Baby
Ein Film von Uwe Frießner
Stab:
Buch und Regie: Uwe Frießner
Kamera: Wolfgang Dickmann
Musik: SPLIFF
Schnitt: Tanja Schmidbauer
Redaktion: Wolf-Dietrich Brücker
Produktion: Basis-Film Verleih GmbH, Berlin in Koproduktion mit dem WDR,Köln
Darsteller:
Baby: Udo Seidler
Pjotr: Reinhard Seeger
René: Volkmar Richter
und viele andere
Berlin (West) 1984 35 mm und 16 mm, Farbe Lichtton 114 Minuten
Prädikat besonders wertvoll
BABY,ein Thriller aus dem Alltag oder: Es gibt nichts Spannenderes als die Wirklichkeit Nach DAS ENDE DES REGENBOGENS erzählt Uwe Frießner in BABY die Geschichte der Verführung eines Menschen zum Verbrechen. Die kriminelle Karriere von drei jungen Männern aus Berlin, die einen großen Coup planen und schließlich einen Raubmord begehen, und deren Freundschaft zueinander stehen im Mittelpunkt der Handlung. Es geht um Strategien, mit denen Verlierer glauben, sich und ihre Vorstellungen von einem adäquaten Leben behaupten zu können. Ohne starres Freund-Feind-Schema, ohne Sozialarbeiterromantik, ohne schicksalhaften Determinismus und ohne pädagogischen Zeigefinger wirft der Film die Frage auf, an welchem Punkt die Einflüsse der Umwelt in den Hintergrund treten und die eigene Verantwortung für das, was man tut, beginnt.Zugleich ist der Film Momentaufnahme einer gesellschaftlichen Situation ,in der Kritik ,Protest und Verweigerung in eine aggressive Selbstbedienungs-Mentalität übergehen.
Inhalt
Baby jobt als Rausschmeißer in einer Discothek.Er raucht nicht, er trinkt nicht. In seiner Freizeit schindet er sich mit Karatetraining. Abends in der Diskothek muß er sich mit seinen Fäusten Respekt verschaffen können. Sieben Tage in der Woche nerven ihn Betrunkene, Witzbolde und harte Jungs. Eines Tages soll ihn keiner mehr nerven . Eines Tages will er sein eigener Herr sein: Chef eines Karate-und Fitnesstudios. Aber Baby muß schnell lernen, daß alleine gar nichts geht. Immer wieder gibt es Schlägereien. Ohne seine Kumpels Pjotr und René hätte er schon längst einpacken können. Auch sind sie es, die ihm einen Anwalt verschaffen, als Baby bei einer Schlägerei einen seiner Gegner lebensgefährlich verletzt und deshalb verhaftet wird. Nach wenigen Tagen ist er wieder frei. Aber Baby hat sich verändert: Er widersetzt sich nicht mehr den Plänen dieser Freunde, einen Nachttresor zu überfallen. Der Überfall gelingt. Die Begeisterung über das leichtverdiente Geld und die Selbstsicherheit seiner Freunde verleitet ihn zu der Illusion, einer solchen Aufgabe gewachsen zu sein. Der nächste Raub wird schwieriger. Babys Angst führt zu einer Kurzschlußreaktion. Er erschießt einen Wachmann im Supermarkt. Aus Selbstvorwürfen verfällt er in tiefe Apathie. Pjotr, der alte erfahrene Bandit, reißt ihn aus diesem Zustand heraus und überzeugt ihn davon, sich den Traum von einem Sportstudio doch noch zu erfüllen. Zusammen bauen sie eine verrottete Fabriketage um. Die harte Arbeit läßt sie Angst, schlechtes Gewissen und Gefahr vergessen. René, der dritte im Bunde, hat sich, wie immer in der Not, zu seiner Frau zurückgezogen. Aber gerade dort kommt ihm die Polizei auf die Spur.
Authentische Kinohelden
Gewöhnlich werden Filme von Personen gemacht,die einem bestimmten sozialen Bereich angehören.Daher sind bestimmte soziale Gruppen im Film überrepräsentiert und daher zeigt das Kino Unterprivilegierte, Kinder, ältere Frauen und Randgruppen selten authentisch. Wenn Filme diese Gruppen dennoch in den Mittelpunkt rücken,kommen sie häufig mit voyeuristischer Exotik oder zwanghafter Hauruck-Parteinahme daher. Ihren Helden zwingen diese Filme oft eine Stellvertreterfunktion auf, die nicht deren tatsächlichen Lebenszusammenhängen entspricht. Uwe Frießner setzt in seinen Filmen Menschen ins Bild, die keine künstlerische Lobby haben und die aufgrund ihrer "Bedeutungslosigkeit" als Kinohelden bislang nicht gefragt waren, und er zeigt sie authentisch! Frießner kann seine Figuren ernst nehmen und sie als liebenswerte Menschen glaubhaft werden lassen, weil er sie kennt. Er beschönigt sie nicht im Geringsten. Auch wenn Frießner die Mittel des Action-Kinos einsetzt, geschieht das nie auf Kosten der Authentizität. Dazu trägt nicht zuletzt seine Entscheidung für Laien-Hauptdarsteller bei.
Pressestimmen:
Fünf Jahre hat Uwe Frießner warten müssen, bis er nach seinem überzeugenden Erstling "Das Ende des Regenbogens" seinen zweiten Film realisieren konnte. Solche Fälle sind keine Seltenheit, doch Baby ist eine Ausnahme. Während andere Filmemacher in der Wartezeit ihre Projekte entweder heillos überladen mit inhaltlichen und formalen Ambitionen oder sich schließlich resigniert den zweifelhaften Gepflogenheiten des Markts anbiedern,z eigt sich Uwe Frießner so souverän und sicher als hätte er in der Zwischenzeit einen Film nach dem anderen drehen können. Dem Grundmotiv seines ersten Films ist Frießner mit Baby treu geblieben. Es geht um Strategien, mit denen Verlierer glauben, sich und ihre Vorstellungen von einem adäquaten Leben behaupten zu können. Was manche vielleicht als Rückschritt gegenüber dem Ende des Regenbogens betrachten mögen, nämlich den Verzicht auf das offenkundige soziale Engagement, das erscheint mir eher als ein Schritt nach vorne, weil in dieser konkreten Geschichte nicht mehr aus der Defensive heraus erzählt wird. Die Helden dieses Films nehmen sich Freiheiten heraus wie viele andere auch in dieser Gesellschaft; sie scheitern nur deshalb, weil sie für ihre Verwegenheiten keine ausreichenden Profis sind. Baby, der Titelheld, träumt davon, sein eigener Herr zu werden; er will eine Sportschule eröffnen. Vorerst aber jobt er als Rausschmeißer in einer Diskothek. Als Karatekämpfer trägt er einen schwarzen Gürtel, aber wenn es an seinem Arbeitsplatz zu einer Keilerei kommt,dann wird er doch fürchterlich verdroschen, weil er zu spät zum Baseball- Schläger greift. Als Baby deswegen auch noch eingesperrt wird, fällt er natürlich auf die beiden Typen herein, die ihm einen Anwalt besorgten und so die Freilassung erreichten. Daß sie dafür seine Stereo-Anlage zu Geld machten, stört Baby nur vorübergehend. Schlimmer ist, daß er auch noch seinen Job verliert; jetzt schließt er sich willig Pjotr und René an, die vorher schon mit seinem Auto auf nächtliche Einbruchsfahrten gingen. Ein Überfall auf einen Nachttresor gelingt, doch die Beute bleibt, gemessen an den Verlockungen der Konsumgesellschaft, gering. Ja, auch von dieser Gesellschaft erzählt Frießner, obwohl sie scheinbar gar nicht vorkommt und eigentlich immer nur Baby und seine Freunde im Bild sind. Den Zustand dieser Gesellschaft kann man an dem Trio mühelos ablesen, an ihren Wünschen und den Wegen, sie zu erfüllen. Weil sie ihrem realen Einkommen -in diesem Fall brutto wie netto -zu weiterem Wachstum verhelfen wollen, planen sie den großen Coup, den Aufstieg in höhere Ränge der Kriminalität. Sie überfallen, nach bereits semiprofessioneller Vorbereitung, einen Supermarkt, doch ihr Auftritt im Kassenbüro ist bei weitem nicht clever genug. Baby bekommt Angst und schießt, es gibt einen Toten. Die Flucht gelingt, und Pjotr hilft seinem Freund aus dem Katzenjammer: gemeinsam werkeln sie am Ausbau der Sportschule, die Baby in einer heruntergekommenen Fabriketage einrichten will. Aber dann steht eben doch die Polizei vor der Türe.
Crime doesn't pay? Nicht, wenn man sich amateurhafte Momente dabei leistet, sagt Frießner forsch und klar. Und er zeichnet seine Figuren so lebendig und seinen Helden selbst so einleuchtend, daß man ihnen auf ihrem Weg zum schnellen Geld -und derartiges wird uns ja täglich in vielerlei Variationen nahegelegt -wenn schon nicht folgen, so doch keinen Mißerfolg wünschen will. Mit dem nötigen Startkapital, das schließlich jeder Unternehmer braucht, würden sie ja auch gerne die kriminelle Knochenarbeit aufgeben wollen. Frießners frecher Film entgeht sogar der Gefahr, seine Figuren zu beschönigen. Sein Baby hängt ohnehin immer etwas still und hilflos in der Szenerie herum, und dessen beide Kumpane verhalten sich weiß Gott nicht als brave Kameraden. Aber im gleichen Maß, wie die Action-Helden systematisch demontiert werden, bis sie am Ende ziemlich klein und ratlos sind, entwickelt sich etwas anderes: Freundschaft und Zärtlichkeit. Als latente Homophilie wird sowas gerne bezeichnet, als wäre es eine Krankheit .Frießner bleibt auch da nicht schüchtern, von latent kann da keine Rede sein. Auch wenn der Regisseur in seinem Statements ein bißchen zu üppig für die Zärtlichkeit der vermeintlich harten Jungs plädiert, Sinn gibt sie wirklich: sie würde, in letzter Kondsequenz, das Ende des Machismo bedeuten. Bezeichnenderweise müssen die drei Helden schon ziemlich am Ende sein, bis sie ihre ersten Gesten einer wirklichen Solidarität zuwegebringen. Die größte Leistung des Films aber besteht wohl darin, daß all dies sich dem Zuschauer nicht aufdrängt, weil im Vordergrund, und nur dort, ein widerborstiger, spannender und unterhaltsamer Kriminalfilm abläuft, der sich von den gängigen Genre-Produkten durch seine Perspektive entscheidend abhebt. Frießner versucht es wie kaum ein anderer deutscher Regisseur, hautnahe und hinreißend spontan klingende Dialoge zu schreiben und für seine Rollen (nach einjährigem Suchen) Laiendarsteller zu finden und zu führen, die so locker sind vor der Kamera wie sonst nur die amerikanischen Profis. Da wirkt alles "echt", und nichts scheint simuliert zu sein. Jetzt müßte Frießner nur noch die dramaturgische Cleverness und das Gefühl für Bildrhytmus entwickeln, über die seine US-Kollegen selbst bei belanglosen Geschichten so souverän verfügen, mit dieser Schwäche verbaut er sich, ähnlich seinen Helden, vorerst noch den ganz großen Coup.
(H.G.Pflaum in:Süddeutsche Zeitung,16.4.1984)
Uwe Frießners Baby über ein Berliner Laiengangster-Trio hat die Präzision, die Härte und die Intensität guter amerikanischer Action-Filme. Seine Qualitäten reichen von der liebevollen Sorgfalt der Charaktertzeichnung, der Dialoge und der einschlägigen "scene" über die kinogerechte Musik von Spliff oder den komödiantischen Unterton einer eher nachdenklichen Milieustudie bis zum glaubwürdigen Portrait neuester Stimmungen und Einstellungen, z.B.des virilen Narzißmus oder des Übergangs von Protest, Kritik, Verweigerung in die aggresive Selbstbedienungs-Mentalität.
(Wolf Donner in:tip 7/1984)
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