindruckt neuerdings wieder mit souveräner Gesandtschaft: Henner Winckler („Klassenfahrt“) und Ulrich Köhler sind die Vorhut, vielleicht auch nur die halbe Armee: Köhlers „Bungalow“ sorgte jedenfalls auf der Berlinale 2002 für Aufsehen und kommt jetzt endlich ins Kino.
Ein junger Mann flitzt einen Hügel hinab. Die gleitende Kamera sieht ihm aus größter Nähe zu, immer auf Augenhöhe, bis sie ihre Fahrt beendet und noch beobachtet, wie Paul mit vollendeter Eleganz scharf links auf seinem Skateboard in die Kurve geht. Paul kriegt immer die Kurve. Der Rekrut Paul (Lennie Burmeister) hat sich unerlaubt vom Bund entfernt. Aber er ist nicht wirklich auf der Flucht, die Sache ist nicht dramatisch genug für dieses Wort. Auf einer Autobahnraststätte hat er sich einfach von der Truppe vergessen lassen und danach auf den Weg in den Heimaturlaub gemacht, nach Hause, in den hessischen Hochsommer. Ab und zu ruft nun ein wütender Offizier an, auch die Feldjäger schauen vorbei und versetzen Paul am Pool in Panik. Aber mehr beschäftigt ihn eigentlich seine halb zerbrochene Beziehung zu Kerstin (Nicole Gläser).
Die Eltern sind auf Urlaub, nur der ältere Bruder Max (Devid Striesow) mit seiner dänischen Freundin Lene (Trine Dyrholm) wohnen mit im „Bungalow“ in den Hügeln. Gemeinsam bilden sie in den vier Tagen der Erzählung eine jugendliche, ödipale Triangel. Die freundliche Autorität des Älteren fordert den Jüngeren heraus, und vielleicht verliebt sich Paul auch deshalb so unvernünftig schnell in Lene, weil die ihm eine Chance für die Revanche an Max verspricht. “Im Prinzip war das der Grundgedanke“, sagt Ulrich Köhler. „Dass er die Energie hat, aber sie nicht richten kann, dass sie ziellos ist und sich hauptsächlich über die Verneinung von dem, was ihn umgibt, definiert. Dass er sich eingeschränkt fühlt durch den älteren Bruder, der ihm gewisse Sachen versperrt, um nicht Nachahmer zu sein.“
Für sein Spielfilmdebüt hat der 33-jährige Köhler einen Anlauf genommen, der nach dem Abitur mit zwei Jahren verschultem Kunststudium im französischen Quimper begann. Als er nach zwei Exotenjahren in der tiefen französischen Provinz und deutschem Zivildienst weiter nach Hamburg zog, begann er dort Philosophie zu studieren und Visuelle Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste:
„Ich hätte am Anfang auch nie gedacht, dass ich erzählende Filme machen würde“, sagt Köhler.
Das Aufeinandertreffen seiner eleganten Plansequenzen (Kamera: Patrick Orth), der detaillierten Choreografie und eines erzählerischen Minimalismus finden sich auch in Köhlers Abschlusskurzfilm „Rakete“ von 1998. Ein kleines Liebesdramolett im Partymorgengrauen wird in „Rakete“ erzählt. Aus diesem amüsanten Minikino hat Köhler in „Bungalow“ nun Größeres, Ernsthafteres gezaubert, das sich nicht festlegen lassen will auf den Begriff Realismus. „Ich weiß so richtig nicht, was Realismus sein soll. Ich würde den Begriff so fassen, dass der Ausgangspunkt Beobachtungen sind und dass der Anteil des Erfundenen relativ gering ist. Mein Anspruch ist aber nicht, möglichst genau Welt abzubilden, sondern eher eine Frage zu stellen.“
Seinen Film zeichnet eine ruhige Souveränität aus, seinen Helden eine Mischung aus Statik und hochenergetischer Zielstrebigkeit. Paul akzeptiert Zurückweisungen nicht, er ist ungestüm und testet Grenzen, bis sie sich vielleicht doch als diffus erweisen und er hindurchschlüpfen kann.
Beeindruckend ist die Form, die Köhler für seine kleine Geschichte findet: Die Plansequenzen verstärken den Verismus, der Verzicht auf dramatisierende Musik verstärkt ihn noch- aber der Effekt ist schließlich eher etwas Entrücktes als reiner Realismus. Der Film findet im Milieu von Köhlers eigener Autobiografie ebenso Inspirationen wie im New-Hollywood-Kino der Siebziger: „Five Easy Pieces“ von Bob Raflson, ebenfalls ein Film über konzentrierte Verweigerung, ist zum Beispiel eine Referenz. Angst vor dem Zitat, vor der Filmgeschichte hat er keine. „Es entsteht immer auch ein eigener Ausdruck, wenn man dabei einen eigenen Gedanken hat. Insofern ist es viel fataler, wenn man das verleugnet, dann gerät man viel mehr in Klischees hinein.“
Dass sein strenges Setting so lebendig wirkt, verdankt sich natürlich auch den Akteuren, die nicht zufällig auch anderswo in diesem neuen deutschen Netzwerk zu entdecken sind. Pauls Freundin Kerstin wird von Nicole Gläser gespielt, die in Griesebachs „Mein Stern“ eine Hauptrolle hatte, der Darsteller des Bruders Max, Devid Striesow, spielte für Schanelec in „Mein langsames Leben“ und aktuell für Hans-Christian Schmids Berlinale-Film „Lichter“. Hauptdarsteller Lennie Burmeister schließlich wurde Köhler von Henner Winckler empfohlen.
Burmeister ist selbstsicher genug, um vor der unspekulativen Kamera ganz wenig zu tun, einmal beiläufig zu masturbieren oder sich in einem unbeobachteten Moment in Lenes Badeanzug zu zwängen. Und dass Paul auch auf dem Skateboard eine so blendende Figur macht, ist auch sein Verdienst. Burmeister ist professioneller Skateboarder aus Berlin, „Bungalow“ sein erster Auftritt als Schauspieler. Noch jemand mit großer Zukunft.


Morgenpost vom 06.02.03

Das Leben scheint gelaufen
Ein Deserteur auf Identitätssuche: „Bungalow“ von Ulrich Köhler
Paul weiß nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen soll. Die Bundeswehr ödet ihn an, deshalb lässt er die Truppe allein weiterfahren und verkriecht sich in der hessischen Provinz im verwaisten „Bungalow“ seiner Eltern. Es tut sich wenig: Die Freundin macht Schluss mit ihm, was ihn auch nicht aus der Lethargie reißt, mal wird sich mit einem Freund geprügelt, dann wieder ziellos in der Gegend rumgekurvt. Erst als der Bruder samt schwedischer Freundin auftaucht, steigt die Spannung. Dass Paul in einem Anfall von Aktionismus vor dem Mädchen mit einem Kopfsprung in den Pool seine Männlichkeit beweisen und mit ihr schlafen will, hat anfangs mehr mit Langeweile als mit Lust zu tun. Vielleicht verliebt er sich auch nur, um überhaupt bemerkt zu werden. Ulrich Köhlers Porträt eines 19-Jährigen auf Identitätssuche lebt von den unverbrauchten Gesichtern seiner Schauspieler. Laiendarsteller Lennie Burmeister schlurft antriebslos herum, ein verschlossener Junge, der auf irgend etwas wartet, was seine Sehnsucht erfüllen könnte, aber nichts dafür tut. Das Leben scheint gelaufen, bevor es angefangen hat, ob die Feldjäger ihn nun erwischen oder nicht. Er steht für eine Generation, die sich als zu spät gekommen empfindet: keine Revolution mehr, kein Umbruch, kein ökonomischer Aufschwung. Es bleibt nur die Banalität des Alltags, Vereinzelung, Gleichgültigkeit legt sich wie Mehltau über Hoffnungen und Gefühle. Manchmal möchte man ungeduldig werden bei dieser zähen Zustandsbeschreibung und schmerzenden Sprachlosigkeit. Aber wer kennt sie nicht, die Unsicherheit der Spät-Adoleszenz, die Angst vor den Erwartungen der Erwachsenwelt, die Unbehaustheit der Seele (hier versinnbildlicht durch den einst modernen, inzwischen altmodischen „Bungalow“). In den kargen Bildern dieses beachtlichen Regiedebüts spiegelt sich Wirklichkeit wider, unspektakulär und wie beiläufig.

jungewelt Feuilleton vom 06.02.2003

Totalverweigerung
Berlinale 2002: Im „Bungalow“ eines Fahnenflüchtigen. Von Jakob Hesler
Eine Bundeswehrkolonne parkt auf einer Raststätte in der hessischen Provinz. Ein Trupp geht in den Imbiß. Die Kamera schwenkt langsam mit, gleitet an dem Gebäude entlang, macht halt am Terrassenausgang. Ein junger Soldat tritt heraus, die Kamera schwenkt wieder zurück, er nimmt Platz. „Aufsitzen!“ kläfft eine Stimme. Aber der Rekrut rührt sich nicht. Er läßt die anderen einfach abfahren. Unerlaubte Entfernung von der Truppe? Eine Handlung ist dieses Sitzen bleiben höchstens im juristischen Sinn, allenfalls Handeln durch Nichthandeln. Diese Passivität noch in der Verweigerung ist charakteristisch für Paul, die trotzige Hauptfigur von „Bungalow“ (2002), und die extrem lange, ungeschnittene und perfekt durchkomponierte Sequenz ist es für die Ästhetik von Ulrich Köhlers vielfach preisgekröntem Debütfilm.
Paul macht sich auf den Weg zum nahe gelegenen „Bungalow“ seiner verreisten Eltern. Hier wird der flüchtige Wehrdienstler für ein paar Tage eine merkwürdige Auszeit verbringen. Sie entspricht dem biographischen Vakuum der Adoleszenz, dessen Unterdruck eine sichtlich lähmende Wirkung hat. Paul läßt die Schultern hängen, schlurft und stolpert. Lustlos hakt er die Hobbies seiner Jugend ab. Er kifft und onaniert. Er skatet Feldwege hinab, in adäquat bewegungsarmen Bildern. Seiner Freundin aus dem Dorf schlägt er albern das Auswandern nach Afrika vor. Bei solchen Zukunftsplänen braucht man nach dem Jetzt nicht zu fragen. Daß sich etwas ändert, und zwar im Heute, wenn man sich sechs Wochen nicht meldet, versteht Paul nicht. „Was hat sich denn geändert?“ – „Es ist Schluß“.
Ihm doch egal. Anderen begegnet Paul mit impertinentem Grinsen. Kurz nach seiner Ankunft machen auch sein älterer Bruder Max und dessen Freundin Lene auf der Durchreise Station im „Bungalow“. Paul geht Max provokativ auf die Nerven. In die souveräne Lene dagegen „verliebt“ er sich. Das sexualisiert die Atmosphäre, bleibt aber Ersatzhandlung, motiviert von einer paradoxen Sehnsucht nach dem Erwachsenendasein.
Auf seiner Flucht nach Hause kommt Paul nirgends an. Die Maßstäbe seiner Herkunft sind unglaubwürdig geworden. Gefangen halten sie ihn dennoch. Dafür steht der im Filmtitel zur Leitmetapher erhobene „Bungalow“, das leerstehende Elternhaus, in dem sich Paul wie ein Einbrecher bewegt. Zwei Garagen, ein Haus mit Flachdach: Wohlstand ohne Überbau. Wenn Regisseur Ulrich Köhler auch erklärtermaßen keine bestimmte Jugendkultur abbilden wollte, sozial zuzuordnen ist Paul durchaus: der postideologischen Orientierungslosigkeit, deren urbane Variante bis heute in pop-literarischer Décadence verherrlicht wird. Pauls Wurstigkeit ist ihr wahres Gesicht. Und die Provinz, ein sinnfreies Arrangement von Einfamilienhäusern und Kreisverkehren, ein zum unscharfen Bildhintergrund geronnenes Grün, das ist ihr Ort.
„Bungalow“ verweigert sich dem Erklären und verschreibt sich dem Zeigen. Diese Ästhetik, die man fast schon das Paradigma des jungen Gegenwartsfilms nennen könnte, zwingt zur Konzentration auf konkrete Erfahrung, ähnlich wie „Klassenfahrt“ von Henner Winckler, mit dem Köhler in Hamburg studiert hat. „Bungalow“ setzt den Zuschauer durch den Verzicht auf Schnitte der vollen Wirkung von Situationen aus. Aber nicht im Doku-Stil, denn diese Sequenzen sind keine Protokollsätze. Sie schaffen Bilder, konstruieren, erzählen.
Diese Konstruiertheit wird in einer kühnen schlußszene fast ausdrücklich reflektiert. Der abgeschlossene erotikplot wird vom offenen Ausgang des Desertionsplots aufgehoben. Der Film relativiert seine eigene Deutung des Coming of age, die eigene Erzählung. Wieder auf eine Art Raststätte mit Parkplatz, diesmal in auktorialer Draufsicht, in einer starren, geometrischen Totalen, die ein Dreieck aufmacht, zwischen dessen Ecken sich die Protagonisten bewegen, nunmehr mit den Feldjägern als Spannungspol. Eine Reprise der dramaturgischen Bewegungen des ganzen Films. Er endet unverhofft mit einem stillen Ballett der Möglichkeiten. Es sind nicht nur die Pauls. Es sind die des Kinos selbst.




jungewelt vom 06.02.2003

Interview: Jakob Hesler
„Bungalow“ in deutschen Kinos:
Phlegma statt Weltverbesserungsgestus?
J.H. sprach mit dem Regisseur Ulrich Köhler


F: „Bungalow“ lief bereits auf der Berlinale 2002. Sie sind seither mit dem Film um die Welt getourt und haben diverse Preise bekommen. Waren sämtliche Reaktionen positiv?
Hauptsächlich, aber es gab auch negative, etwa deutliche Verrisse in der Presse. Der Tenor war dabei meist ähnlich: Sie hassen die destruktive Hauptfigur, erwarten irgendeine Form von Läuterung und schließen aus der Ziellosigkeit der Hauptfigur auf die Visionslosigkeit des Films. Dahinter steckt nur zu häufig ein sozialdemokratisches Konzept von Kunst als einem zu einfach verstandenen Instrument der Weltverbesserung.

F: Aber feiert der Film nicht doch das asoziale Verhalten der Hauptfigur Paul?
Paul soll schon jemand sein, der die Leute durch sein Phlegma und seine Verweigerung provoziert. Er kommt vermutlich aus einem quasi idealen Elternhaus, lehnt diese Welt aber ab und geht zum Bund. Wahrscheinlich wählen seine Eltern rot-grün. In solchen Kreisen ist Konsens, daß die Kinder verweigern und gleichzeitig Parteien gewählt werden, die das Militär aktiv als Mittel der Außenpolitik nutzen.

F: Das politische Statement des Filmes?
Nicht primär. Eine der Inspirationen zu der Figur aber war, daß ich vor Jahren dieses Buch von Baudrillard zur Konsumgesellschaft gelesen habe. Darin sagt er, daß der eigentlich konsequente Widerstand gegen das System das Phlegma ist, daß jede Form von politischer oder auch kultureller Radikalität letztlich vom System wieder reintegriert wird. Insofern ist das bei mir vielleicht politisch, aber ich wollte natürlich kein Statement zum Thema Wehrdienst machen.

F: Wollten Sie in den Abgesang auf das linksliberale Weltbild einstimmen?
Ich bin natürlich davon geprägt, wähle auch solche Parteien, stecke also selbst in diesem Widerspruch, wobei mir Max näher ist, der ältere und schon etablierte Bruder Pauls. Ein Phlegmatiker hätte es schwer als Filmemacher. Ich hatte nie diese Konsequenz. Mitunter habe ich die Widerstände vermißt, mit denen Leute aus weniger liberalen Elternhäusern konfrontiert waren. Dieses Umarmtwerden hat mich manchmal fertiggemacht.

F: Ist Ihre erklärte Ablehnung des Psychologismus Ihr filmästhetisches Credo
Die Dardenne-Brüder meinten einmal, man solle ihre Hauptfiguren kennenlernen wie Unbekannte. Jede Form von Psychologisierung ist vereinfachend und monokausal.

F: „Bungalow“ ist kunstvoll komponiert, hat aber auch einige Situationskomik. Gibt es solche Situationen eigentlich wirklich?
Es gibt noch viel komischere. Neulich hatte ich in Amerika ein Radio-Interview, die Moderatorin hatte Silikonbrüste und trug einen blauen Overall und Cowboy-Stiefel mit aufgestickten Erdbeeren. Sie hat während der ganzen Sendung Hummer gegessen, denn der Co-Moderator war Chefkoch im Casino vor Ort. Sie hat auch dauernd geschmatzt und den Zuhörern erzählt, wie lecker der Hummer ist. In einem Film würde das jeder klischeemäßig finden

Basis-Film Verleih Berlin, Körnerstr. 59, 12169 Berlin, Tel 030-793 5161, Fax: 791 1551, www.basisfilm.de