| Verspielte Nächte | ||
Deutschland/Griechenland 1997, 35mm, digital, Farbe, 86 Min. | |||
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INTERVIEW | |||
mit Angeliki Antoniou Dein erster Film "Gefangene des Meeres", ein Dokumentarfilm, schildert die ungewisse Zukunft eines ganzen Berufsstandes, nämlich dem der Schwammtaucher von Kalymnos. Dein nächster Film "Donusa" spielt ebenfalls in Griechenland und schildert das tragische Geschehen, das ein Fremder auf einer abgeschiedenen Insel erlebt. Nun ist in "Verspielte Nächte" Griechenland nur noch der Ausgangspunkt der Geschichte. Wieder erleben wir einen Blick von außen, diesmal aber auf Deutschland. Wolltest du mit diesem Film Deine neue Heimat inszenieren? Ich wurde oft gefragt, ob es mir überhaupt möglich ist, einen Film zu inszenieren, der nicht in meiner Heimat spielt. Ich habe immer gedacht, Heimat - das sind die Gefühle und Erfahrungen, die man in sich trägt. In Berlin habe ich studiert, ich arbeite und lebe hier, und das beeinflußt natürlich meine Gefühle und mein Denken. Mit der Zeit hat das immer mehr Gewicht bekommen, und deshalb wollte ich einen Film drehen, der in Berlin spielt. Sicher handelt es sich um den Blick einer Ausländerin, doch mein Blick ist nicht mehr plakativ, illustrativ wie der eines Neuankömmlings. Aber ich nehme wahrscheinlich immer noch viele Dinge wahr, die jemand, der hier aufgewachsen ist, vielleicht nicht mehr wahrnimmt oder nur in der Kindheit wahrgenommen hat. Deine Protagonistinnen, die Schwestern Maria und Helena, sind Angehörige der sogenannten zweiten Generation, sie sind Töchter eines Gastarbeiters. Wolltest du an ihnen Lebensent-würfe zwischen zwei Kulturen aufzeigen? Für Gastarbeiterkinder ist es viel schwieriger, eine Identität zu finden. Ich habe da keine persönliche Erfahrung, aber ich kenne solche Leute. Die befinden sich ständig im Konflikt mit Dingen und Erfahrungen, die sie am Leben in Deutschland lieben und anderen, die ihrer traditionellen Erziehung widersprechen. Das fand ich interessant für meine Geschichte. In "Verspielte Nächte" gibt es die "griechische" Maria und die "deutsche" Helena - das ist ein interessanter Konflikt. Aber in meinem Film geht es ja nicht um die Gastarbeiterproblematik. Apropos Erziehung: Wie schon in deinem letzten Spielfilm "Donusa" ist auch hier der besitzergreifende griechische Vater ein Thema. Hier allerdings ist er abwesend, der Film beginnt mit seinem Tod. Ist der Tod die Befreiung? Ein Katalysator, würde ich sagen. Viele Frauen werden durch den Vater geprägt, er ist eine sehr wichtige Person in ihrem Leben. Und das Verhältnis zum Vater prägt dann auch das Verhältnis zu den Männern im Leben einer Frau. Meine beiden Protagonistinnen hängen beide an ihrem Vater. Die eine, Maria, ist die "gute" Tochter: sie will ihrem Vater gefallen, ist gehorsam und hat ihre eigenen Träume aufgegeben. Sie ist von ihm abhängig. Auf andere Art ist auch Helena von ihm abhängig, selbst wenn sie ihn haßt. Sie ist wie eine Amazone und hat einen männlichen Panzer um sich gebaut, weil sie Angst vor Verletzungen hat. Sie will dem Vater zeigen: "Ich schaffe es ohne dich!" Beide Schwestern haben ein schwaches Selbstwertgefühl und Bindungsängste. Sie lieben sich selbst nicht wirklich, glauben nicht mehr an sich. Durch den Tod des Vaters trifft die abhängige Maria die angeblich unabhängige Helena wieder. Beide durchleben in Konflikten und Auseinandersetzungen einen Reifeprozeß und finden einen Weg zur Selbstverwirklichung. Berlin hast du hauptsächlich in zwei Bildern charakterisiert: bei Nacht und als Baustelle. Was wolltest du damit zeigen? Für mich ist die Nacht geheimnisvoll, unberechenbar und nicht durchschaubar, wie auch die Seele dieser Spielerin Helena. Es hat mich fasziniert, ihre dunkle Seite zu zeigen. Sie hat ihre ursprüngliche Leidenschaft, den Tanz aufgegeben und sich ins Risiko gestürzt. Sie spielt mit ihrem Leben, geht aufs Ganze, gewinnt und verliert, genau wie mit den Würfeln. Und sie muß ständig ihre Gefühle verleugnen, bis zu dem Moment, als ihre Schwester auftaucht. Außerdem lebt sie ja nur in der Nacht und geht am Morgen schlafen. Maria und Helena sind anfangs wie Tag und Nacht. Berlins Baustellen passen sehr gut zur Geschichte dieser beiden Schwestern: das Alte und das Neue, eine Umbruchsituation. Die meisten Szenen spielen in Helenas Wohnung und in der Bar. Das wirkt auf mich klaustrophobisch. Die klaustrophobische Atmosphäre widerspiegelt Helenas Seele, die auch klaustrophobisch eingeengt ist. Durch ihre Spielsucht bewegt sich Helena nur noch zwischen diesen beiden Orten. Von anderen Lebensräumen hat sie sich zurückgezogen. Denn Zeit und Kraft für etwas anderes hat sie nicht mehr. Sie ignoriert die anderen Seiten des Lebens und erleidet eine Art Realitätsverlust. Was hat dich an dem Thema Spielsucht gereizt? Damit wir uns nicht mißverstehen: Für mich geht es in diesem Film in erster Linie um Liebe. Nicht diese Liebe zwischen Mutter und Kind oder zwischen Mann und Frau, sondern um Liebe als stärkste, vorantreibende Kraft des Lebens. Es geht auch um unerfüllte Sehnsucht, die die Menschen unterschiedlich antreibt. Jede Sucht ist ein Symptom für unerfüllte Sehnsucht. Ich glaube, eine Ursache für Sucht kann darin liegen, daß man sich - wie zum Beispiel Helena - einfach nicht mehr liebt, sich nicht akzeptiert. Für eine Südländerin ist es interessant, deutsche Familienstrukturen zu beobachten. Sie sind sehr lose, man geht mit 18 oder spätestens 20 Jahren weg von zuhause, will seinen eigenen Weg finden usw. In Griechenland bleiben die Kinder bei der Familie, manchmal ein ganzes Leben lang. Das ist nicht in jeder Hinsicht positiv, aber andererseits gibt das viel mehr Hilfe und Geborgenheit. Hier, in Deutschland, helfen sich Familienangehörige nur bis zu einem gewissen Punkt und irgendwann hörst du einen Satz wie: "Das ist nicht mein Problem." - oder "Man schafft es allein, oder man schafft es nie." Und mit diesem Film wollte ich auch zeigen, daß es wichtig ist zu erkennen, wie weit man jemandem helfen kann. Es gibt keine Grenzen für Liebe, und Liebe heißt geben. Diese bedingungslose Liebe hat so viel Kraft, daß sie vielleicht wirklich eines Tages etwas ändern kann. Der Film hat ein offenes, aber hoffnungsvolles Ende. Glaubst du, daß es Helena schaffen kann von ihrer Spielsucht wegzukommen? Ich wollte ein positives Ende, aber keins mit Zeigefinger. Auch die Spielsucht habe ich nicht moralisch bewertet. Ich will dem Zuschauer nicht sagen: "Paß auf, so schlecht ist die Spielsucht und diese Frauen sind nur kaputt." Es geht um gebrochene Figuren, um sensible, begabte und intelligente Menschen. Ich glaube, eine Sucht kann geheilt werden in dem Moment, wo der Süchtige sich seiner Sucht bewußt wird, sich anderen öffnet, Hilfe erfährt und vor allem von ihr loskommen will. Die Szenen in dem illegalen Spielclub wirken sehr authentisch. Wie und wo hast du recherchiert? Zuerst habe ich im illegalen Spielermilieu von Berlin recherchiert. Ich bin mit Berufsspielern in Clubs gegangen, wo kein normaler Mensch ohne Beziehungen reinkommt. Da hab ich Leute gesehen, die seit Jahren nichts anderes machen als zocken und abzocken, die auch schon im Knast gesessen haben. Manche dieser Clubs existieren schon gar nicht mehr. Es gibt Razzien, dann werden sie zugemacht und neue entstehen. Die Kripo kennt diese Clubs, die illegal existieren. Aber manche Clubs werden geduldet, damit man an bestimmte Leute rankommt. Da treffen sich Diamantenhändler, Ikonenhändler, Zuhälter, Nutten und auch ganz durchschnittliche Typen mit Familie, geregeltem Beruf und einem, dem Anschein nach, gutbürgerlichen Leben. Den Höhepunkt meiner Recherche erlebte ich in München, nach einem Boxkampf von Roccigiani und Maske. Vor jedem Kampf wird gewettet. Und danach versammeln sich alle möglichen Kriminellen, Dealer, Spieler oder Bordellbesitzer aus dem ganzen Land in einem bestimmten Club oder einem Restaurant, das extra für den feierlichen Anlaß hergerichtet wird. Und da wird dann abgezockt. Ich war bei so einer "Party" mit ungefähr 90 Männern und ca. 5 Frauen. Und dann passierte es, vier Uhr morgens gab es eine Razzia. Knapp eine Million Mark in bar wurde beschlag-nahmt. Man fand eine Menge Kokain, zwei Revolver und Munition. Die AZ München titelte damals „Glücksspiel-Razzia &endash; Rotlicht-Könige gingen ganz schwer k.o." Ich wurde wie alle von der Kripo registriert, und mein Geld sollte mir abgenommen werden. Bis ich dann erklärt habe, wer ich bin, und warum ich da bin. So konnte ich mein Leben um eine eindrucksvolle Erfahrung bereichern und sie im Film umsetzen. Bei der Recherche hast du das Milieu als männlich dominiert erlebt. Verkörpert Jasmin Tabatabai als Helena die weibliche Seite der Spielsucht? Ja, man kann es so sehen. Natürlich sind mir die Frauenfiguren vertrauter. Meine Thematik: Liebe, Freundschaft, aufgegebene Sehnsüchte, Süchte und Leidenschaften sind aber Themen, die Frauen und Männer gleichermaßen bewegen sollten. Zumindest ist das mein Wunsch. Wie hast du deine drei Hauptdarstellerinnen gefunden? Das war ein langer Prozeß, das Buch war schneller geschrieben. Vicky Volioti, die Darstellerin der Maria, ist eine sehr bekannte Schauspielerin in Griechenland, ich würde sogar sagen, ein Star. Sie ist halb Deutsche, halb Griechin. Übrigens ist ja auch Jasmin Tabatabai halb Perserin und halb Deutsche. Vicky Volioti hat viel Theatererfahrung und in vier oder fünf großen Spielfilmen mitgewirkt. Beim griechischen Fernsehen ist sie die Hauptdarstellerin in einer sehr populären Serie. Sie bringt die Zweisprachigkeit mit und schien mir prädestiniert für die Rolle. Bei Jasmin Tabatabai war ich auch sofort sicher, obwohl ich sie weniger aus ihren Filmen kannte. Aber ich hatte sie auf einem Empfang gesehen, wo sie gesungen hat. Sie hat die Figur einer Tänzerin, den entschlossenen Blick eines Croupiers, aber auch eine gewisse Verletzlichkeit, die hinter der Fassade der Stärke zu erkennen ist. Sie ist eine hervorragende Schauspielerin, wurde bis heute eher für burschikose Rollen eingesetzt, die die starke Seite ihrer Person hervorheben. Ich aber wollte auch ihre zerbrechliche Seite zeigen. Sharon Brauner ist bisher eher als Sängerin, denn als Schauspielerin bekannt. Sie bringt eine besondere Note in diesen Film: genau die richtige Mischung aus Frau und Kind, aus Nutte und Mädchen, das nach Liebe sucht. Sie verkörpert eine liebevolle Naivität, Spontaneität, Lebendigkeit und Frische. Und Zazie de Paris hab ich per Zufall in der Spielbank getroffen. Du bist doch eigentlich ein Großstadtmensch, in Athen aufgewachsen und lebst jetzt seit dreizehn Jahren in Berlin. Aber in deinen Filmen spielen das Meer und einsame abgelegene Orte am Strand immer eine wichtige Rolle, ein wieder-kehrendes Motiv? Uns reizt ja manchmal das am meisten, was wir nicht so gut kennen. Schon als Kind hatte ich diese Vorliebe, ich wollte fliehen aus der Großstadt. Das Meer hat für mich etwas Freies und Offenes, da kann ich meine Sehnsüchte drauf projizieren und meine Gefühle sich entfalten lassen. Wenn ich so eine Stimmung suche, dann gehe ich ans Meer. Meine Leidenschaft für das Meer findet sich in fast allen meinen Filmen. Und weil ich in Berlin kein Meer habe, gehe ich ins Aquarium. Auch Maria in meinem Film geht einmal ins Aquarium. Sie ist leidenschaftliche Taucherin und wollte Meeresbiologie studieren, eine für sie immer noch unerfüllte Sehnsucht. Die Offenheit des Meeres birgt ja auch eine Gefahr: Du weißt nicht, wo du ankommst, wenn du dich rauswagst. Vielleicht deshalb. Du hast erst Architektur in Griechenland studiert und bist danach zum Regiestudium nach Berlin gekommen. Weshalb hast du dich nach deiner ersten Berufswahl umentschieden? Ich habe Architektur studiert, um dem Medizinstudium zu entfliehen. Die meisten meiner Verwandten sind Mediziner, und das war auch für mich vorgesehen. Als brave griechische Tochter sollte auch ich was Anständiges studieren. Eigentlich wollte ich Schauspielerin werden, aber das war völlig unmöglich. Also habe ich die familiäre Rolle mitgespielt, solange ich konnte. Aber irgendwann mußte ich fliehen. Und so kam ich mit 26 nach Berlin, angeblich um mich als Architektin zu spezialisieren. Ich habe mich verkracht mit meiner Familie, als ich das Regiestudium an der DFFB anfing. Aber mich aus diesen familiären Strukturen zu befreien, war meine einzige Möglichkeit, mich selbst zu verwirklichen. Natürlich hat man seine Wurzeln, aber ich denke, aus der Ferne hat man einen viel klareren Blick. Das Interview haben Angeliki Antoniou und Annette Schäfer im August 97 in Berlin geführt. | |||